Tichys Einblick
Die deutsche Spielart der Volksfront

Friedrich Merz bittet SPD und Grüne um Verzicht auf Stimmen

Als Friedrich Merz die Wähler der Ampel aufforderte, im Osten die CDU zu wählen, ging das weitgehend unter. Doch mit dem Beispiel einer Volksfront in Frankreich vor Augen könnte in den Plan nun ein ganz eigener Zug kommen und frühere Leihstimmen-Kampagnen der FDP verhindern.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler

Da andere Parteien bei den Wahlen im Herbst keine Rolle spielten, sollten ihre Wähler lieber gleich CDU wählen. Damit würden sie die CDU stärken, nur sie könne einen Wahlsieg der AfD in den östlichen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg verhindern. Mit diesen Worten warb Friedrich Merz vor gut zwei Wochen im Sommerinterview mit dem ZDF um die Stimmen der Konkurrenz. Medial ging das weithin unter. Die meisten nahmen die Worte des CDU-Vorsitzenden eher als ein Werben um Stimmen statt als ernstgemeinten taktischen Vorschlag auf.

Mit dem Beispiel Frankreich vor Augen lohnt ein neuer Blick auf diese gut zwei Wochen alte Forderung. Dort haben Kandidaten des linken und des bürgerlichen Blocks darauf verzichtet, in der Stichwahl erneut anzutreten, um so dem jeweils anderen Bewerber den Weg frei zu machen – und zu verhindern, dass der jeweilige Wahlkreis an den Kandidaten des konservativen Rassemblement National fällt. Aus wahltaktischer Sicht ist dieser Plan weitgehend aufgegangen. Zumindest für die Linken.

Nun hat Deutschland anders als Frankreich ein Verhältniswahlrecht. Einzelne, ohnehin aussichtslose Kandidaten können nicht aufgeben. Es müssten ganze Parteien darauf verzichten anzutreten. Für die FDP wäre das sogar durchaus einen Gedanken wert. Sie hat ohnehin keine Chance, in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg einzuziehen. Würde sie verzichten, könnte die FDP diese Kapitulation theoretisch zum „Kampf gegen Rechts“ veredeln. Und auch SPD-Schlaufuchs Kevin Kühnert dürfte mehr als einmal darüber nachdenken, ob seine Partei sich in Sachsen der historischen Blamage stellen will und erstmals aus einem Landtag fliegen könnte – oder ob die Sozialdemokraten nicht lieber präventiv aufgeben und das Ganze als „Kampf gegen Rechts“ verkaufen.

Wegen des unterschiedlichen Wahlrechts sind die französischen mit den deutschen Verhältnissen nur schwer zu vergleichen. Doch die Volksfront aus radikal linken und bürgerlichen Parteien, die in Frankreich am Wochenende beschworen wurde, gibt es in Deutschland bereits seit knapp zehn Jahren. Es war Angela Merkels Verzicht auf Grenzsschutz 2015, der diese Volksfront begründet hat. Linke, SPD, Grüne und bedingt auch die FDP stellten sich hinter Muttis Politik und konnten somit die Kanzlerin kaum noch angreifen – was zu deren Kalkül durchaus gehörte.

Diese Volksfront wirkte sich auch in Wahlen aus. Die Landtagswahlen zwischen 2015 und 2021 wurden zu Abstimmungen „Alle gegen die AfD“. Da die Wähler aber nicht für alle stimmen konnten, kam diese Polarisierung auf der einen Seite der AfD zugute, die ihre Ergebnisse bessern und festigen konnte. Auf der anderen Seite stärkte das die Partei des jeweiligen Ministerpräsideten. Egal, ob die Linken in Thüringen, die Grünen in Badem-Württemberg oder SPD und Union sonstwo. Ministerpräsidenten wurden nur noch abgewählt, wenn sie extrem unfähig waren wie Hannelore Kraft (SPD) in Nordrhein-Westfalen, extrem unbeliebt wie Torsten Albig (SPD) in Schleswig-Holstein oder extrem unfähig und unbeliebt wie Tobias Hans (CDU) im Saarland.

Diese Variante der Volksfront hat die AfD nicht aufgehalten, sondern gestärkt. Dass ganze Parteien wirklich auf eine Kandidatur verzichten, wie Merz es nun vorschlägt, ist daher nahezu auszuschließen. Trotzdem bedeutet es schon eine Eskalation des „Kampfs gegen Rechts“, wenn der Vorsitzende der größten Partei diese Idee im Staatsfernsehen ausspricht. Ebenso ist es ein Beweis, dass diese Eskalationsleiter mittlerweile fast die oberste Stufe erreicht hat. Die Betreiber dieser Eskalation finden kaum noch realistische Drohungen die sie aussprechen können – sonst würden sie nicht zu solch unrealistischen Drohungen greifen.

Das Verhältniswahlrecht benötigt andere Wege zur Problemlösung. Derzeit hat das Land zum Beispiel eine grün-linke Bundesregierung, für die es gesellschaftlich keine Mehrheit gibt, der aber die FDP mit den Stimmen bürgerlicher Wähler zu einer parlamentarischen Mehrheit verhilft. In den drei ostdeutschen Ländern verschwindet die FDP im September komplett. Das ist der Anfang der Lösung. Im Bundestagswahlkampf sieht das anders aus. In der Wahl kann die FDP aus eigener Kraft kaum bestehen. Sie wird auf die Stimmen grüner und sozialdemokratischer Wähler angewiesen sein, die Mitleid zeigen, um die im FDP im Parlament und eine Ampel am Leben zu halten. Das wäre dann eine deutsche Spielart der Volksfront. Früher nannte man es „Leihstimmen“. Oft genug hat diese Kampagne der FDP und einer abgehalfterten Regierung beim Überleben geholfen, indem Stimmen zum Tragen kamen, die sonst wegen der 5-Prozent-Hürde verloren gewesen wären. Diesmal allerdings will Friedrich Merz keine Stimmen „verleihen“, sondern alle für sich und die CDU als einzig überlebende Einheitspartei sichern, wenn diesmal bis zu drei Parteien an der 5-Prozent-Hürde scheitern.

Anzeige
Die mobile Version verlassen