Dass aus den Stäben von Oberen durchsickert, die Drähte um die Nachfolgefrage liefen heiß, und Namen genannt werden, was dementiert wird sobald öffentlich, ist ein Vorgang, der schon X-mal stattgefunden hat. Das Rumoren drinnen dringt über verschiedene Quellen raus an die Öffentlichkeit, Stück für Stück, die Hoffnungsrufe aus den Niederungen der geschundenen Partei ebenso wie die Dementis der konkurrierenden Oberfunktionäre. Und niemand ist dagegen gefeit, in Machtkämpfen benutzt zu werden. Doch nicht immer, aber meist gilt: wo Rauch ist auch Feuer. Vom österreichischen Kanzler Faymann, SPÖ, hieß es auch noch gestern, er bleibt, heute ist er zurückgetreten.
Gabriels Rückzug hängt längst in der Luft
Sei es wie es sei: Die Spatzen pfeifen es längst vor dem gestrigen Sonntag von den Dächern: SPD-Chef Sigmar Gabriel hält seinen Posten nur noch aus Pflichtgefühl. Selbst als Kanzlerkandidat anzutreten, ist längst abgehakt. Dass ihm in der SPD-Katastrophe irgendwann der Kragen platzt, ist nicht nur angesichts seiner emotionalen Verfassung absehbar. Dass ihn kaum noch etwas an der Spitze hält, nicht minder. Auch die Namen Scholz und Schulz kreisen in diesem Zusammenhang nicht erst seit gestern.
Feindbilder statt Führung
Olaf Scholz, an der Elbe ob seiner Aura geballter Langeweile gern halb liebevoll „der Scholzomat“ gerufen, hatte gerade erst wenige Tage zuvor ein Strategiepapier auf den sozialdemokratischen Tisch gelegt. Hierin macht er indirekt die Positionen des radikal linken Parteivizes Ralf Stegner und des Zensur-besessenen Bundesministers der Justiz, Heiko Maas, für den Niedergang der SPD verantwortlich. Ohne diese namentlich zu benennen, stellte der assimilierte Hanseat aus Osnabrück fest, dass es ein fundamentaler Fehler sei, all jene, die derzeit zur AfD neigen, als „Nazis“ und „Rechtsextremisten“ zu verteufeln. Genau dieses aber machen Stegner und Maas seit Monaten ständig – gleich ob in Talkshows oder per Tweet: Die AfD ist für die radikale Linke in der SPD Feindbild Nummer Eins. Damit wurden Stegner und Maas zu besten Wahlhelfern der ihnen so verhassten Parteineugründung. Denn sie machten denselben Fehler, den vor vielen Jahren bereits ein früherer Hamburger Bürgermeister namens Henning Voscherau gemacht hatte.
„Dann bin ich wohl rechtsradikal“
Der hatte in einem Wahlkampf den damals zunehmend mehr von überwiegend türkischen Gastarbeitern (so hießen die damals noch) besiedelten Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg besucht, wo er von einer Ureinwohnerin mit unzweifelhaft deutschem Stammbaum voller Sorgen darauf angesprochen wurde, dass ihre Kinder in der Schule angesichts eines aus ihrer Sicht viel zu hohen Ausländeranteils kaum noch richtiges Deutsch lernen würden. Statt nun die Sorgen der Dame – ohne jeden Zweifel eine langjährige Wählerin der SPD – ernst zu nehmen, befand Voscherau kurz sinngemäß: Solche rechtsradikalen Sprüche wolle er überhaupt nicht hören und werde deshalb darauf nicht eingehen. Die Wilhelmsburgerin war sichtlich konsterniert und murmelte in die Mikrophone des den Auftritt begleitenden „Hamburg Journals“ des NDR nur noch „Wenn der Bürgermeister sagt, dass ich rechtsradikal bin – ja dann ist das wohl so.“
Wer den unzufriedenen Bürger ausgrenzt, den bestraft das Leben
Diese kleine Episode, die noch irgendwo in den Archiven des NDR dokumentiert sein sollte, hätte eigentlich jedem „Antifaschisten“ in der SPD die Augen öffnen müssen. Hat sie aber nicht. Statt die Sorgen der sogenannten „einfachen Menschen“ ernst zu nehmen, wurden und werden sie gewaltsam ausgegrenzt. Denn die ganzen linken Antifas eint die Überzeugung, dass „Rechts“ so bitter Pfui ist, dass es für jeden das schändlichste überhaupt sei, als solcher betrachtet zu werden.
