Tichys Einblick
Noch keine Äußerung des Angeklagten

Fall Illerkirchberg: Prozessauftakt und die Sorge um die Instrumentalisierung

In Ulm begann der Mordprozess um den Messerangriff auf Ece S. und ihre Freundin im vergangenen Dezember. Es war ein kurzer Prozesstag, doch nicht ohne erste Einblicke. Der Angeklagte versteckte sich hinter schwarzen Aktendeckeln und Selbsttraumatisierung.

IMAGO / ZUMA Wire

In Ulm hat der Mordprozess um den eritreischen Messerangreifer begonnen, der Ende letzten Jahres zwei Schulmädchen in dem kleinen Ort Illerkirchberg in Baden-Württemberg attackierte. Der Schock war groß, als die Nachricht bekannt wurde, dass ein Schulmädchen durch den Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft auf offener Straße erstochen worden war. Der türkische Botschafter reiste aus Berlin an – das Mordopfer war türkischer Herkunft –, ebenso Landesinnenminister Strobl. Tagelang wurde über diesen und ähnliche Fälle diskutiert. Hinzu kam, dass ein Afghane schon 2019 in demselben kleinen Ort eine 14-Jährige vergewaltigt hatte. Die Bundesinnenministerin hatte seinerzeit eine Abschiebung nach Afghanisten nicht zugestimmt, was noch einmal hohe Wellen schlug.

Entsprechend der Aufregung direkt nach der Tat war auch beim Prozessauftakt das Interesse groß. Journalisten und Besucher mussten zudem lange auf die Öffnung des Sitzungssaales warten, auch weil eine Durchsuchung ihrer Habseligkeiten auf Metallgegenstände anstand. Taschen waren im Sitzungssaal gar nicht erlaubt.

Einer der privaten Prozesszuschauer, der aus persönlichem Interesse gekommen ist, sagte, die Tat sei „der Politik“ zuzuschreiben, die „aktiver werden“ müsse. Wie er kurz darauf klarstellt, meint er, die „Asylpolitik“ müsse überdacht werden und mehr Kontrollen her, bevor beliebige Menschen ins Land kommen. Tatsächlich gab es auch einige Demonstranten vor dem Ulmer Gericht, die ein größeres Transparent mit der Aufschrift „Sichere Grenzen – sicherer Schulweg“ hielten.

Ein außergewöhnliches Motiv gab es nicht

Der Angeklagte Okba B. hat Ende letzten Jahres eine 13-Jährige mutmaßlich schwer verletzt und ihre Freundin Ece S. durch Stiche in Rücken und Hinterkopf getötet. Eine zufällige Begegnung wurde den beiden Mädchen, vor allem der 14-jährigen Ece, offenbar zum Verhängnis. Am 5. Dezember 2022 machten sich die beiden Mädchen wie gewöhnlich auf den Schulweg. Zur gleichen Zeit hatte der mutmaßliche Täter einen finsteren Plan gefasst: Er wollte aufs Landratsamt gehen und dort, mit einem Messer bewaffnet, die Ausstellung von Ausweispapieren erzwingen.

Als Ece und ihre 13-jährige Freundin an seiner Unterkunft vorbeiliefen, vermutete der 27-jährige Eritreer Okba Michael B., dass die beiden Mädchen die Tatwaffe gesehen hätten. In der Folge fasste er den Plan, die beiden auszuschalten, damit sie ihm nicht in die Quere kamen. Er ging auf die Mädchen zu, begrüßte sie kurz und zog dann unvermittelt das Messer hervor, um auf beide Mädchen einzustechen. Die Freundin entkam mit einigen Verletzungen. Auch Ece versuchte offenbar zu fliehen, wurde aber mehrmals am Rücken und Hinterkopf verletzt. Sie wird im Krankenhaus an ihren Verletzungen sterben.

Warum tut einer so etwas? Diese Frage kommt häufig. Und in der Tat würde man ein außergewöhnliches Motiv für solch eine ungewöhnliche Tat vermuten, eine extreme emotionale Notlage oder dergleichen. Aber das war hier nicht so. Die Absicht des Angeklagten war laut Bild dieser: Er wollte nach Äthiopien reisen, um dort eine Frau zu heiraten. Und das mit einem deutschen Pass. Diese Aussage teilte die Staatsanwältin nach Prozessbeginn der Öffentlichkeit mit.

