Tichys Einblick
Gedanken zum öffentlichen Umgang mit dem Unvorstellbaren

Flugkatastrophe: Innehalten ist das Gebot der Stunde – und Demut

Der garantiert dümmste Beitrag zur Katastrophe stammt von EMMA: Auf dem Feuerchen der Katastrophe wird das billigste politische Geschäftchen gekocht.

Schüler, Eltern und Lehrer an der Schule und Bürger in Haltern trauern zusammen. Menschen, die sich kennen, versuchen, denen unter ihnen, die ihre Liebsten verloren haben, zur Seite zu stehen. Freunde und Bekannte der Opfer und Angehörigen in Spanien und Deutschland tun Gleiches. Was wäre natürlicher?




Vertreter der Lufthansa, von German Wings, von Ermittlungsbehörden, Helferorganisationen und andere Personen des öffentlichen Lebens bemühen sich um einen angemessenen, respektvollen Umgang mit dem Schrecklichen. Politiker sind darum in der Nähe des Schreckensortes, in den Medien und an öffentlichen Orten bemüht. Ihre Zuwendung gehört zu allererst den Angehörigen der Opfer. Soweit ich sehe, tun das alle in Würde. Besonders beeindruckt mich die Haltung der Bewohner des kleinen Alpendorfes Seyne-Les-Alpes.

Die Verantwortlichen bei der Lufthansa und anderswo werden ihre Sicherheitsvorschriften auf den  Prüfstand stelle. Eilfertige Rezepte helfen nicht. Nichts sollte geschehen, nur damit etwas geschieht. Wenn Piloten öfter zum Psychocheck müssen, was ist dann mit Lokführern, Busfahren, Truckern und Führerschein-Besitzern überhaupt? 100 Prozent Sicherheit gibt es nicht.

Im Zusammenhang mit der Tragödie werden viele andere Fragen diskutiert. Ob Medien den Namen des Copiloten nennen und sein Bild zeigen dürfen. Und so weiter. Diese Fragen sind von Bedeutung. Im Vordergrund stehen sie für mich nicht. Dass die Flugkatastrophe kein Unglück war, sondern als Tat eines einzelnen eingestuft wird, mischt Wut unter Bestürzung und Trauer. Aus Wut wird schnell Hass und Hetze. Das sollten alle bedenken, die sich äußern.

Öffentliche Gefühlsbekundungen liegen mir nicht. Bei vielen Menschen ist das anders. Das respektiere ich natürlich. Doch die ganz und gar unduldsame Gier nach immer neuen Details des Unglücks ist mir zutiefst zuwider, der kollektive Voyeurismus ein Graus. Wer an ihm mitwirkt, den verabscheue ich, seien es die stets gleichen Sensationsgeilen in den Social Media oder leibhaftige Journalisten. In den Tagen dieser unfassbaren Tragödie funktionieren immerhin – wenn auch mit Zeitverzögerung – die Selbstheilungskräfte der Medien. Aber die eifernden Besserwisser und geifernden Verschwörungsschwätzer auf Facebook und Twitter sind eine einzige Schande.

„Wer jetzt schon klarsieht, stochert nur weiter im Nebel herum. Wer jetzt schon Antworten gibt, hat viele Fragen noch nicht gestellt. Wer jetzt schon Bescheid weiß, dem mangelt es an Demut. Manches muss erst ertragen worden sein, bevor es verstanden werden wird.“ Besser als Malte Lehming im Tagesspiegel kann man das kaum fassen.

Wer jetzt schon alles weiß, dem geht es nicht um Wissen, schon gar nicht um Verstehen, sondern um Rechthaben und Besserwissen. Die ohnmächtigen Gefühle der Angehörigen, Freunde und Mitbürger der Opfer sind den Sensationsgeilen fremd. Ihre Trauer und Verzweiflung haben keinen Platz bei den Süchtigen nach immer noch mehr Schauerlichem. Selbst krankhaft ist die Gier, mit der sich diese Leute auf jedes neue Indiz für eine psychische Krankheit des Copiloten stürzen. Nur zu gern lassen sich viel zu viele auf die eine und einzige Erklärung für die Flugkatastrophe festlegen. Obwohl alle nüchtern Abwägenden darauf verweisen, dass nach wie vor auch andere möglich sind.

In den Medien finden Selbstkritik und Selbstkorrekturen statt. Wen das wie ich freut, sollte es den Journalisten sagen. Beim Fernsehen vermisse ich noch jeden Ansatz zur systematischen Korrektur. Wenn es nichts oder nur wenig Neues gibt, muss ein „Spezial“ wieder abgesetzt werden oder ganz kurz sein. Stundenlange Endlosschleifen mit identischem Inhalt – für wen? Wer es nicht erwarten kann, hängt sowieso am Nachrichten- und Gerüchtetropf im Netz. Und wenn Experten nicht mehr wissen können als jeder Nachrichtenkonsument, sollten Talkrunden dazu nicht stattfinden. Und die dümmste und peinlichste Reaktion steht bei EMMA: Frauenquote fürs Cockpit. Wie ignorant jeder Form Anstand gegenüber! Hier sieht man, wes Geistes Kind die Verfechterinnen sind.

Innehalten im Respekt vor den unmittelbar Betroffenen könnten wir alle, Private, Institutionen und Medien. Uns selbst Fragen stellen, mit unseren Mitmenschen sprechen, offline, nicht online. Warum stellen wir nicht wenigstes in diesem Übermaß von Schrecken die hektische Neuigkeitenjagd einfach mal ein? Bis wir wissen, was wirklich zur Katastrophe führte, dauert. Dass wir keine letzte Gewissheit finden, ist leider möglich. Die Angehörigen und Freunde der Opfer haben ihre Lieben verloren. Diese Gewissheit vergeht nicht. In Demut verneigen sollten wir uns.




Die mobile Version verlassen