Das mochte solange funktionieren, wie es für diese Bürger keine politische Alternative gab. Statt ihrer Diffamierung mit lautem Protest zu begegnen, zogen sie sich aus dem politischen Prozess zurück. Die beharrlich ansteigenden Nichtwählerzahlen zeugten von dieser Ausgrenzung.
Doch das hat sich nun geändert. Plötzlich gibt es eine politische Kraft, die sich der Diffamierung widersetzt – und das Stigma das „Rechts-seins“ nicht nur nicht scheut, sondern sich zumindest in Teilen offen dazu bekennt und damit bei Wahlen erfolgreich ist. Dass sie dabei massiv auch Wähler der SPD einsammelt , ist ein sozialdemokratischer Albtraum und bleibt den Linken in der Partei unerklärlich.
Scholz zog Schlüsse und machte Schluss
Anders Scholz. Er zog nun aus dieser Erkenntnis die Konsequenz und empfahl seiner Partei, eben diese Wähler nicht länger zu diffamieren und gezielt auszugrenzen. Denn er hatte realisiert, dass die Wähler der AfD sich auch aus dem ehemaligen Klientel der SPD rekrutiert.
Ihn als neuen starken Mann der SPD zu installieren, machte Sinn. Schließlich war es ihm in Hamburg 2011 gelungen, die SPD nach den schwarzgrünen Chaostagen des Ole-von-Beust-Nachfolgers Christoph Ahlhaus zurück zur absoluten SPD–Mehrheit zu führen. Als er damals den Bürgermeisterjob übernahm, war es seine erste Aufgabe, die bis dahin kräftig mit allen Flügeln schlagende Hamburger SPD im wahrsten Sinne des Wortes einzunorden. Gingen in der Hanse-SPD bis dahin die Linken und die Rechten regelmäßig aufeinander los, so war damit nun Schluss. Bis heute.
Der grüne Haushund und die Führung
Auch die Grünen, die bis 2012 noch als „Grün-Alternative Liste“ antraten, wusste Scholz, als ihm die Wähler 2015 einen Koalitionspartner ins Regierungsbett legten, schnell auf Haushundniveau zu disziplinieren. Kurz: Scholz hat die Qualität, den Spruch, den er einst postulierte, in die Tat umzusetzen. Dieser Spruch lautete: „Wer Führung bestellt, wird Führung bekommen.“
Getreu den Empfehlungen seines Thinktankers Carsten Brosda folgt Scholz der Auffassung, dass die Menschen in der Politik von Machern geführt werden wollen, die sie nicht mit dem Kleinklein der Tagespolitik belästigen und die Konfrontation des Bürgers mit der Politik auf geschmeidiges Funktionieren reduzieren. Scholz selbst nennt das „gutes Regieren“ – und er war damit in Hamburg bislang so erfolgreich, dass die Union nach nunmehr fünf Jahren Opposition immer noch die Existenz einer 20-Prozent-Partei leben muss. Scholz wäre daher einer, der als Kapitän das schlingernde Schiff SPD in ruhigeres Fahrwasser bringen könnte.
Scholz & Schulz
Die Linksausleger Stegner und Maas sind nicht die einzigen, denen das Scholz-Modell gegen den Strich ginge. Da ist auch der namensähnliche Martin Schulz, der aus seiner Rolle als Präsident des Europäischen Parlaments ableitet, dass ihm die Ehre des Kanzleramtes gut zu Gesicht stünde. Statt des Ein-Mann-Scholz-Modells wäre das Duo Scholz-Schulz oder Schulz-Scholz den Parteiflügeln vielleicht vermittelbarer. Der eine für die Partei – der andere für die Spitzenkandidatur.
