Tichys Einblick
Vom Beckenrand

Friedrich Merz, der So-tun-als-ob- und Möchtegern-Kanzler

Friedrich Merz cancelt seine Teilnahme an einer Veranstaltung, dabei ist er doch ganz entschieden gegen Cancel Culture. Aus den USA erhält er Belehrungen, wie man es richtig macht. Der Mann zeigt, dass er Oppositionsführer nicht kann – und Kanzler schon gar nicht.

IMAGO / Christian Spicker

Es ist ein blamables Kapitel aus dem linken Buch „Wie mache ich die Demokratie kaputt“. Friedrich Merz sollte auf einem „Transatlantischen Forum“ der CDU-nahen Aktionsplattform „The Republic“ teilnehmen. Dort wollte er den US-Senator Lindsey Graham treffen, der Trump nahesteht. 

Weil neben Graham auf der Veranstaltung auch der Anwalt Joachim Steinhöfel auftreten sollte ebenso wie Kollege und WELT-Autor Henryk M. Broder, wurden linke Journalisten auf die Veranstaltung aufmerksam und starteten auf Twitter einen Sturm der Entrüstung gegen den geplanten Event, der auch sogleich breit medial abgebildet wurde. Flankiert wurde das unter anderem von dem grünen Abgeordneten Konstantin von Notz. Es kam, worauf viele gewettet hatten: Merz sagte seine Teilnahme ab.

Noch wenige Tage vorher hatte Merz genau diese Cancel Culture kritisiert und abgelehnt – also jene Technik, immer größere Kreise der Bevölkerung, der Medien und der Politik auszugrenzen, die nicht mit der rotgrünen Regierungslinie übereinstimmen. „Die größte Bedrohung“ der Meinungsfreiheit sehe Merz „inzwischen in der Zensurkultur“, der Cancel Culture. Der „Kampf gegen rechts“ sei ein „schwammiger Begriff“, den vermeintlich linke „Aktivisten“ missbrauchten, um „gegen völlig legitime Meinungen des demokratischen Spektrums oder sogar wissenschaftliche Erkenntnisse vorzugehen“. Merz wird zur Lachnummer.

Gut gebrüllt

Er sagt die Teilnahme ab, weil ein paar Grüne mosern? Wenn es nur das wäre. Merz steigert die Cancel Culture um eine Variante. Es ginge, so aus Merz’ Umfeld, um den Anwalt Joachim Steinhöfel, unter dessen sehr zahlreichen Klienten sich auch die AfD befand. Dann noch Max Otte von der WerteUnion, an dem er sich reibe. Und dann auch noch TE: Steinhöfel vertritt beispielsweise TE vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe gegen Facebook sowie in Dublin, um das Canceln von TE-Beiträgen zu verhindern. Ohne Anwalt müssten wir das zähneknirschend hinnehmen. So aber können wir uns gegen die Beschränkung der Meinungsfreiheit in den Sozialen Medien zur Wehr setzen.

Es ist ein elementares rechtsstaatliches Prinzip, sich vor Gericht anwaltlich vertreten zu lassen; es ist in vielen Fällen sogar Pflicht. Will Merz nun erreichen, dass die Cancel Culture auch auf den Rechtsstaat ausgedehnt und Beschuldigte ihrer elementarsten Rechte beraubt werden? So tun, als ob – das reicht in der verfahrenen Lage, in der sich Deutschland befindet, nicht mehr.

Deutschland braucht einen Oppositionsführer, der steht. Keinen, der umfällt, wenn ihn ein Tweet von links trifft.

Natürlich versucht Merz gefinkelte Unterschiede. 

Lindsey Graham wolle er andernorts treffen, nur nicht da, wo die bösen Rechten hausen. Das nennt man Mut! Nun erhält Merz, der lange Vorsitzender der „Atlantikbrücke“ war, sich gerne als letzter lebender Transatlantiker feiern lässt, Gegenwind gerade von jenseits des Atlantiks. Und Belehrungen, wie man Opposition macht und so Kanzler werden kann.

Richard Grenell, zwischen Mai 2018 und Juni 2020 als Botschafter der USA in Deutschland im Einsatz, schreibt, der „Chef der deutschen Konservativen“ würde sich dem „woken Mob“ beugen. „Die intolerante Linke rund um die Welt kann sich nicht hinsetzen und abweichende Stimmen hören. Sie schließen jeden aus, mit dem sie nicht übereinstimmen.“

Die Linke wolle, dass jeder dasselbe denke und ausspreche. Der Tweet endet mit den Worten „Schande über den feigen Merz“.

