FAZ und Netzpolitik: Rechtsradikales Netzwerk enthüllt oder auch nicht
Alexander Wendt
Netzpolitik.org attackiert ihren Lieblingsfeind Hans-Georg Maaßen mit einer nichtssagenden Twitter-Auswertung. Drive bekam das Unternehmen erst, als ein FAZ-Journalist das Ganze kritiklos abschrieb und mit eigenen Unterstellungen garnierte.
Gäbe es einen Darwin-Award speziell für Journalisten, dann hätte ihn der FAZ-Redakteur Lorenz Hemicker für seinen Beitrag über die Twitter-Follower des früheren Verfassungsschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen redlich verdient. Hemicker überschrieb seinen Beitrag in der FAZ mit der Zeile: „Rechtsradikales und Rassismus: Wie Maaßens Follower twittern“; der Artikel selbst besteht in einer weitgehend unkritischen Wiedergabe einer statistischen Auswertung des Vereins Netzpolitik.org zu den gut 21.000 Twitter-Followern Maaßens. Eins Vorab: Netzpolitik hatte überhaupt nicht untersucht, welche Inhalte Maaßens Follower twittern und retweeten. Mit seiner Headline „Rechtsradikales und Rassismus“ unterstellt der FAZ-Mann deshalb etwas, was selbst die Netzpolitik-Aktivisten gar nicht behauptet hatten. Irgendeinen Beleg dafür, unter den wichtigsten Twitter-Konten, die Maaßens Follower ebenfalls ansteuern und weiterverbreiten, gebe es „jede Menge Accounts, die Nachrichten verfälschen und offen rassistisches, rechtsradikales oder rechtsextremes Gedankengut vertreten“ (Hemicker) – auch dafür bleibt der FAZ-Redakteur jeden Beleg schuldig, so wie Netzpolitik.org selbst.
Aber zurück zur öffentlich dokumentierten Arbeitsweise von Lorenz Hemicker: Die von ihm praktisch eins zu eins übernommene Untersuchung befasst sich also mit der Beobachtung von Twitterverhalten. Dass sein eigenen Zwitscher-Nachrichten wiederum von anderen beobachtet werden könnten, musste Hemicker vorübergehend verdrängt haben. Denn am Freitag um 11.21 twitterte er den Link zu seinem FAZ-Artikel in die Welt, der, siehe oben, aus praktisch nichts anderem bestand als der abgeschriebenen Mitteilung von Netzpolitik.org, garniert mit einigen Fehlschlüssen und unbelegten Behauptungen aus eigener Produktion. Um 11.42 twitterte Hemicker dann den Autor der Maaßen-Twitterfollower-Untersuchung Johannes Filter (und praktisch auch jeden anderen Mitleser) an: „Lieber Herr Filter, vielen Dank fürs Folgen. Können Sie mir die Studie schicken?“
Selten wurde ein qualitätsjournalistischer Betriebsablauf je so gut dokumentiert: Erst der Kommentar in Gestalt einer Überschrift setzen, dann das Abschreiben von fremden Inhalten, drittens der Versuch, so etwas wie eine Recherche anzuleiern. Und viertens: sich mit der Verteidigungslinie vollends blamieren. Als Rainer Meyer alias Don Alphonso (einer der politisch verdächtigen Publizisten und Twitterer, die von Maaßens Followern regelmäßig angesteuert werden) bei Hemicker nachfragte, ob er das für eine vertretbare journalistische Praxis halte – abschreiben, dann schnell noch die Recherche nachholen, zumindest den Blick in die Originalquelle – schrieb Hemicker schnippisch zurück: „Ich hatte Klärungsbedarf. Wo ist das Problem?“
Um dann, als er selbst zu merken schien, was er da getippt hatte, nachzuschieben: „Zur Erklärung: Es ist nicht unüblich, dass wir uns in Meldungen auf Berichte und Recherchen anderer beziehen. Unsere Quellen kennzeichnen wir allerdings – wie auch in diesem Artikel – deutlich.“ „Idealerweise – da gebe ich Ihnen Recht – wäre es in diesem Fall andersherum besser gelaufen. Die Kritik nehme ich an. Das ändert aber nichts an dem zuvor Gesagten.“
Ändert nichts am Gesagten: um diese Aussage zu würdigen, muss man sich noch einmal ins Gedächtnis rufen, was Netzpolitik überhaupt sagte – und was FAZ/Hemicker daraus machte. Johannes Filter hatte ausgewertet, wer unter den gut 21.000 Twitter-Followern von Maaßen zwischen dem 26. April und dem 12. Juli Inhalte von Maaßen retweetet hatte (etwa 4.000). Bei diesen etwa 4.000 Accounts untersuchte Filter, welche Accounts sie im Zeitraum noch retweeteten. Daraus erstellte er ein Ranking der am häufigsten retweeteten Accounts.
