Die schlechte Nachricht lautet, dass für die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland inzwischen wieder gekämpft werden muss, die gute, dass renommierte Wissenschaftler sich zu einem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zusammengefunden haben, das „sich für ein freiheitliches Wissenschaftsklima“ einsetzt. Darunter verstehen die Mitglieder des Netzwerkes „eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur und ein institutionelles Umfeld, in dem niemand aus Furcht vor sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen und Debattenbeiträge meidet.“ Das Ziel des Netzwerkes besteht darin, „die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre an den Hochschulen zu verteidigen und zu stärken.“ Zu den Aktivitäten des Netzwerkes zählen öffentliche Veranstaltungen, die „die Bedeutung der Forschungs- und Lehrfreiheit“ herausstellen, die „Gefährdungen der gelebten Wissenschaftsfreiheit“ analysieren, „Fälle ihrer Einschränkung“ offenlegen und „Gegenstrategien“ entwickeln. Die Sprecherin des Netzwerkes ist die Historikern Sandra Kostner.
An den Universitäten entsteht zunehmend ein Klima der Einschüchterung, zuweilen durch Langzeitstudenten als Aktivisten erzeugt, deren Studienfach seit Jahr und Tag Asta oder Stupa heißt, und die zuweilen der SPD, den Jusos, den Grünen oder den Linken angehören oder nahestehen. Das gelingt, weil nur wenige Studenten von ihrem Recht Gebrauch machen, „ihre“ Vertreter zu wählen. An der Universität Frankfurt ergab eine Befragung von knapp eintausend Studenten – zum großen Teil aus dem linken Spektrum -, dass viele Studenten nicht mehr mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden wünschen und ein Drittel der Befragten es ablehnen, Redner mit anderen Meinungen zu Fragen des Islams, der Zuwanderung oder der Genderpolitik überhaupt an der Hochschule zu dulden. Über ein Drittel der Befragten verlangen, dass Lehrenden die Lehrbefugnisse verweigert werden, wenn sie eine abweichende wissenschaftliche Meinung vertreten und sprechen sich dafür aus, dass Bücher aus der Bibliothek entfernt werden. Erschreckend ist es, wenn ein Drittel der Befragten angibt, ihre Meinung zurückzuhalten oder nur mit Unbehagen zu äußern. Die „Frankfurter Allgemeine“ berichtete am 25. Januar 2019: „Am Dienstagnachmittag hatten vermummte Mitglieder der linksradikalen ,Antifa‘ einen Hörsaal gestürmt und Flugblätter verteilt. Ziel der Aktion war es, eine Studentin zu ,outen‘, die sich in rechtsextremen Kreisen bewegen soll.“ Aktionen der Einschüchterung zeigen Erfolg bei Studenten und Universitätslehrern.
Eine Künstlergruppe, der Kunststudenten angehören, bewarfen Goethes Gartenhäuschen mit Klopapierrollen, weil sie darauf aufmerksam machen wollten, dass Goethe in dem Gedicht „Das Heidenröslein“ „eine brutale Vergewaltigung in lieblichem Trällerton” „verharmlost”. Und diese “brutale Vergewaltigung “heute immer noch unhinterfragter Unterichtsstoff” wäre, den „Kinder … auswendig lernen” müssten. „Wir fordern, dieses Gedicht aus den Schulen zu verbannen, beziehungsweise wenn darüber gesprochen wird, es als das zu markieren was es ist: humoristische Vergewaltigungslyrik von einem lüsternen Dichtergreis. Wir sagen: Fuck you, Goethe!” An der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin wurde ein harmloses Gedicht von Eugen Gommringer übermalt, weil ein paar Studenten es in ihrer Langeweile und ihrer germanistischen Unbedarftheit für sexistisch hielten – und die Hochschulleitung knickte ein.