Er nahm also ein Messer mit 16 Zentimeter langer Klinge und plante seinen sinistren Gang zum Landratsamt. Es war reines Nützlichkeitsdenken, das ihn auf die eigentlich geplante – ebenfalls lebensbedrohliche – Tat gebracht hatte und dem am Ende auch das Leben eines 14-jährigen Mädchens zum Opfer fiel. Das Kind von Eltern, vielleicht Großeltern, die dabei geholfen haben, dieses Land aufzubauen.

Pflichtverteidigerin: Selbstmordversuch als Reuebeweis

Der Angeklagte Okba B. erschien in schwarzen, abgetragenen Schuhen, einem grauen Parka und schwarzem Mundschutz. Er schaute stur zu Boden, später wird er mit aufgesetzter Kapuze und einem Aktenordner vor dem Gesicht photographiert. Die Kleidung von Angeklagten wird häufig von der Verteidigung geplant und choreographiert. In diesem Fall ist eine Pflichtverteidigerin, doch auch die gibt sich ambitioniert. Anwältin Corinna Nagel sagte laut der Augsburger Allgemeinen, sie wünsche sich einen „fairen Prozess“, in dem der Angeklagte auch „ein wenig als Person gewürdigt wird und nicht nur mit der Tat“. Die Verteidigerin bemerkte außerdem: „Er hat versucht, sich nach der Tat umzubringen. Ich glaube, ein größeres Zeichen für Reue gibt es nicht.“ Aber Okba B. hat sich nicht geäußert. Kein Mensch weiß, aus welchem Grund er sich das Leben nehmen wollte und ob diese Behauptung überhaupt glaubhaft ist.

Am ersten Prozesstag wurde lediglich die Anklage verlesen. Das dauerte nur eine Viertelstunde. Angeblich ist der Angeklagte noch immer in keinem guten Zustand, wie die Verteidigerin sagt. Das Kuriose an diesem Prozess ist, dass es nicht um Migranten gegen Deutsche geht. Denn das Mordopfer, ihre Familie und der von diesen engagierte Anwalt der Nebenklage sind Türkeistämmige. Es geht also um Migranten, die früher kamen, und einen, der später kam, sich aber – so könnte man nun mit Blick auf das Grundmotiv seiner Taten sagen – in der Schlange vordrängeln wollte.

Illerkirchberg kam lange nicht zur Ruhe – Fortgang des Prozesses

Der Ort Illerkirchberg kam nach der Tat lange nicht zur Ruhe. Weiterhin ging die Unruhe teilweise auch von der Flüchtlingsunterkunft aus, in der ein weiterer Einwohner einen Selbstmordversuch machte. Nun schreiben viele Medien, dass die Tat „politisch instrumentalisiert“ worden sei, selbst „politische Debatten um aufkommende Hetze und die Migrationspolitik in Deutschland“ ausgelöst habe. Die Frage ist nur, wie man solche Diskussionen als Instrumentalisierung lesen kann, wo sie sich doch strikt am Sachstand orientieren, beispielsweise auch an der – damals aktuellen – Weigerung der Innenmninisterin, einerseits den Ort in Baden-Württemberg zu besuchen, andererseits einen verurteilten Vergewaltiger nach Afghanistan abzuschieben. Auch diese Vergewaltigung war schon 2019 in Illerkirchberg geschehen.

Der Vater der Toten forderte in einem Bürgerdialog den Abriss des Flüchtlingsheims, was inzwischen auch in die Wege geleitet wurde. Auf dem Gelände soll ein Kinderspielplatz entstehen. Derzeit ist er von Baustellenzäunen umgeben, an denen Transparente mit wohl tröstenden Graffitti angebracht. Blumen, Herzen, ein Schmetterling künden vom Wunsch, die triste Tat hinter sich zu lassen und weiter an das Leben zu glauben. Daneben wurde die nächtliche Straßenbeleuchtung in dem Ort wieder angestellt. Das sind ganz praktische Schritte, damit der kleine Ort Illerkirchberg wieder zur Ruhe kommen kann. Das Sicherheitsgefühl war nach der Tat sehr gering gewesen.

Weiterhin sind noch vier Verhandlungstage angesetzt, 16 Zeugen und zwei Sachverständige geladen. Außerdem ist ständig ein psychiatrischer Sachverständiger anwesend. Zum Auftakt verspätete sich nur der Dolmetscher. Ein Prozess wie dieser ist auch wegen des kulturellen Abstandes nicht leicht zu führen. Den Beteiligten ist daher vor allem ein klares Auge und ein klarer Verstand zu wünschen – trotz aller Kommunikationshindernisse.

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