Es handelt sich also nicht um ein Netzwerk von Maaßen und auch sonst nichts, was Maaßen irgendwie steuern und beeinflussen könnte. Unter den 4.000 Untersuchten muss jemand noch nicht einmal direkt mit Maaßens Account interagiert haben. Filter fragte auch nicht danach, ob durch das Retweeten eine getwitterte Aussage bejaht oder kritisiert wurde. Sein zentrales Fazit: „Maaßens Follower retweeten oft rechtsradikale Accounts, aber fast nie die CDU“ belegt weder Johannes Filter noch Netzpolitik – denn es fehlt jede Beweisführung, was genau an dem ehemaligen Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy, dem früheren Focus- und heutigen Tichys Einblick-Autor Boris Reitschuster, dem Hamburger Anwalt Joachim Steinhöfel, den Publizisten Don Alphonso (ehemals FAZ, jetzt Welt), Autor und Publizist Dushan Wegner, dem früheren Merian-Chefredakteur Andreas Hallaschka, dem Blogger Ali Utlu, die Journalisten Alexander Kissler (Cicero) und Philipp Plickert (FAZ) und vielen anderen genannten rechtsradikal sein soll. Ein weiteres Schaubild erweitert das Ranking auf BILD-Parlamentsbürochef Ralf Schuler, die Journalistin Birgit Kelle (WELT), den Büroleiter der NZZ in Berlin, Marc Felix Serrao, Thomas Ney von der Piraten Partei und und und.
Hemicker macht in der FAZ folgendes daraus:
„Die genauere Untersuchung dieser 4.000 Accounts deutet demnach darauf hin, dass Maaßens eingeschworene Anhängerschaft auf Twitter mit der CDU wenig am Hut hat. Der CDU-Politiker mit den meisten geteilten Maaßen-Inhalten rangiert erst auf Platz 82. Alexander Mitsch ist wie Maaßen selbst Mitglied des Vereins Werteunion, eines rechtskonservativen Zusammenschlusses von Unionsmitgliedern mit rund 2.000 Mitgliedern. Davor (und auch dahinter) rangieren jedoch auch jede Menge Accounts, die Nachrichten verfälschen und offen rassistisches, rechtsradikales oder rechtsextremes Gedankengut vertreten.“
Wieviel ist „jede Menge“? Wer ist mit genau welchen Inhalten rassistisch, rechtsradikal oder sogar rechtsextrem? Wer verfälscht welche Nachrichten? Nichts davon beantwortet Hemicker, er versucht sich noch nicht einmal an einer Antwort. Das einzige, was sich aus der statischen Untersuchung herauslesen lässt, ist die Aussage: Viertausend von 21.000 Twitter-Followern Maaßens haben von April bis Juli 2019 nur wenig andere CDU-Politiker retweetet. Sensation!
Daraus macht Johannes Filter beziehungsweise Hemicker: „’Auf Twitter ist Maaßen eine feste Größe in der rechten Parallelgesellschaft’, zitierte Netzpolitik Johannes Filter, der die Analyse vorgenommen hat. Personen, die Maaßen verbreiteten, retweeteten auch viele Accounts, bei denen es zweifelhaft sei, ob sie sich noch im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen.“
Je mehr sie deuten und meinen, desto mehr verheddern sich die Netzdetektive in ihren Argumentationskettchen. Der Ex-Verfassungsschutz-Chef wird also wegen eines Teils seiner Twitter-Follower einer „rechten Parallelgesellschaft“ zugeschlagen. Nanu? War sie nicht bis eben noch „rechtsradikal“ bis „rechtsextrem“? Und eigentlich besteht diese Parallelgesellschaft auch nur überwiegend aus liberal-konservativen Publizisten? Neben welcher eigentlichen Gesellschaft existieren diese Publizisten eigentlich parallel?
