Tichys Einblick
Chinesischer Investor BYD springt ab

Rettung des Ford-Werkes in Saarlouis geplatzt

Seit dem Frühjahr steckt das Ford-Werk in Saarlouis in der Krise. Tausende Arbeitsplätze sind bedroht. Der Autobauer BYD hatte Interesse an der Übernahme, zieht sich aber nun überraschend zurück. Steckt mehr dahinter, oder pokern die Chinesen um größere Konzessionen?

IMAGO / BeckerBredel

Das Trauerspiel um die Schließung des Ford-Werkes Saarlouis hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Übernahmegespräche zwischen einem chinesischen Investor und Ford sind gescheitert, der chinesische Investor BYD zieht sich zurück.

Zuvor hatte der US-Autokonzern Ford im Frühjahr 2023 in Köln die Bombe platzen lassen: circa 15.000 Mitarbeitern fallen Rationalisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen zum Opfer, ausschließlich dem Übergang von der Verbrenner- zur Elektromobilität geschuldet.

Mitte 2025 läuft die Produktion des Ford Focus am Standort aus. Aktuell arbeiten dort 4.400 Mitarbeiter, hinzu kommen weitere 1300 in Zuliefererbetrieben. Eine komplette Schließung des Ford-Werkes und die Einstellung der dortigen Focus-Produktion und der Verlust von knapp 6.000 Arbeitsplätzen bedeutet für das kleine Saarland eine beschäftigungspolitische Katastrophe. So als ob Bergbau- und Stahlindustrie wie zwanzig Jahre zuvor abermals eingestellt würden. Damals wurde Ford mit dem Werk Saarlouis als Retter ins Land gelockt, ähnlich wie Opel nach Bochum. Es wurde eine Erfolgsstory – bis das Zeitalter der Elektromobilität von der Politik eingeläutet wurde.

Viele Monate hegte man an der Saar die Hoffnung – nach Kräften genährt durch Ford selber und die Landesregierung unter Ministerpräsidentin Anke Gabriele Rehlinger –, dass ein Investor das Werk und die meisten Beschäftigten übernehmen könnte, zumindest den größten Teil davon. Doch diese Hoffnungen haben sich zerschlagen.

Nach einer eingehenden Machbarkeits-Prüfung und intensiven Verhandlungen, an denen auch die saarländische Landesregierung beteiligt gewesen sei, hat laut Ford der Investor nun entschieden, die Verhandlungen nicht fortzusetzen. Dies teilte Ford-Europachef Martin Sander der Belegschaft bei einer Betriebsversammlung mit (Automobilwoche). Dem Vernehmen nach ist der chinesischer Autobauer in der letzten Phase der Verhandlungen abgesprungen. Eine Absichtserklärung wurde nicht unterzeichnet.

Sander kündigte an, nun einen „alternativen Plan“ zu verfolgen. Es bleibe auch dabei, in Saarlouis 1.000 Ford-Arbeitsplätze der heutigen 4.400 zu erhalten. Im Gespräch sei ein künftiges Technologiezentrum in Saarlouis. Aus Arbeiter der Faust sollen also quasi Arbeiter der Stirn gemacht werden.

Der Betriebsrat in Saarlouis war zutiefst enttäuscht und überrascht. Der Investor habe als Grund für seine Absage „Schwierigkeiten bei der Erstellung eines tragfähigen Finanzierungsplans“ genannt, so Betriebsratschef Thal. Es sei aber jedem klar, dass der betreffende Autobauer auf jeden Fall in Europa eine Fertigung errichten wolle: „Wenn nicht hier in Saarlouis, dann anderswo.“

Laut Thal könnte es jedoch immer noch eine Resthoffnung geben. Denn die Verhandlungen könnten in der kommenden Woche weitergehen. „Wir hoffen, dass diese letzten Verhandlungen erfolgreich sind und eine tragfähige zukunftsorientierte Lösung gefunden werden kann“, so Thal. Wichtig: Der Investor habe sich bereit erklärt, nochmals über einige Punkte zu sprechen. Eine Ford-Sprecherin erklärte dagegen, der Investor habe sich entschieden und erklärt, keine weiteren Verhandlungen mehr zu führen. Ford möchte offensichtlich kein weiteres Geld in die Hand nehmen, um den Investor anzulocken.

