Tichys Einblick
Allons enfants de la Patrie

Frankreich

Die aktuellen Umfragen zeigen Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon zusammen mit Emmanuel Macron und François Fillon im schmalen Korridor von 20 bis 24 Prozent. Wer am Sonntag die zwei werden, die am 7. Mai die Stichwahl bestreiten, ist völlig offen.

Left-wing French Socialist (PS) party Benoit Hamon (2ndR) stands in front of right-wing Les Republicains (LR) party Francois Fillon (L), En Marche ! movement Emmanuel Macron (C), far-left coalition La France insoumise Jean-Luc Melenchon (3rdR) and far-right Front National (FN) party Marine Le Pen (R) before a debate organised by the French private TV channel TF1, between five candidates for the French presidential election, on March 20, 2017 in Aubervilliers, outside Paris.

© Patrick Kovarick/AFP/Getty Images

Über Jean-Luc Mélenchon, Gründer und bis 2014 Vorsitzender der Parti de Gauche, und nun einer der zwei Präsidentschaftskandidaten, denen viele Medien die besten Chancen gegen Marine Le Pen zuschreiben, lese ich in der aktuellen Ausgabe der ZEIT:

„Mélenchons außenpolitische Positionen überschneiden sich mit denen Marine Le Pens (Nato-Austritt, Verstnändnis für Putins Außenpolitik), und nur graduell sind die Unterschiede in der Wirtschaftspolitik: Einfuhrzölle, Neuverhandlung der EU-Verträge – sonst eben Frexit.“

Die aktuellen Umfragen zeigen die beiden zusammen mit Emmanuel Macron und François Fillon in einem schmalen Korridor von 20 bis 24 Prozent. Wer am Sonntag die beiden sein werden, die am 7. Mai die Stichwahl bestreiten, ist ganz offen, auch wenn die meisten Prognosen Fillon abschreiben.

Beri den Auftritten von Mélenchon wird nicht mehr die Rote Fahne geschwenkt und die Internationale gesungen, sondern wie bei Le Pen die Trikolore und die Marseillaise. Fordert er im Namen des Volkes, der kleinen Leute, Revanche und die Privilegierten zur Kasse, skandiert die Menge dégagez! dégagez! – weg mit euch!

DIE ZEIT lässt „20 deutsche Intellektuelle und Schriftsteller“ (interessante Formulierung) zu Frankreichs Zukunft zu Wort kommen. Peter Sloterdijk sagt: „Ein Sieg Le Pens wäre das Ende Frankreichs, wie wir es gekannt haben.“ Wie eine Begründung liest sich Heinz Bude: „Nirgendwo sonst in Europa, nicht einmal in Italien, scheint sich das Volk so sehr von seinen Repräsentanten entfernt zu haben, die bei jeder Gelegenheit die Einheit der Republik und die Empörung über deren tiefe soziale Spaltung beschwören.“ Alice Schwarzer hat Freunde in Paris getroffen – einzeln: einen jungen Homosexuellen, einen 68er aus einer jüdischen Emigrantenfamilie, eine feministische Weggefährtin der 70er Jahre – und alle zusammen mit ihren Freunden und Familien wählen Le Pen.

Aufschlussreich ist das Gespräch von Bastian Berbner mit einem Anwalt, der nicht genannt werden will wegen seiner Klienten und muslimischen Mitarbeiter: „Die Integrationsmaschine ist kaputt“, zitiert er ihn, „Wenn die französische Fußballnationalmannschaft gegen Algerien spielt, sind die Champs-Élysées ein algerisches Fahnenmeer.“ Wie er antworte, wenn jemand wissen will, was er wählt, fragt Berbner. Der Anwalt: „Ich lüge.“ Er sage, er wähle „weiß“, wie man in Frankreich einen leeren Stimmzettel nennt. Aber in Wahrheit werde er für Le Pen stimmen.

Und das ist die Frage vor dem Sonntag, die französische Demoskopen umtreibt: Wie viele lügen?

Ob der gestrige Terror-Anschlag auf den Champs-Élysées die Abstimmung noch maßgeblich beeinflusst? Le Pen und Fillon haben ihre bekannten Positionen. Unter seinen lokalen Aktivisten hat Macron etwas spät Sympathisanten von islamistischen Communities entfernt. Mélenchon wirkt wie auf dem falschen Fuß erwischt, als er auf die Frage, was er für notwendig halte, antwortet: warum ich? Le Pen, Macron und Fillon wollen ihre Wahlkampfauftritte ausfallen lassen.

Den hochgelobten Kandidaten Emmanuel Macron „linksliberal“ oder „sozialliberal“ zu nennen, ist so irreführend wie diese Attribute auch in den deutschsprachigen Ländern sind. Macron ist Sozialist/Sozialdemokrat, der sich (bis jetzt) mit seiner ein Jahre alten Partei “En Marche” von den entsprechenden etablierten Parteien fernhält. Dass er vor allem von jüngeren Franzosen großen Zulauf hat, zeigt das Gleiche wie in Deutschland: Die Sehnsucht nach etwas Neuem ist groß. Nach jemand Modernem jenseits derer, die so weitermachen wollen wie bisher, ich nenne sie zur Abwechslung mal Unionisten, und jenen anderen, die zurück wollen in die gute alte Zeit der EWG.

Wird es Macron, dann, darauf wette ich, ändert sich außer der Verpackung nichts an der in die Jahre gekommenen Marke Frankreich.

Allons enfants de la Patrie
Le jour de gloire est arrivé!
Contre nous de la tyrannie
|: L’étendard sanglant est levé 😐
Entendez-vous dans les campagnes
Mugir ces féroces soldats?
Ils viennent jusque dans vos bras,
Egorger vos fils, vos compagnes!
Aux armes, citoyens! Formez vos bataillons!
Marchons, marchons,
Qu’un sang impur abreuve nos sillons.

Die mobile Version verlassen