Der Campus der Freien Universität im noblen Villenviertel Berlin-Dahlem bietet auf den ersten Blick viel Platz für eine provisorische Unterbringung von Migranten: gepflasterte Vorplätze, Grünflächen und Parkplätze sind in großer Menge vorhanden und verleihen dem Viertel geradezu den Charakter eines amerikanischen Uni-Campus. Auch die weit ausgestreckten Uni-Gebäude Rost- und Silberlaube wirkten schon einmal belebter und umfassen wiederum eine große Zahl von grünen Innenhöfen. Diese Gedanken hatte offenbar auch der Berliner Flüchtlingskoordinator Albrecht Broemme, als er einen einzelnen Parkplatz neben dem Hahn-Meitner-Bau als Standort für ein Containerdorf mit Plätzen für 260 Migranten einplante. In dem eleganten Altbau sitzt das FU-Institut für Biochemie.
Aber ebensowenig verwunderlich ist wohl, dass die Universitätsleitung über das Vorhaben wenig erfreut ist. Und daran ist nur zum Teil die schlechte Kommunikationsleistung des CDU-SPD-Senats schuld. Universitätskanzlerin Andrea Güttner verkündete dem Senat apodiktisch: „Eine auch befristete Unterbringung von Flüchtlingen ist für die Fläche nicht möglich.“ Angeblich plane die FU selbst eine Bebauung des Grundstücks, das dort aber seit Jahrzehnten als ordentlicher Parkplatz dienen dürfte. Uni-Präsident Günter Ziegler spricht in weitem Bogen vom „hohen Sanierungsbedarf der FU Berlin“ und den „umfangreichen Bauplanungen“, die leider alle Freiflächen besetzt halten. Nein, doch, wirklich alle?
„Lebendiger Austausch“ würde möglich
Der Sonderbeauftragte Broemme gibt sich ungerührt: „Wir wollen keine Erweiterung der FU blockieren, doch solange das Grundstück brachliegt, können dort doch Flüchtlinge untergebracht werden.“ Daneben erfuhr wohl auch Ziegler – wie einige Berliner Bezirksbürgermeister – aus der Zeitung von den Plänen. „Die Hochschulleitung hat dieser Maßnahme nicht zugestimmt, noch wurden wir bisher hierzu befragt“, sagte der Mathematiker pikiert gegenüber der B.Z. Berlin.
Die Berliner Zeitung zitiert zu dieser Gefechtslage einen Netzkommentar: „Wenn man selbst betroffen ist, bröckelt die woke Fassade verdammt schnell.“ Nutzer erinnern an „antisemitische Hamas-Aufmärsche“ und „Gender-Fahnen“ an der FU. In seinem Rundschreiben zum beginnenden Sommersemester bezieht sich auch Ziegler auf die Spannungen der vergangenen Monate, in deren Verlauf ein jüdischer Student (abseits des Campus, aber nicht ohne Bezug dazu) zusammengeschlagen wurde (TE berichtete).
Zieglers Resümee des verronnenen turbulenten Wintersemesters an der Universität: „Die Auswirkungen globaler Probleme und Konflikte in zahlreichen Regionen der Welt waren in den vergangenen Monaten auch an der Freien Universität spürbar. Debatten rund um diese Konflikte gehören hier her! Wir sind eine Universität mit einer ausgeprägten Diskussionskultur, die wichtig und notwendig ist, um mit- und voneinander zu lernen, gemeinsam Probleme zu lösen und so wissenschaftlich und gesellschaftlich zu Fortschritten zu kommen.“ Ein „lebendiger Austausch“ sei dazu besonders vonnöten. Und das Jahr 2024 will die Universität als „Jahr der Biodiversität“ begehen. Bezüge zur Aktualität sind rein zufällig.
