Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel in Frankfurt: Gut 600 Kritiker der Corona-Verordnungen von Bund und Ländern versuchen am Hauptbahnhof loszuziehen, so die wie üblich tief angegebene Zahl. Sie werden blockiert von einigen dutzend Jugendlichen der Antifa, die schneller laufen können und den Demonstrationszug immer wieder von vorne attackieren. Dabei hat die Stadt schon im Vorfeld die geplante Route auf einen kürzeren, direkteren Weg zum Kundgebungsort verlegt; bei Einschränkungen: Maskenpflicht und 1,5 Meter Abstand. Die Querdenker-Demo wird dann durch die Antifa blockiert, die neuerdings die Regierung verteidigt, statt von der Revolution zu träumen.
Auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs verteilt stehen die Demonstranten mit reichlich Abstand zueinander. Nicht genug für die Polizei, die mehrmals eine weitere Verteilung der Personengruppen anmahnt; eine Forderung, der auch Folge geleistet wird. Es sind vor allem Personen mittleren Alters und Ältere anwesend, auch einige Familien mit jungen Kindern. Eine bunte Mischung: Ein Anzugträger mit Zigarre, ganz normale Leute, „alternative“. Dazwischen treiben die ausgemergelten, vom Schicksal gekrümmten Gestalten, die sonst auch im Frankfurter Bahnhofsviertel anzutreffen sind. Aus der Menge erschallen Rufe wie „Eins, zwei, drei, macht die Straße frei“ und „Wir gehören zum Widerstand“. Die Leute halten vereinzelt Schilder in die Höhe „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“ oder „Don‘t Shoot the Messenger! Free Julian Assange“.
Die meisten Demonstranten scheinen aber damit zufrieden zu sein, in der Menge zu stehen und einfach nur unter Gleichgesinnten zu sein. An der Spitze des Demonstrationszuges steht der Wagen der Organisatoren. Noch davor der Wasserwerfer H1 der hessischen Polizei, ein bedrohliches Monstrum. Doch seine zwei Wasserkanonen sind nicht auf die Querdenker gerichtet, sondern auf die Antifa: Schwarzgekleidete versteckten sich hinter Transparenten; rundum Polizei. Müde Ärmchen halten Bettlaken mit Sprüchen hoch; weil es den Mädchen von den „Feministinnen und Antifaschistinnen“ zu anstrengend wird, fordert ein Sprecher zur „Solidarität“ auf und die Kerle übernehmen gegen Küsschen; so schlimm und anders ist also der Feminismus gar nicht. Es herrscht Revolutionsromantik: Wenn es schon keinen Faschismus zu bekämpfen gibt, dann wenigstens „Corona-Leugner“, endlich was zu tun. Hier wird nicht auf Abstand geachtet. Diesen einzuhalten gilt nur für „Corona-Leugner“.
Das Recht auf Demonstration wird ausgebremst
So wird das Recht auf Demonstration erst mal eine halbe Stunde ausgebremst, bis die Antifa geruht weiterzuziehen. Die Querdenker gehen erst mit gut zwei Stunden Verspätung los. Das Abstandhalten klappt zum Anfang noch ganz gut. Die Teilnehmer halten auch an Stellen, an denen es zu Stauungen kommen kann, zum Beispiel in Kurven, den gebotenen Abstand den Umständen entsprechend sehr gut ein. Corona-Regel-Gegner halten sich an Corona-Regeln. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft raubt. Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Freiheit raubt“, rufen sie. Auch als es zu ersten Blockaden kommt, werden die Abstände diszipliniert eingehalten. Denn schon wenige hundert Meter nach Beginn des Zuges stellte sich die erste Gruppe von gut einem Dutzend schwarzgekleideter Kämpfer gegen den Faschismus in den Weg. Die Polizei schickt sie weg, nur ein älterer Herr, vielleicht 60 Jahre alt, wirft sich auf die Straße und muss von der Polizei davongetragen werden. Dieser „Straßen-Sitzer“ ist trotz seines Geh-Stocks fix, kaum ist er weggetragen, rennt er sogleich wieder los und sitzt bald darauf erneut vorne vor dem Demo-Zug.