Für die zur „Diversität“ an der FU Berlin „forschende“ Chan de Avila steht deshalb auch die Frage im Mittelpunkt: „Wer lehrt an Universitäten?“ Dass es hierbei nicht um Wissenschaft geht, sondern um das Ersetzen von Wissenschaft durch Ideologie, hat Chan de Avila eingestanden: „Es gibt vor allem in Deutschland noch immer diese Idee, Wissenschaft sei objektiv und neutral.“ Genauer kann man es nicht sagen, denn gerade das Kriterium der Objektivität unterscheidet nun mal die Wissenschaft von der Ideologie. Dort, wo Wissenschaft parteilich zu sein hatte, wurde gern der Vorwurf des „Objektivismus“, wie in den fünfziger Jahren in der DDR als schlimme ideologische Verfehlung, erhoben, was berufliche Konsequenzen nach sich zog. Die Studentin Naledi Mmoledi „nennt Ansätze, um Universitäten als weiße Räume zu dekonstruieren und zu öffnen: die Beschäftigung von schwarzen Dozierenden, ein Überdenken von Lehrplänen unter Berücksichtigung dekolonialer Theorien, Gelder, um schwarze Berater*innen einzustellen.“ Es geht also um Geld und um Posten und um positive Diskriminierung. Wer weiß ist, hat in Mmoledis neuer Wissenschaft keinen Platz mehr. Chan de Avila moniert: „Wonach gar nicht erst gefragt wird, ist alles, was mit Ethnizität oder Hautfarbe zusammenhängt.“ Ausgerechnet in Deutschland sollten wir aus bösem Grund eben nicht mehr nach Ethnizität und Hautfarbe fragen.
In dem Aufsatz „Komplexität entfalten durch Veränderungsmanagement in einer Universität: Das Dortmunder Pro l für inklusionsorientierte Lehrerinnen- und Lehrerbildung (DoPro L)“ entwickeln Liudvika Leišytė, Bianca Schumacher und Barbara Welzel den Masterplan für die Abschaffung der akademischen Freiheit, der Freiheit in Lehre und Forschung. Weil Professoren ihr Fach weiter gegen alle ideologischen Zumutungen verteidigen, stellen die Autorinnen fest, dass „die Einschätzungen darüber, was gelingende Lehre und erfolgreiches Lernen ausmacht, differieren.“ Und zwar, man lese und staune, zwischen den Wissenschaftlern auf der einen „und der Verwaltung sowie dem Management in Dekanaten und Rektoraten/Präsidien“ auf der anderen Seite. Nicht die Wissenschaftler sollen über Form und Inhalt von Lehre und Forschung entscheiden, sondern die Verwaltung. Die Gender- oder Gleichstellungsbeauftragte, die Pressstelle oder das Facility- oder Diversitätsmanagement entscheiden dann über Form und Inhalt der Lehre und Forschung in der Literaturwissenschaft oder in der Mathematik.
Die Autorinnen des plump obrigkeitsstaatlichen Aufsatzes bringt geradezu in Harnisch, dass Entscheidungen der Universitätsführung (top-down), also von Frau Prorektorin für Diversitätsmanagement sogar auf Kritik stoßen könnten, denn: „Top-down-Entscheidungen und -Initiativen können besonders im Kontext des deutschen Hochschulsystems, welches durch ein großes Maß an akademischer Freiheit gekennzeichnet ist, akademische Zurückweisung und Widerstände provozieren.“ Da die akademische Freiheit noch gesetzlich garantiert ist, werden andere Wege erforderlich, die man in Dortmund mit Erfolg exekutiert. Man kann die Taktik auf folgenden Nenner bringen: die bestehenden Strukturen werden umgangen, es werden Parallelstrukturen geschaffen, die eines Tages die bewährten Strukturen ersetzen werden. Im demokratischen und im wissenschaftspolitischen Sinn müssten alle Alarmglocken schrillen, wenn gefordert wird, dass die Hochschulleitung anstatt die Freiheit in Lehre und Forschung zu schützen, aktiv Netzwerke aus „Akteuren“ oder aus Aktivisten zu bilden hat.