Und Lindsey Graham? Der will Merz nun auch nicht treffen, nirgendwo. Ausgerechnet Merz, der angeblich so tolle Beziehungen in die USA unterhält und für den größten Fonds der Welt gearbeitet hat – jetzt zeigt man ihm von jenseits des Atlantiks wie man Politik macht. Nicht durch Anpassung, sondern durch klare Opposition und das Aufzeigen von Alternativen.

„Schande über den feigen Merz“

Dumm gelaufen für Merz. Ich muss gestehen, dass mich das nicht überrascht. Es hieß, Merz habe die Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik abgesagt, weil er mit mir nicht auf einer Bühne stehen wolle. Es war anders. Es gab einen Brief einer linken Tagesspiegel-Journalistin, in dem behauptet wurde, Merz wolle nicht. Von Merz kein Wort dazu. Auch kein Dementi. Keine Bestätigung – keine Korrektur. Merz traut sich nicht, einem Gegner in die Augen zu schauen. Er lässt schießen – aus dem intellektuellen Dark-Room linker Blätter. Und einige Jahre später erklärt er dann vor laufender Kamera, es sei doch alles ganz anders gelaufen, und „das war aber nicht gegen Tichy persönlich gerichtet“ gewesen damals, nein überhaupt nicht.

Das sind seine kleinen, feinen Töne im Schatten, vorgetragen im Brustton tiefster Überzeugung, die er nicht parat hat, wenn es darauf ankommt. Sie verschwinden unter einer Melange aus Tricksereien, Halbwahrheiten, Unwahrheiten. Es vermischt sich zu einer schmierigen Sauce, die undurchsichtig bleibt wie sein Wirken für Blackrock und andere, denen er helfend die Lobby-Hand hielt. Er hält Reden, die großartig klingen – bis es zum Schwur kommt. Er ist ein guter Redner – aber mit beschränkter Haftung für seine Aussagen. Er gibt den Fels, und ist ein schwammiger Grund. Er spielt den Mutigen, und ist feig, wenn es darauf ankommt, und lässt sich dafür von Menschen feiern, die ihn aber niemals dafür wählen werden – eine seltsam unbestimmte, nervöse, wehleidige Mischung, die morgen anders will, als er heute ganz bestimmt sagte.

Mein Mitleid mit ihm ist übersichtlich. Er erinnert mich an jene Zeit, in der unsereiner noch ins Schwimmbad gehen konnte. Da steht ein schmächtiger, hochgeschossener Junge auf dem Sprungturm, ganz oben auf dem Brett, fünf Meter über dem Wasser. Und er springt nicht. Und die Kumpels rufen: Spring doch. Und dann springt er nicht. Er dreht sich um und klettert die Leiter runter, an der sich die anderen an ihm vorbei hoch drängeln. Und über ihn schmunzeln.

Das sind die Pleiten, aus denen ein kluger Junge lernt und zum Mann werden kann. Aber bei Merz ist es ein Muster, und es wiederholt sich in der CDU. Es ist eine CDU, die vorsichtig ins Kinder-Becken watschelt, das handwarm ist und etwas sauer riecht, aber da drin reden die Grünen vom Klimawandel und das will die CDU jetzt auch. Es ist eine CDU, die in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Koalitionen mit den Grünen eingeht, in denen die Grünen die Bademeister sind und die CDU nach ihrem Kommando Schwimmübungen macht.

Merz ist der Möchtegern-Kanzler von Gnaden der Grünen. Warum aber sollte man CDU wählen, wenn es das Original gibt? Es ist eine CDU, die sich immer noch nicht traut, die grotesken Fehler ihrer Regierungszeit zu benennen, und sie damit nicht korrigieren kann. Unterwürfigst gratuliert er Merkel zum Geburtstag, statt sie als die große Zerstörerin des Landes zu benennen. So bleibt er in ihrem Fahrwasser stecken. Zum Kanzler taugt so einer nicht. Die WELT titelt „Friedrich Merz cancelt sich selbst“.

Aus ganzem Herzen wünschte ich damals Friedrich Merz Flügel, auf dass er sanft vom Sprungturm ins Wasser gleiten kann. Mein Wünschen hat nicht geholfen. Er ist vom Beckenrand hinein geplatscht.

Über Merkel kann man nur wenig Gutes sagen. Vermutlich hat sie sich in Friedrich Merz nicht getäuscht. Der kann nicht springen. Nicht mal vom Beckenrand.

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