Doch würde das wirklich funktionieren? Offenbar hat die SPD auch hier einmal mehr nichts aus ihrer Geschichte gelernt. Denn wann immer sie mit Dreifach- oder Doppelspitzen antrat, führte dieses am Ende in die Selbstzerfleischung. Ob Brandt, Wehner, Schmidt, die sich spinnefeind waren, weil jeder dem anderen jegliches politische Verständnis absprach, oder zuletzt die Männerfreundschaft Schröder-Lafontaine, zwischen die „kein Blatt Papier“ passte und die die Partei in die Zerreissprobe zwischen traditioneller SPD und einer USPD-Nachfolgeorganisation namens WASG/PdL führte – die Versuche, unterschiedliche Lager durch mehr oder weniger gleichberechtigte Vielfachspitzen zu beruhigen, hat die SPD immer nur der Selbstvernichtung ein Stück näher gebracht.
Nach den Dementis die nächsten Hinweise
Bald werden wir wieder davon hören, dass Gabriel nicht mehr SPD-Chef sein will und dass die Führungsentscheidung nicht beliebig hinausgeschoben werden kann. Dass die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur erst nach den Landtagswahlen in NRW 2017 fällt, hat Gabriel nun selbst dementiert. Da jetzt nicht mehr nur die Spitze der SPD die Sache in der Hand hat, sondern die Breite der Partei den Prozess an sich ziehen wird, sind die Chancen des Hamburgers, den Karren in seiner Art aus dem Dreck ziehen zu können, deutlich gesunken.
Der immer noch mitgliederstarke Landesverband Nordrhein-Westfalen wird sich hinter seinen EU-Präsidenten stellen. Die linksgeführten, allerdings wesentlich unbedeutenderen Landesverbände Schleswig-Holstein und Saarland der Herren Stegner und Maas nicht minder. Auch Hessen und Bayern gelten traditionell als links und werden an dem AfD-Annäherungskurs des Hamburgers wenig Gefallen finden. Insofern stehen die Chancen auf die Kanzlerkandidatur für den EU-Mann auf Grün. Und der Hanseat wird es sich angesichts des von ihm nach dem Highlander-Motto postulierten Führungsanspruchs mehr als nur einmal überlegen, ob er unter diesen Voraussetzungen sein angenehmes Amt in Hamburg gegen den Feuerstuhl im Berliner Willy-Brandt-Haus tauscht.
Die Asche zusammenkehren und auf den Phoenix hoffen
So energisch, wie Scholz mit seinem Blick auf die Wähler der AfD den einzig denkbaren Kurs einschlagen würde, um die verlorenen Schäfchen zurück in den eigenen Stall zu holen, so unübersehbar verkörpert Schulz unabhängig von seiner Figur auf internationalem Parkett all das, weshalb Bürger den Weg zur AfD finden. Schulz ist Mister EU – und steht im Bewusstsein der Menschen für diesen menschenfernen Apparat unnahbarer Bürokraten, die mit jeder Entscheidung zur Gurkenkrümmung wie zum Bargeldeinsatz dokumentieren, dass ihnen die Menschen völlig gleich sind, während sie selbst wie die Made im Speck leben, Kammerdiener einschließlich.
Ein Kanzlerkandidat Martin Schulz triebe der AfD bei den Bundestagswahlen auch jene Bürger in die Arme, die vielleicht noch einen Rest sozialdemokratischen Traditionsbewusstseins in den Adern spüren. Und der Norddeutsche Olaf Scholz müsste einmal mehr an seiner SPD verzweifeln und darüber nachdenken, ob er sich gemeinsam mit Schulz verbrennen lassen möchte oder anschließend versuchen, aus der Asche der SPD an einem gemäßigt roten Phoenix der linken Mitte zu arbeiten.