Hatten wir an deutschen Universitäten nicht schon genügend Netzwerke aus Akteuren, aus Aktivisten? Für diese Netzwerke werden willige Professoren, Dozenten und Assistenten rekrutiert und es steht zu befürchten, dass bei Neueinstellungen darauf geachtet wird, nur noch diejenigen zu berufen, die auf Linie sind. Zudem werden neue Stellen geschaffen, die im Sinne der Ideologisierung wirken. Mehr noch, diese neuen Stellen erhalten anscheinend Kompetenzen, mit denen sie die alte Struktur sturmreif schießen können, alles sieht danach aus, dass sie dafür Vorwände zu liefern und zu schaffen haben. Aus diesen Netzwerken der Akteure des Wandels bildet man „Lenkungsgruppen“ oder Visionsgruppen unter dem Vorwand, dass die Universitäten und Hochschulen einerseits den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragen müssen, anderseits die alte Struktur der renitenten Wissenschaftler, die „zum Widerstand neigen“ zu schwerfällig für den Akt der Anpassung oder des Wandels oder der Unterwerfung unter die neue Doktrin sei.
Auf der Homepage der Universität kann man lesen: „Die Erinnerungskultur der Humboldt-Universität ist an vielen Stellen sichtbar. Am prominentesten zeigt sie sich in der Galerie der Nobelpreisträger, deren Porträts an exponierter Stelle vor dem Senatssaal im Hauptgebäude hängen.“ Das allerdings scheint nach dem Willen der Historischen Kommission der Universität bald schon der Vergangenheit anzugehören, weil man sich der großen Tradition der Universität, des Humboldtschen Bildungsideals und der epochalen Leistungen der Universität auf dem Gebiet der Medizin, der Physik, der Mathematik, der historischen Forschung wohl inzwischen schämt, denn: „Seit einigen Jahren wird immer wieder Kritik an der Galerie laut, weil in ihr nur eine kleine, ausschließlich weiße und männliche und daher von vielen als wenig repräsentativ empfundene Gruppe erinnerungswürdiger Angehöriger der Universität vertreten ist.“
Dieser Satz dokumentiert den Abschied von der Wissenschaft. Denn es geht nicht mehr um das Argument, nicht mehr um Rationalität, noch um eine Begründung, sondern um Empfindung und Befindlichkeit. Einige empfinden die Nobelpreisträger als nicht repräsentativ, weil sei weiß und männlich sind. Aber der Historischen Kommission fiel wohl nicht auf, dass man die Bilder der Wissenschaftler nicht deshalb ausstellte, weil sie „männlich“ oder „weiß“ waren, sondern weil sie für ihre wissenschaftliche Leistung geehrt worden waren. Niemand hat in Max Plancks Gesicht geschaut, um die Pigmente zu zählen, sondern man hat in die Forschungsergebnisse geblickt, sie studiert. Um endlich die Galerie der männlichen und weißen Nobelpreisträger – es gibt übrigens keine anderen – auflösen zu können, wird eine Ausstellung konzipiert unter dem schon vom Schriftbild satirepreisverdächtigen Titel: „Humboldtianer*innen mit Zivilcourage.“
Dass für diejenigen, die sich in „Interventionen“ gegen die Freiheit der Wissenschaft in ihrem klassenkämpferischen Element fühlen, die Freiheit der Wissenschaft nur ein „reaktionäres“ Ärgernis darstellt, haben sie zur Genüge unter Beweis gestellt. Sie behaupten, dass Cancel Culture und Deplatforming nicht existieren, nur eine Erfindung der „Rechten“ wären, obwohl sie genau das betreiben. Man kennt den Mechanismus aus Diktaturen, dass diejenigen, die mit der herrschenden Ideologie und Propaganda übereinstimmen, behaupten, dass Meinungsfreiheit existiert, weil sie stets und ständig ihre herrschaftskonforme Meinung frei äußern können. Allerdings bedeutet Meinungsfreiheit eben nicht, dass nur die eigene Meinung frei geäußert werden darf, sondern auch die des anderen, oder wie es selbst Rosa Luxemburg auffiel: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“
Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit wird viel Arbeit vorfinden.