Das Saarland selber bot dem Investor einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag an, so der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD). „Es ist uns als Land schließlich gelungen, uns über die Eckpunkte einer Gesellschaftervereinbarung für ein gemeinsames Joint Venture mit dem Investor, weiteren Partnern und dem Land zu einigen“, teilte er mit. Nun sei „ganz klar Ford in der Pflicht, seinen Willen zur Zukunftssicherung für die Beschäftigten zu beweisen und vernünftige Angebote auf den Tisch zu legen“.

Auch der Bezirksleiter der IG Metall, Jörg Köhlinger, zeigte sich nach eigenen Angaben enttäuscht und verärgert. „Letztlich wissen wir nicht, warum Ford, die saarländische Landesregierung und der Investor sich nicht einigen konnten. Wir wissen nur, dass es nicht an der Belegschaft und ihren Vertretern gelegen haben kann.“ Dennoch müsse man jetzt den Blick nach vorne richten und „auf Plan B umschalten.“ Damit meint der Gewerkschafter die bis 2025 geltende Beschäftigungssicherung. Bereits am kommenden Montag werde die IG Metall die entsprechenden Sozialtarifverhandlungen fortsetzen. „Es wird für Ford teuer werden. Wir werden ein Zeichen setzen, dass andere Unternehmen davor zurückschrecken lässt, Standorte platt zu machen.“ Die IG Metall will den US-Autobauer bluten lassen, dem sie die Schuld an dem Scheitern gibt.

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger gab sich ebenfalls kämpferisch: „Das ist für uns alle heute nicht schön hier, aber es ist nicht das Ende des Prozesses. Ich akzeptiere das nicht als Endergebnis“, sagte die SPD-Politikerin. In der SPD geführten Bundesregierung in Berlin dürfte die Botschaft wohl gehört worden sein.

Hat BYD mit der Absage seinen Europa-Start endgültig ad acta gelegt oder pokert der chinesische Autobauer um ein besseres finanziell Angebot? So wie Brandenburg mit Tesla und seiner Autofabrik in Grünheide oder dem Chipwerk von Intel in Magdeburg es vorgemacht haben? „BYD läßt die Muskel spielen“ so die Meinung der Automobilwoche.

BYD (Build Your Dreams) hat seine eigenen Träume in den vergangenen Jahrzehnten in die Tat umgesetzt. Erst im Februar 1995 durch Chuanfu Wang gegründet, hat sich der Autobauer aus Shenzhen von einem Akkulieferanten für Motorola und Nokia mittlerweile zur Nummer eins in China hoch gearbeitet. Und dabei den Volkswagen-Konzern nach beinahe vier Jahrzehnten mit Elektroautos auf Platz zwei verdrängt.

2003 diversifizierte Wang Chuanfu sein Unternehmen und begann mit der Entwicklung von Elektroautos. Mittlerweile hat BYD rund 290.000 Mitarbeiter, weltweit über 30 Industrieparks und mehr als 40 Niederlassungen. An den chinesischen Börsen Shenzen und Hongkong wird BYD gleich mit drei Unternehmen gelistet. 2022 hat BYD mit einer Produktion von 1,8 Millionen Elektroautos Tesla mit 1,7 Millionen bereits von der Weltspitze auf Platz 2 verdrängt. Dabei geht es BYD nicht um die Autobranche allein, denn in mittlerweile 70 Ländern und 400 Städten spielt der chinesische Großkonzern eine wichtige Rolle in den Branchen Automobil, Elektronik, erneuerbare Energien und Schienenverkehr.

Seit dem Jahre 1998 ist BYD auch in Europa präsent – wenngleich mit weniger Aufmerksamkeit und kaum mit nennenswerten Stückzahlen auf den imageträchtigen Märkten wie Deutschland, Italien, Frankreich oder einst England. Das soll sich bis zum Ende des Jahrzehnts ändern. Auf verschiedenen Märkten sind bereits die Elektromodelle Atto 3, Tang und Han vertreten. Das nächste Modell, das sich ankündigt, ist der BYD Song L, der optisch an den Kia EV6 erinnert. BYD sorgte nicht zuletzt mit einem großen Flottengeschäft für Aufsehen. Der chinesische Autohersteller und Mietwagengigant Sixt einigten sich auf die Lieferung von 100.000 Elektroautos in den kommenden sechs Jahren.

