Mit einer Rechtfertigungsschrift der SPD-Russlandpolitik sorgte der ehemalige Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel für Aufsehen. Es ist ein typisches Beispiel dafür, Fehler einzugestehen, ohne sie zu benennen. Im Ergebnis seien Nord Stream & Co. zwar falsch – dennoch hört man bei Gabriel von keiner konkreten Handlung, mit der die SPD wirklich etwas falsch gemacht haben soll. Man habe sich lediglich geirrt.
Der Fehler sei es nämlich gewesen, die Sowjetunion mit dem heutigen Russland gleichzusetzen, schreibt Gabriel. Die UdSSR sei „eine Status-quo-Macht“ gewesen, mit der man – man halte sich fest – „relativ einfach umgehen konnte“. Das heutige Russland dagegen sei „zu einer revisionistischen Macht“ geworden, die „notfalls mit Gewalt ihren Machtbereich auszudehnen bereit“ sei. Als ob es Helmut Schmidt und Ronald Reagan eigentlich ziemlich einfach gehabt hätten, verglichen mit der Lage in der sich die armen Steinmeiers und Gabriels seinerzeit gegenüber Putin befanden.
Der ehemalige SPD-Chef wurde nach seinem Politik-Aus nicht nur zum Dauer-Talkshowgast und erfreute sich eines typischen Post-Rücktritt-Hypes – als Vorsitzender der ehemals ehrwürdigen Atlantikbrücke wollte er zum neuen moralischen Gewissen der Nation, zum geostrategischen Mastermind der deutschen Öffentlichkeit avancieren, irgendwo zwischen Helmut Schmidt und Henry Kissinger.
Diesmal ist das aber gehörig nach hinten losgegangen. Denn durch diesen Spiegel-Artikel brachte er vor allem sich selbst zurück in die politische Schusslinie. Er beklagte im Text eine „Verschwörungstheorie“ und dass der ukrainische Botschafter Melnyk von einem sozialdemokratischen „Spinnennetz“ gesprochen hatte – dabei hat er sich selbst voll in einem solchen verheddert.
Gabriels gesellige Runden
Als Wirtschaftsminister von 2013 bis 2017 war er maßgeblich an der Planung von Nord Stream 2 beteiligt. Sein Einsatz für das – laut Bundeskanzler Scholz ja eigentlich rein „privatwirtschaftliche“ – Projekt, ging weit über das Übliche hinaus. Aus einer Anfrage der Linkspartei von 2017 geht hervor, dass Gabriel insgesamt an 16 Treffen mit Nord-Stream-Vertretern teilnahm – und zwar u.a. mit dem ehemaligen Stasi-Offizier und Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, mit Alexej Miller, enger Putin-Vertrauter und CEO von Gazprom, sowie mit Leonid Wiktorowitsch Michelson, dem Vorstandsvorsitzenden des Energieunternehmens Nowatek und damalig reichsten Mann in Russland.
Von Steinmeier bis Schröder, von Scholz bis Gabriel: In der Russlandpolitik wirkt das Handeln der ganzen SPD-Führung gelinde gesagt dubios. In seinem Text beweist Gabriel jedenfalls, dass er immer noch nichts verstanden hat. Die von ihm so gelobte Bereitschaft zum „Status Quo“ resultierte bei der Sowjetunion eben nicht aus der persönlichen Friedfertigkeit der Genossen Breschnew und Honecker, sondern aus der Bereitschaft zur militärischen Abschreckung im Westen. Wären Gabriel und Freunde nämlich mehr wie Helmut Schmidt gewesen, dann wäre Putin vielleicht auch eine „Status-Quo-Macht“ geblieben.