Es werden auch Barrikaden gebaut aus Mietfahrrädern oder Elektrorollern. In Frankfurt sind selbst die Antifa-Kinder gut bürgerlich; haben teure Regenschirme, die sie aus dem Regenschirm-Koffer ziehen. Die Polizei scheint unsicher, was sie tun soll: der Demonstrationszug steht, die Antifa steht auch – Wache gegen „den Faschismus“. Eine alte Frau ruft ihnen zu: „Was schützt ihr diesen nationalistischen Staat?“. Die Antifa brüllt sie nieder mit Rufen von „Zieh die Maske hoch“, bis „Gegen Antisemitismus“ und „Alerta!“. Es dauerte eine halbe Stunde, bis nach mehrfacher Aufforderung zum Gehen der Wasserwerfer H1 die Gegendemonstranten bespritzt: Es ist kein leichter Schauer, aber auch nicht mit voller Wucht. Später wird die LINKE-Politikerin Janine Wissler, Kandidatin für den Parteivorsitz, es „unverhältnismäßig“ und ein „fatales Signal“ nennen – „und das im November“. Wenn die neuen Antifaschisten demonstrieren, darf nur zur Kühlung gegen Hitze gespritzt werden. Aber es reicht für das Narrativ: Ein brutales Vorgehen der Polizei soll suggeriert werden.
Vorerst werden die Anti-Demonstranten-Demonstranten zur Seite geschoben. Der Straßen-Sitzer wird wieder weggetragen. Statt den Platz endgültig zu räumen und die Antifa der Straße zu verweisen, wird die Querdenken-Demonstration umgeleitet – auf eine deutlich engere Nebenstraße. Auch hier wurden die Abstände gut eingehalten. Waren es 1,5 Meter? Wer weiß das schon, ohne Zollstock. Gerade am Wagen der Organisatoren drängt es die Journalisten und Schaulustigen nach vorne und in die Enge. Aber wenn eine Demonstration von einer zweispurigen Straße auf eine Straße gezwängt wird, auf der nicht einmal geparkt werden kann, dann ist Nähe unvermeidbar. Vermutlich wird wieder berichtet werden, wie leichtsinnig die Demonstranten waren.
Einen Straßenzug weiter kommt die Demonstration erneut zu stehen – denn auch hier steht wieder die Antifa, mit den gleichen Transparenten und den gleichen Personen. Wieder der Straßen-Sitzer. Die Polizei trägt ihn zum dritten mal zur Seite, diesmal schreit er publikumswirksam für die versammelte Presse „Auauau“. Ist er verletzt? Er bleibt jedenfalls auf der Straße sitzen, beschimpft die Polizei „nicht einmal einen Schwerbehinderten könnt ihr richtig wegtragen“ und „ich wiege doch nur 70 Kilo“. Er verlangt einen Rettungssanitäter, der sofort kommen und helfen soll. Ein Ordner der Querdenken-Demo bietet an zu helfen, wird aber mit den Worten „Ihr seid ja noch schlimmer als die Polizei“ weggeschickt. Später wird von einem Verletzten die Rede sein. Eine Frau mit einer Fahne der linksextremen „Vereinigung für die Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) drängt den Ordner ab. Es ist das erste Symbol einer extremen Bewegung. Erst einige Zeit später und nach gründlichem Suchen werden wir einen Mann auf der Querdenken-Demo finden, der einen Pulli trägt, auf dem etwas abgebildet ist, was ein Reichsadler sein könnte. Keine offensichtlich auftretenden Extremisten auf Querdenker-Seite.
Die Polizei versucht jedenfalls die Straße zu räumen, nachdem der Straßen-Sitzer versorgt wurde. Der Wasserwerfer kommt für ein paar feuchte Spritzer erneut zum Einsatz, die Polizei drängt die Gegendemonstranten robust in eine Seitenstraße. Doch die Schwarzgekleideten rennen davon, einmal um den Block und stehen gleich noch einmal an der Kreuzung. Die Polizei ist ratlos. Die Antifa läuft flott, um „den Faschismus“ von vorne anzugreifen.
Der Demonstrationszug wird aufgelöst
Schließlich erklärt die Polizei den Querdenkerzug für aufgelöst. Die Organisatoren sagen, es sei nicht wegen Hygieneverstößen, sondern aufgrund der Antifa. In einer Pressemitteilung wird die Polizei später angeben, ein sicheres Vorbeiziehen der Demonstration sei nicht möglich gewesen. Also muss die angemeldete Demonstration den Störern weichen. Die Antifa ist schnell weg. Warum, wird kurze Zeit später klar, als die unorganisierte Masse der Querdenker – nun mangels Ordnern tatsächlich ohne Abstand – sich in Richtung Stadtzentrum bewegt und auf eine neue Blockade der Antifa trifft. Die Polizei stellt sich zwischen die Gruppen, tut aber nichts, um zu gewährleisten, dass die Querdenker zu ihrer Demo können. Hier stehen sich die Gruppen gegenüber Die Antifa brüllt „Salute tutti antifascisti!“, die Querdenker brüllen im Chor „Nazis Raus!“ und „Ihr seid die Faschisten!“ Die Stimmung ist aggressiv, angespannt, weder auf der einen noch der anderen Seite wird Abstand gehalten. Auf Seite der Querdenker spielt jemand auf einem Lautsprecher den Partisanenschlager „Bella Ciao“, es wird getanzt. Die Antifa scheint nicht so recht zu wissen, wie sie dieser Aneignung ihrer eigenen Musik antworten soll und brüllt „Halt die Fresse!“. Es marschieren also selbsternannte junge Antifaschisten ohne Abstand gegen ihre Eltern-Antifaschisten mit Abstand.
