Nur 24 Tage ist es her, dass die beiden Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder das Zehn-Punkte-Papier der Union vorgestellt haben. Dabei haben sie massiv überbetont, wie gut CDU und CSU zusammenarbeiten würden. Das Ganze sollte einen Aufbruch der Union markieren und den Siegeszug der AfD stoppen.
Dreieinhalb Wochen später ist alles wie gehabt: Markus Söder verhält sich komplett anders, als er noch vor 24 Tagen gesagt hat und fällt seinem CDU-Kollegen in den Rücken, indem er den CSU-Streber spielt: „Wir grenzen uns klar ab und setzen dagegen auf gute Politik.“ Damit spielt er auf ein Interview an, das Merz dem ZDF gegeben hat und aus dem die vereinte Linke aus SPD, Merkel-CDU und Medien ein Ende der Brandmauer der Union gegen die AfD macht.
Auch Merz macht wieder das, wofür am meisten bekannt ist: Er rudert zurück: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“ Aber was hat Merz im ZDF eigentlich tatsächlich gesagt? Erstaunlich wenig.
Merz hat angesprochen auf die Wahlerfolge der AfD im Osten kritisiert, die „Parteipolitisierung“ sei auf kommunaler Ebene ohnehin „ein bisschen zu weit vorangeschritten“. Damit könnten Beispiele gemeint sein wie jüngst in Hamburg, wo sich die anderen Parteien gegen eine öffentliche Kochshow aussprachen, weil die AfD dafür war. Dann sagt Merz mit Blick auf den direktgewählten Landrat und den direktgewählten Bürgermeister der AfD: „Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“
Natürlich müsse man vor Ort nach Wegen suchen, wie man die Stadt oder den Landkreis gestaltet. Das genügt 2023 in Deutschland, um eine Empörungswelle auszulösen. Der Spiegel schreibt von „breiter Kritik“ an den Äußerungen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht von einem „Tabubruch“. Und das ZDF? Der Sender, der selbst über das Material mit den Wegen verfügt, die man kommunal suchen müsse? Der öffentlich-rechtliche Sender macht im Internet aus dem Zitat: „Merz relativiert Brandmauer zur AfD.“
Ist Merz jetzt ein Opfer einer linken Kampagne oder hat er sich vergaloppiert? Eindeutig ja und ebenfalls ja, auch wenn es im zweiten Fall komplizierter ist, Die Kampagne der Linken in SPD, CDU und ZDF zeigt, wie wenig ihnen mittlerweile genügt, um die Nazikeule auszupacken und wie wenig sie noch an sachlichen Debatten interessiert sind, wenn sie schon die Lösung dörflicher Probleme unter Tabu stellen wollen. Allerdings ist das Phänomen reichlich bekannt und breit dokumentiert.
Die Folgen des Sommerinterviews zeigen aber auch die Fehler auf, die Merz in seinen anderthalb Jahren als CDU-Chef begangen hat. Das fing schon damit an, dass er seine Amtszeit mit dem Versprechen begann, die AfD „halbieren“ zu wollen. So wird jeder Prozentpunkt für die AfD zu einer Abstimmung gegen Friedrich Merz.
Entscheidender ist aber, dass er in der Merkel-CDU nicht aufgeräumt hat. Die Partei hat Merz in einer Direktwahl zum Vorsitzenden gemacht und Merkels Kanzleramtsleiter Helge Braun mit einem demütigenden Ergebnis abgestraft. Aber direkt danach ging Merz auf Schmusekurs zur Merkel-CDU, besetzte Führungspositionen mit Leuten, die nicht hinter ihm stehen. Erst im Juni beförderte er Christian Wohlrabe zum Kampagnenchef. Der hatte einst öffentlich über Merz geätzt, er sei ein „alternder Schönwetterpolitiker“, der für den Vorsitz der CDU nicht geeignet sei.
Die Merkel-CDU lässt keine Chance aus, Merz einen zu verbraten. Selbst dann nicht, wenn ihm ZDF und Kühnert im Verein die Worte so drehen, bis es zu ihrer Moralkampagne passt. Karin Prien, Kulturministerin in Schleswig-Holstein, ist für ihre Verhältnisse eher sachlich und gesteht Merz zu: „Aber wir müssen eine Diskussion führen darüber, wie die CDU im Osten mit diesem Dilemma (AfD-Stärke und Vertreter in verantwortlichen Positionen) umgehen kann.“
— Karin Prien (@PrienKarin) July 23, 2023