Auf der Auto Shanghai 2023 hatte BYD seinen großen Auftritt – vor heimischem Publikum deutlich imposanter als in Barcelona zwei Wochen später. Dabei sorgte nicht allein der Edel-Offroader Yangwang U8 für Aufsehen, sondern auch der spektakulär gezeichnete Elektrosportler Yangwang U9. Beide Modelle stehen auf der neu entwickelten E4-Plattform. Diese Plattform ist neben dem Akkupaket mit vier einzelnen Elektromotoren ausgestattet, was eine besonders filigrane Ansteuerung der Antriebsmomente ermöglichen soll. „Die Marke Yangwang wird die erste sein, die die Spitzentechnologien der BYD-Gruppe einsetzt und den Kunden auch unter extremen Fahrbedingungen ein Höchstmaß an Sicherheit, Leistung und Erfahrung bietet“, sagte Wang Chuanfu, Chairman und President von BYD. (Stern)

Doch Build Your Dreams setzt nicht allein auf die höheren Segmente, sondern will insbesondere mit dem kleinen Seagull Elektromodelle für Jedermann weltweit erschwinglich machen. Der Einstiegspreis von unter 79.000 RMB – umgerechnet kaum mehr als 11.000 Euro – ist eine Ansage an Modelle wie den künftigen VW ID2, den Volkswagen in zwei Jahren für rund 25.000 Euro angekündigt hat. Trotz Einstiegssegment ist er mit der neuesten Blade-Akkutechnik ausgestattet und rollt auf der E-Plattform 3.0, die auch den Dolphin beheimatet. Für die Märkte, auf denen Hybridmodelle noch eine Rolle spielen, gibt es ab Sommer zumindest übergangsweise den BYD Chaser 07. Aktuell ist die Kompaktklasse-Limousine das einzige Modell mit Plug-in-Hybridantrieb, der auf dem Heimatmarkt zu Preisen zwischen 200.000 und 250.000 RMB elektrische Reichweiten bis zu 200 Kilometern bietet. Doch generell hat BYD seit Mitte 2022 komplett auf Elektromodelle umgesattelt und ist das Zugpferd der weltweiten China-Offensive.

Auf dem Heimatmarkt China hat BDY den Konkurrenten VW nach 15 Jahren von der Spitzenposition der Zulassungsstatistik verdrängt. Zudem zog BYD bei den Elektroautos an Tesla vorbei. Vom einstigen Batterieproduzenten für die Smartphone-Industrie ist BYD damit zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für die etablierten Hersteller aufgestiegen. Von daher überrascht es nicht, dass BYD auch in Europa – so wie Tesla – mit einem eigenen Werk vertreten sein will, um dem Hauptkonkurrenten aus USA noch näher auf den Pelz zu rücken. Die Option dafür lautete Saarlouis. Das galt zumindest bis zum 5. Oktober 2023.

Die zentrale Frage lautet: Legt BYD mit Beendigung der Gespräche in Saarlouis seine Europa-Pläne ad acta? Oder ist das Ganze nur eine Verhandlungsvolte, um ähnlich günstige Konditionen für die Übernahme eines gebrauchten Werkes zu erlangen, wie sie Tesla für seinen kompletten Neubau in Grünheide, der 5,8 Milliarden Euro gekostet hat, zugeflossen sind? Der US- Elektroauto-Hersteller hat Stand heute für seine Giga-Fabrik von Bundesregierung und EU-Kommission laut Regierungskreisen Fördermittel in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro erhalten.

Als sicher kann gelten, dass BYD seine Werkplanung in Europa nicht aufgegeben hat. Chinesische Kaufleute sind als gewitzt und clever bekannt. 500 Millionenen Fördermittel in Saarlouis für ein bestehendes Werk stehen 1,1 Milliarden für einen Neubau gegenüber. Dafür fallen in Saarlouis Umbaukosten an.

Solche Überlegungen dürften BYD nicht fremd sein. Die Verhandlungen werden aller Voraussicht nach also weitergeführt, wenn auch für die deutsche Seite zu schlechteren finanziellen Konditionen. Ford hingegen dürfte zu keinen weiteren Konzessionen bereit sein – dann wird das Werk eben geschlossen. Das Ergebnis des Prozesses ist offen und dürfte ohne finanzielle Beteiligung der Bundesregierung und der EU wohl kaum zum gewünschten positiven Ende führen.

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