CDU Zehlendorf: Menschenwürdige Unterbringung sei nicht gesichert
Statt einer Nutzung des FU-Parkplatzes schlägt Ziegler eine leerstehende Immobilie in der Nähe vor: Ironischerweise ist es ein Gebäude der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, das seit Jahren leerstehe und schon einmal 2017 für Asylbewerber genutzt worden sei. Die Bundesanstalt hat angeblich die Hauptaufgabe, „die Verwaltung und Verwertung ihrer Liegenschaften nach kaufmännischen Grundsätzen“ zu bewerkstelligen. Sie zählt allerdings auch die Herrichtung von Asylbewerberheimen (bzw. die Erstattung der Kosten) zu ihren Aufgaben. Haben die Berliner Regierenden da etwas übersehen?
Nun hat die Universitätsleitung vielleicht nicht ganz unrecht mit ihren Einwänden: Warum sollten öffentlich genutzte Parkplätze mit Containern vollgestellt werden, nur weil der Senat seine Aufgabe zur ordentlichen Unterbringung von Asylbewerbern nicht erfüllt und weil – weiter gegriffen – die Bundesregierung ihrer Pflicht zum Schutz der deutschen und der EU-Außengrenzen nicht nachkommt?
Auch die CDU Steglitz-Zehlendorf verteilt nun eifrig Flugblätter gegen den eigenen Regierenden Bürgermeister. Anwohner des FU-Parkplatzes seien nicht angehört worden, eine menschenwürdige Unterbringung dort keineswegs sichergestellt. Eine beengte Situation wäre es allemal. Zuvor hatte schon die CDU-Bürgermeisterin von Reinickendorf, Emine Demirbüken-Wegner, die schon bestehende „Überlastung“ ihres Bezirks durch den „Bevölkerungsmix“ beklagt.
Denn dieser ganze Aufwand geschieht nicht, um die teuren Großunterkünfte in den ausrangierten Flughäfen Tegel (im Bezirk Reinickendorf) und Tempelhof überflüssig zu machen. Denn auch diese beiden Standorte sollen in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Berlin schichtet nicht um, die Stadt braucht deutlich mehr Platz für die Unterbringung von Migranten. So sollen künftig knapp fünf Prozent des Tempelhofer Feldes, von Berlinern gerne als ideales Naherholungsgebiet verklärt, mit Containern besetzt werden.
Kai Wegner: 16 Orte sind erst der Anfang
Und damit reicht es dem Senat keineswegs. Der Regierende Kai Wegner (CDU) bestätigte am Dienstag im RBB-Inforadio, was er schon im März durchscheinen ließ: Weitere Standorte zu den nun geplanten werden benötigt. „Diese 16 Standorte waren erst der Anfang.“ Bevorzugen würde der Senat die hochwertigeren Modularen Unterkünfte. Aber von denen wird man nicht genügend fertigstellen. Deshalb ist die Ausweitung von Großunterkünften und „Container-Lösungen“ (Wegner) unausweichlich.
Aber auch bei Containern ist nicht sichergestellt, dass sie die kostengünstigste Alternative sind. Allein für die in Berlin geplanten 16 neuen Standorte mit insgesamt 6.230 Plätzen fallen für den Aufbau und Miete Kosten von mehr als 200 Millionen Euro an. Der Grund hinter der Entscheidung für Container scheint vor allem das Argument Schnelligkeit zu sein.
Die Staatssekretärin für Umwelt- und Klimaschutz Britta Behrendt (CDU) sagte im März laut Tagesspiegel, dass man bald wieder mit „monatlich 1.500 bis 1.800 Menschen“ – gemeint sind neue Asylbewerber in Berlin – rechnen müsse. Bei den bestehenden Kapazitäten werde der Senat dann „spätestens im Juni, Juli an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen“. Insgesamt erwartet Wegner allein für das laufende Jahr 15.000 bis 20.000 zusätzliche Asylbewerber für die Stadt. Das wäre also das Dreifache der jetzt geplanten Containerplätze. Und der Streit um sie hat erst begonnen. 2024 scheint wirklich zum Berliner „Jahr der Diversität“ zu werden – allerdings inklusive Zusammenrücken und Zusammenstreichen von sonstigen Ausgabenplänen.