Über Maaßen hatte netzpolitik.org schon in der Vergangenheit ein ziemlich eindeutiges Urteil gefällt: „Maaßen ist der geheimdienstgewordene Sarrazin der Christdemokraten, der Matussek unter den Schlapphüten, eine Erika Steinbach mit Nickelbrille. Doch im Gegensatz zu diesen Leuten war er bis letztes Jahr Chef einer Behörde mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und weitreichenden Ermittlungsbefugnissen.“
Vielleicht hätte Lorenz Hemicker seinen Lesern aus Transparenzgründen deutlich machen sollen, dass hier nicht eine neutrale Instanz eine Untersuchung über Maaßens Twitter-Anhänger verbreitet, sondern eine Organisation, die den CDU-Mann schon seit längerem mit geifernder Polemik verfolgt.
Apropos: Gibt es eigentlich eine Untersuchung, was Leuten, die netzpolitik.org folgen, außerdem noch gefällt?
Die vorläufige Pointe des Maaßen-Netzpolitik-Hemicker-Schwanks liegt darin, dass die Aktivisten von Netzpolitik schon nach dem ersten Gegenwind fast alle ihre wackligen Schlussfolgerungen wieder einsammelten:
„Zum einen wird uns vorgeworfen, wir würden alle Accounts in einen Topf werfen und sie alle als rechtsradikal bezeichnen. Das stimmt nicht. Die Grafiken ergeben sich aus den offengelegten mathematischen Berechnungen der Daten. Auch die Formeln, die für die mathematischen Berechnungen angewandt wurden, haben wir offengelegt: Nähe und Distanz in der Darstellung der Cluster ergeben sich daraus, welche Accounts zusammen mit welchem anderen Account retweetet werden. Dies ist eine rein numerische Darstellung. Im Text werden zwar einige Accounts explizit als rechtsradikal und/oder rassistisch bezeichnet, es sind solche bei denen es daran keinen Zweifel gibt. In Bezug auf die übrigen Accounts wird eine derartige Behauptung aber nicht aufgestellt oder ein solcher Eindruck vermittelt. Im Gegenteil: Der Text stellt klar, dass wir beispielsweise den Account von @rolandtichy, der die Liste der meisten Retweets sogar anführt, nicht als rechtsradikal einstufen. Gleiches gilt neben weiteren selbstverständlich für die Accounts von @hallaschka_HH, @alicologne, @MarcFelixSerrao, @kachelmann, @drumheadberlin, @PhilipPlickert, @Arnd_Diringer oder @neythomas, die in den Grafiken auch irgendwo Erwähnung finden.“
Um mit Loriot zu sprechen: „Achwas?“ Und welche aus der Hitliste der oberen 25 sind nun rechtsradikal? Beziehungsweise sogar „rechtsextremistisch“?
TE hat Lorenz Hemicker angefragt, ob er seinen Text inhaltlich korrigieren beziehungsweise ergänzen möchte. Sollte eine Antwort eintreffen, reichen wir sie gern nach.
Netzpolitik.org ihrerseits beklagt sich über den „Shitstorm“ und „Klageandrohungen“. Offenbar sieht man dort schon in der Möglichkeit, dass jemand den Rechtsweg beschreiten könnte, eine schlimme Druckausübung.
Jedenfalls ruft Netzpolitik schon einmal präventiv auf, Geld zu schicken.
Möglicherweise lag darin – im Fundraising – ja auch der Zweck des ganzen Unternehmens. Das hätte allerdings nicht funktioniert, wenn die Organisation nicht einen Qualitätsjournalisten einer Qualitätszeitung als Multiplikator gefunden hätte. Der Satz „dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ muss sich heute nicht mehr auf die FAZ selbst beziehen.
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