Tichys Einblick
Nord Stream 2

Das Russland-Netz des Sigmar Gabriel

Im "Spiegel" äußerte sich Sigmar Gabriel rechtfertigend zur SPD-Russlandpolitik. Doch als Wirtschaftsminister traf er führende Vertreter des Putin-Regimes in dubiosem Kontext - kurz nach der Annexion der Krim war das Durchpeitschen von Nord Stream 2 ihm besonders wichtig.

IMAGO / Reiner Zensen

Mit einer Rechtfertigungsschrift der SPD-Russlandpolitik sorgte der ehemalige Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel für Aufsehen. Es ist ein typisches Beispiel dafür, Fehler einzugestehen, ohne sie zu benennen. Im Ergebnis seien Nord Stream & Co. zwar falsch – dennoch hört man bei Gabriel von keiner konkreten Handlung, mit der die SPD wirklich etwas falsch gemacht haben soll. Man habe sich lediglich geirrt.

Der Fehler sei es nämlich gewesen, die Sowjetunion mit dem heutigen Russland gleichzusetzen, schreibt Gabriel. Die UdSSR sei „eine Status-quo-Macht“ gewesen, mit der man – man halte sich fest – „relativ einfach umgehen konnte“. Das heutige Russland dagegen sei „zu einer revisionistischen Macht“ geworden, die „notfalls mit Gewalt ihren Machtbereich auszudehnen bereit“ sei. Als ob es Helmut Schmidt und Ronald Reagan eigentlich ziemlich einfach gehabt hätten, verglichen mit der Lage in der sich die armen Steinmeiers und Gabriels seinerzeit gegenüber Putin befanden.

Putins Taktik ohne Strategie – den 9. Mai im Rücken
Der ehemalige SPD-Chef wurde nach seinem Politik-Aus nicht nur zum Dauer-Talkshowgast und erfreute sich eines typischen Post-Rücktritt-Hypes – als Vorsitzender der ehemals ehrwürdigen Atlantikbrücke wollte er zum neuen moralischen Gewissen der Nation, zum geostrategischen Mastermind der deutschen Öffentlichkeit avancieren, irgendwo zwischen Helmut Schmidt und Henry Kissinger.

Diesmal ist das aber gehörig nach hinten losgegangen. Denn durch diesen Spiegel-Artikel brachte er vor allem sich selbst zurück in die politische Schusslinie. Er beklagte im Text eine „Verschwörungstheorie“ und dass der ukrainische Botschafter Melnyk von einem sozialdemokratischen „Spinnennetz“ gesprochen hatte – dabei hat er sich selbst voll in einem solchen verheddert.

Gabriels gesellige Runden

Als Wirtschaftsminister von 2013 bis 2017 war er maßgeblich an der Planung von Nord Stream 2 beteiligt. Sein Einsatz für das – laut Bundeskanzler Scholz ja eigentlich rein „privatwirtschaftliche“ – Projekt, ging weit über das Übliche hinaus. Aus einer Anfrage der Linkspartei von 2017 geht hervor, dass Gabriel insgesamt an 16 Treffen mit Nord-Stream-Vertretern teilnahm – und zwar u.a. mit dem ehemaligen Stasi-Offizier und Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, mit Alexej Miller, enger Putin-Vertrauter und CEO von Gazprom, sowie mit Leonid Wiktorowitsch Michelson, dem Vorstandsvorsitzenden des Energieunternehmens Nowatek und damalig reichsten Mann in Russland.

Gastbeitrag Holger Fuss
„Die DNA der SPD war immer etwas russlandgeprägt“
Diese Gespräche fanden alle zwischen 2015 und 2017 statt – also nach dem ersten Angriff auf den Donbass und der Annexion der Krim. Mit seinen prominenten Gesprächspartnern sprach Gabriel dann nicht nur über die „Erweiterung“ der Ostseepipeline, sondern auch über den „Gastransit durch die Ukraine“. Der Wirtschaftsminister plauderte also in geselliger Runde mit Putin-Freunden über den einzigen Hebel, den die Ukraine gegen Russland besitzt. Und Nord Stream 2 wurde weiter gebaut.

Von Steinmeier bis Schröder, von Scholz bis Gabriel: In der Russlandpolitik wirkt das Handeln der ganzen SPD-Führung gelinde gesagt dubios. In seinem Text beweist Gabriel jedenfalls, dass er immer noch nichts verstanden hat. Die von ihm so gelobte Bereitschaft zum „Status Quo“ resultierte bei der Sowjetunion eben nicht aus der persönlichen Friedfertigkeit der Genossen Breschnew und Honecker, sondern aus der Bereitschaft zur militärischen Abschreckung im Westen. Wären Gabriel und Freunde nämlich mehr wie Helmut Schmidt gewesen, dann wäre Putin vielleicht auch eine „Status-Quo-Macht“ geblieben.

Anzeige
Die mobile Version verlassen