Tichys Einblick
Es geht um mehr als nur Geld

Flüchtlingsgipfel: Deutschland steht am Scheideweg

Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten tagen an diesem Mittwoch zur Flüchtlingsfrage. In der Berichterstattung geht es im Wesentlichen ums Geld. Doch das ist nicht wirklich der Kern des Problems.

Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Oma Ella kannte eine einfache Methode, um heulende Kinder zu beruhigen: Sie knallte 20 Mark auf den Tisch und plärrte: „Jetz helschte aver dei Maul!“ Das half. Das Kind vergaß die Schramme von seinem Radunfall. Nach drei Tagen war die ohnehin verheilt – und 20 Mark waren einmal viel Geld.

So einfach wird es Olaf Scholz (SPD) nicht haben. Zwar fordern die Länderchefs mehr Geld vom Bundeskanzler. Doch damit allein ist die Einwanderungsfrage noch nicht beantwortet. Was nutzen Berlin mehr Zuschüsse, um Wohnungen für Flüchtlinge zu bezahlen, wenn es keine Wohnungen gibt? Was nutzt dem Saarland ein Etat für Integrationskurse, wenn Pädagogen für diese Kurse fehlen. Und was nutzen Kurse über die Inhalte des Grundgesetzes oder deutsche Esskultur, wenn in diesen Kursen Teilnehmer sitzen, die es für eine geeignete private Konfliktlösung halten, einem Andersgläubigen ein Messer in die Rippen zu stechen?

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Sicherlich wird Scholz den Ländern ein wenig mehr Geld gewähren. Schon um Ruhe zu haben. So haben es acht Bundeskanzler vor ihm in ähnlichen Fragen auch immer gehalten. Doch selbst die Politik, sämtliche Löcher mit Geld füllen zu wollen, nähert sich ihrem Ende. Die Warnungen sind schon da. So hat die Internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, OECD, jüngst Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ermutigt, es sei durchaus richtig, die energieintensive Industrie mit Steuern zu stützen. Aber die deutsche Steuerpolitik dürfe nicht ausufern. Das Land dürfe nicht weiter versuchen, all seine Probleme mit Geld lösen zu wollen.

Alleinstehende zahlen weltweit nur in Belgien mehr Steuern als in Deutschland, hat die OSZE attestiert. In der Verteidigung, dem Klimaschutz und angesichts der Folgen haut das Land zusätzliche Schulden raus, als gäbe es kein Morgen mehr. Diese beschönigend „Sondervermögen“ zu nennen, wird die Folgen nicht abfedern. Schon jetzt nimmt der Staat seinen Bürgern so viele Steuern ab wie noch nie – kommt aber trotzdem nicht mit seinem Geld aus.

Woran es liegt? Diese Frage ist schnell beantwortet: Es ist der Sozialstaat, Stupid. Der ist unter Angela Merkel (CDU) ausgeufert. Und es war klar, dass es nicht die oberste Priorität eines Sozialdemokraten sein würde, diese Entwicklung wieder einzufangen. 1,2 Billionen Euro betrug 2021 nach Berechnungen des Bundes die Summe aller Sozialleistungen in Deutschland. Das entspricht 32,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Einen von drei Euros gibt Deutschland also für das Soziale aus. Wenn da die OSZE sagt, dass nicht mehr viel Luft nach oben sei, verwundert das nur wenig.

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Und ja: Die unkontrollierte Einwanderung hat an dieser Explosion des Sozialstaates einen großen Anteil. Diese Wahrheit ist unbequem. Das zeigt schon, wie sich Scholz und die Sozialdemokraten in seinem Kabinett vor der Kostenfrage in der Einwanderung winden: Die Länder fordern eine Kopfpauschale von 1000 Euro. Je mehr Einwanderung es gibt, desto mehr würde sie demnach kosten. Eine einfache, rationale und nachvollziehbare Position.

Der Bund sagt aber: Wir zahlen schon viel, das muss reichen. Gleichzeitig erhöht eben dieser Bund die Anreize für Einwanderung. Dazu greift die Bundesregierung wieder zum sprachlichen Spagat: Sie erklärt, Facharbeiter könne auch sein, wer keine Ausbildung hat. Abrakadabra – und es kommen nur noch Fachkräfte nach Deutschland. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wehrt sich dagegen, diese Lockeffekte als Lockeffekte zu bezeichnen und die Einwanderung irgendwie begrenzen zu wollen. Es ist ein Kampf gegen die Realität.