Kundgebung zwischen Dichter und Buchdrucker
Über Umwege kommt man dann doch zur Kundgebung. In der Mitte des Platzes steht eine überlebensgroße Statue des Dichterkönigs Goethe, auf dem anderen erfindet Gutenberg dauernd den Buchdruck. Im abgesperrten Kundgebungsbereich halten die Menschen Abstand – wieder so gut es eben geht, auf dem durch Absperrgitter eingeengten Platz. Sie sind brav, haben gelernt, den Anordnungen zu folgen. Sprecher auf der Bühne zweifeln die Existenz von Viren – aller, nicht nur von Corona – an. „Das soll doch Kabarett sein“, sagt ein Demonstrationsteilnehmer „das haben die ganz am Anfang gesagt“. Ist es das? Wir waren durch die Antifa blockiert. „Ich bin nicht unbedingt gegen den Wellenbrecher-Lockdown“, sagt der Demonstrant „aber das können wir doch nicht bis Ostern durchziehen?“ Es sind Infostände aufgebaut von Gruppen, die fordern, dass kein Wifi in Schulen aufgebaut wird, und die Gesundheitsschäden des 5-G Telefonstandards fürchten. Immer noch kein Extremismus. Vor der Bühne haben sich – geschützt durch die Polizei – Gegendemonstranten der linken Satirepartei „Die Partei“ aufgebaut, sie dürfen den Gegen-Protest quasi in die Querdenker-Demonstration hineintragen.
Eine Polizeikette drängt die Menschen davon, nur ein von der Polizei zusammengedrängter Haufen bleibt, nach Polizeiangaben 60-80 Personen, und weigert sich zu gehen. Gegen sie verschießt der Wasserwerfer H1 jetzt auch seine Ladung.
Doch auch bei aller Kritik am Vorgehen der Polizei sollte erwähnt werden: Es wurde öfter und eindringlicher gewarnt als bei der Antifa, der Polizeisprecher bat per Lautsprecher darum zu gehen: „Sonst müssen wir den Wasserwerfer einsetzen. Tun doch gerade Sie sich das bitte nicht an.“
Der Wasserwerfer gibt zwei, drei Spritzstöße ab, die meisten Personen gehen, eine Polizeikette drängt die anderen ab. Nur gegen einzelne werden Zwangsmaßnahmen nötig, ein brutales Zurückdrängen wie bei der Antifa – in mindestens einem Fall verbunden mit einem Einsatz von Schlagstöcken – wird auch nicht beobachtet. War es gerechtfertigt? Es war ein vergleichsweise vorsichtiges Vorgehen; aus Berlin wurde Brutaleres gemeldet. Schließlich verlassen auch die letzten das Kundgebungsgelände, doch sie müssen dafür einen Spießrutenlauf vorbei an Gegendemonstranten absolvieren, welche sie aus unmittelbarer Nähe beschimpfen. Das jedenfalls hätte verhindert werden sollen und können, mithilfe einer Polizeikette.
Noch bis spät in die Nacht hinein hallt Sirenengeheul durch die Stadt. Vier Polizisten sollen verletzt worden sein. Dass eine Querdenkerin eine Polizeibeamtin ins Bein gebissen haben soll, findet die Polizei später besonders erwähnenswert. Drei Demonstranten beider Seiten sollen verletzt worden sein – wieder eine Polizeiangabe. Das eigentliche Geschäft der Polizei hat die Antifa erledigt und die Demonstration blockiert. So geht Meinungsfreiheit jetzt.
Für eine Stellungnahme zu diesem Demotag war die Polizeidirektion Frankfurt zu diesem Zeitpunkt nicht zu erreichen; eine schriftliche Anfrage wird nur mit einem Verweis auf die allgemeine Pressemeldung beantwortet. Sollten Antworten auf einzelne Fragen nachgereicht werden, werden sie hier angehängt.