Tichys Einblick
Entwurf zur Kindergrundsicherung

Die FDP feiert einen Scheinerfolg, der noch teuer wird

Die Ampel hat sich auf einen Entwurf für die „Kindergrundsicherung“ geeinigt. In der Finanzierung hat sich kurzfristig die FDP durchgesetzt – doch ein Ausufern der staatlichen Zahlungen ist im Entwurf bereits angelegt.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Pressekonferenz zur Einigung bei der Kindergrundsicherung, Berlin, 28.08.2023

IMAGO / photothek

Olaf Scholz (SPD) ist kein ambitionierter Mensch. Zu den wenigen Zielen, die der Kanzler sich vorgenommen hat, gehörte die Absicht, die langen Nachtsitzungen seiner Vorgängerin sein zu lassen. Die Idee, sich so lange müde zu verhandeln, bis sich das Gegenüber auf irgendeinen Kompromiss einlässt – um dann nach dem Ausschlafen festzustellen, welchen Quatsch man beschlossen hat. Wie bei der legendären „Osterruhe“, die Merkel einen Tag nach der Verkündung wieder zurücknahm.

Auch in der Absicht ist Scholz gescheitert: Den Entwurf für die „Kindergrundsicherung“ haben seine Minister über Nacht verhandelt. Die Ergebnisse haben sie dann befreundeten Medien mitgeteilt. Diese haben im Gegenzug die Schlagzeile geliefert: „Koalition hat sich geeinigt.“ Diese Schlagzeile ist Scholz wichtig. Das ist die gute Nachricht. Wie gut ein Gesetz ist, ist ihm ebenso wenig wichtig wie seiner Vorgängerin.

Die Idee der Kindergrundsicherung lautet: Alle staatlichen Leistungen, die Eltern für ihre Kinder erhalten können, sollen sie künftig aus einer Hand erhalten. Das Kindergeld heißt jetzt „Kindergarantiebetrag“, dazu kommt ein „Kinderzuschlag“. Den Zuschlag bekommen Menschen im Bürgergeld und Menschen mit geringen Einkommen. Die zuständige Behörde wird bei der Agentur für Arbeit angesiedelt – wie schon beim Kindergeld. Obendrein wollte die federführende Ministerin Lisa Paus (Grüne) höhere Beiträge durchsetzen.

In diesem Punkt ist sie weitgehend gescheitert. Vorerst. Der Schlagzeilen-Kanzler schenkt einen Erfolg dem Koalitionspartner, der bei den Wahlen in Bayern und Hessen den Rausschmiss aus dem jeweiligen Landtag fürchten muss. Paus hatte 12 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung gefordert – Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte ihr 2 Milliarden Euro zugesagt. Jetzt haben sich beide auf 2,4 Milliarden Euro geeinigt. Der FDP-Wahlkämpfer startet mit einem Sieg in die neue Saison.

Doch was dieser Sieg wert ist, wird sich bald zeigen. Denn zu der nächtlichen Einigung gehört der Beschluss, das „soziokulturelle Existenzminimum“ für Kinder neu zu bemessen. Die Ampel lässt also neu ausrechnen, wie viel Geld ein Kind braucht. Angesichts der Inflation wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu höheren Beitragssätzen führen. Paus rechnet auf der Pressekonferenz den Journalisten dann auch offen vor, dass die Ausgaben für die Kindergrundsicherung in den nächsten Jahren auf 6 Milliarden Euro steigen werden. Lindner sitzt daneben, lächelt und mag sich denken: Lieber heute eine gute Schlagzeile, als mich um ein dauerhaft gutes Gesetz zu sorgen.

Von den 400 Millionen Euro, die der Finanzminister Paus zusätzlich gewährt, geht laut Lindner einiges für Verwaltungskosten drauf. Und in der Tat wird das Gesetz, von dem sich die Ampel weniger bürokratischen Aufwand versprochen hat, für mehr bürokratischen Aufwand sorgen. So soll es etwa künftig einen „Kindergrundsicherungs-Check“ geben. Mit dem soll die zuständige Behörde ermitteln, wer den Zuschlag bekommt und wer nicht. Einige Kinder, die bisher einen vorläufigen Zuschlag von 20 Euro erhalten haben, sollen den weiter erhalten – bei anderen soll der Zuschlag auf 28 Euro erhöht werden.

Vereinfachen möchte Paus das bisherige „Teilhabe“-Paket. Das Familienministerium möchte ein „Portal“ aufbauen, auf dem sich Eltern über die Leistungen informieren und diese auch beantragen können. Wann steht eine neue Internetseite in Deutschland bereit? „In den nächsten Jahren“, wie Paus sagt.

Der Erfolg der FDP hat anderthalb Unbekannte. Klar ist, dass die Kosten für die Kindergrundsicherung steigen werden, wenn die Sätze angehoben werden. Unklar ist nur, wie hoch die Kosten sein werden, die daraus entstehen. Paus spricht von 6 Milliarden Euro. Komplett unklar ist, wie viele Kinder künftig für den Zuschlag empfangsberechtigt sein werden. Die Arbeitslosenzahl ist jüngst gestiegen, die Zahl der Empfänger von Bürgergeld auch. Lindner selbst hat jüngst auf den Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kinderarmut hingewiesen – die Einwanderung schreitet aber ungebremst voran.

Auf Dauer hat Paus einen Sieg eingefahren. Einen machtpolitischen. Einen ideologischen. Aber keinen inhaltlichen. In dem vorbereiteten Statement hat die Familienministerin noch vollmundig verkündet, die Kindergrundsicherung sei ein „Paradigmenwechsel im Kampf gegen Kinderarmut“. Dann fragen sie Journalisten, ob sie wirklich glaube, dass dieses Gesetz Kinderarmut abschaffe. Treffer. Paus stottert: „Ähh… Wir haben das gut zusammen gemacht.“ Dann leiert sie Sprachregelungen runter und räumt schließlich ein: „Sie (Kinderarmut) abzuschaffen, dafür braucht es einen größeren Impuls.“ Die Frage, wie dieser „Impuls“ aussehen soll, bleibt offen.

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