Das zeigt die Position der Bundesregierung in der Finanzierung der Flüchtlingsfrage: Sie will die Kosten für Einwanderung deckeln, aber nicht die Einwanderung. Unbegrenzte Einwanderung verursacht keine zusätzlichen Kosten, heißt die Theorie. Diese Theorie darf durch keine Realität gestört werden, etwa durch Rechnungen der Länder. Unbegrenzte Einwanderung kostet nichts, heißt Faesers Mantra, und falls doch, sollen das halt die Länder bezahlen oder die Kommunen oder sonst wer. Die Politik Scholz’, Faesers und der Bundesregierung zeigt den Reifegrad eines Vierjährigen, der die Augen vor einer Gefahr schließt und sich dann vor dieser Gefahr sicher wähnt.

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Diese Gefahr lautet: Scheitert die Begrenzung der Einwanderung, scheitert der Sozialstaat. 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, 50 Prozent, 60 Prozent – irgendwann bricht der Sozialstaat zusammen. Nicht nur die OSZE warnt davor. Und wenn der Sozialstaat zusammenbricht, ist der soziale Frieden in Deutschland massiv gefährdet. Und nicht nur wegen der Gefahr von Rechts, die Faeser dieser Tage wieder stärker beschwört. Dann sind Millionen junger Männer gekommen in der Hoffnung auf einen Staat, der sie vollversorgt – es dann aber nicht tut. Da werden noch viele Integrationskurse notwendig sein.

Und auch, ja, ebenfalls eine unangenehme Wahrheit: Der deutsche Sozialstaat lockt. Wer in einem Land mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 300 Euro lebt, für den ist es eine Verlockung, wenn ein Staat verspricht, ihn mit 1000 bis 2000 Euro im Monat zu alimentieren, ohne dass er dafür irgendwas tun muss.

Es kommen nach Deutschland auch fleißige, kluge Menschen, die hier etwas leisten wollen und können. Aber: Manche Staaten bieten gering versteuerte Gehälter, aber nur wenig Schutz, wenn du nichts dafür tust. Ein anderer Staat bietet ein gut dotiertes Leben, wenn du nichts tust – nimmt dir aber über Steuern und Abgaben wieder fast jedes zusätzliche Geld ab. Wohin gehen wohl die Klugen und Leistungswilligen? Wohin die Faulen? Wer die Antwort auf diese Frage laut ausspricht, gerät in die Fahndungsmaschinerie dieses Staates – so sehr fürchtet sich dieser mittlerweile davor, auf seine Widersprüche aufmerksam gemacht zu werden.

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Einer dieser Widersprüche lautet, dass die Einwanderung unseren Wohlstand absichert. Doch heute beraten 17 Regierungschefs über die Kosten dieser Einwanderung – und darüber, dass diese Kosten ausufern. Weil es zwei Sorten Einwanderung gibt, die in Deutschland aber nicht unterschieden werden dürfen. Deutschland braucht die polnische Pflegekraft, den indischen Arzt und den marokkanischen Müllarbeiter – sonst brechen hier bald tatsächlich Systeme der Grundversorgung zusammen.

Die unkontrollierte Einwanderung bringt uns aber zu viele, die in der staatlichen Fürsorge landen. Auch hier behelfen wir uns mit sprachlichen Tricks. Wir nehmen Einwanderer in die Arbeitslosigkeit auf, schicken sie in Fördermaßnahmen und erklären Fördermaßnahmen zu einer Beschäftigung. Simsalabim, ist die Beschäftigung auf einem Rekordniveau, während gleichzeitig Fachkräftemangel herrscht und die Wirtschaft stagniert.

Taschenspielertricks täuschen kurzfristig. Die Realität bleibt: arbeitslos ist arbeitslos. Auf staatliche Alimentierung angewiesen ist auf staatliche Alimentierung angewiesen. Ungelernt ist ungelernt. Analphabet ist Analphabet. Wenn Deutschland nicht endlich anfängt, seine Probleme beim Namen zu nennen, wird es seine Probleme nicht lösen. Wenn Deutschland seine Probleme nicht löst, ist die Basis seines Wohlstands und seines sozialen Friedens gefährdet. Es wird nicht reichen, wenn Olaf Scholz heute etwas mehr Geld auf den Tisch knallt. Damit ist höchstens Oma Ella durchgekommen, wenn ein Kind vom Fahrrad gefallen ist.

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