Tichys Einblick: Herr Liecke, in den letzten Wochen haben es verschiedene Meldungen aus Berlin in die bundesweiten Nachrichten geschafft: Frauen fühlten sich bei Nacht verunsichert, es kam zu Schlägereien, ein Polizist wurde beim Festnahmeversuch verprügelt. Hat der Lockdown etwas offengelegt, was in dieser Stadt ständig anwesend ist?
Falko Liecke: Wir nehmen immer wieder zur Kenntnis, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen unseren Rechtsstaat, die Verfassungsorgane, aber auch Polizei, Ordnungsamt oder auch Rettungskräfte nicht nur ignorieren, sondern sogar angreifen und bekämpfen. Der Staat hat aber in diesem Land die Hoheitsgewalt, die er im Zweifel auch mit den angemessenen Mitteln ausüben muss. Man kann sich gegen staatliche Maßnahmen wehren, aber man kann nicht den Polizisten verprügeln. Wenn sich das dann so durchzieht in gewissen Milieus, dann verstetigt sich bei mir der Eindruck, dass wir rechtsfreie Räume haben.
Einen ähnlichen Eindruck kann man bekommen, wenn man die Nachrichten über kriminelle Großclans liest. Wo wird das Leben der Bürger durch solche Clans konkret berührt?
Auch im Clanmilieu gibt es Menschen, die unsere Werteordnung nicht ernst nehmen und im Grunde machen, was sie wollen. Es gibt ein Beispiel aus Berlin-Spandau, wo ein polizeibekannter Clanangehöriger seine Nachbarn auf vielfältige Art terrorisiert. Ein anderes Beispiel sind die Profilierungsfahrten mit großen, teuren Autos, die sich manche Menschen in ihrem gesamten Leben nicht erarbeiten können. Daneben werden natürlich auch viele schwere Straftaten begangen. Zum Beispiel der Raub der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bode-Museum, die jetzt verschollen ist, Überfälle auf Geldtransporte und Sparkassen, illegales Glücksspiel, Schutzgelderpressung, Geldwäsche. Ich habe mal zugespitzt gesagt: Die Clans verarschen uns von Hacke bis Nacke. Das gilt natürlich nicht für alle Familienmitglieder, aber es gibt Teile von diesen Familien, die praktisch nach diesem Motto leben. Und die Bevölkerung kriegt so was natürlich mit und fordert uns Politiker auf, dem etwas entgegenzusetzen. Ich habe deshalb einen Forderungskatalog „Clans stoppen“ erarbeitet und mich mit Kollegen aus anderen Ländern ausgetauscht. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat ein Zwölf-Punkte-Papier beschlossen.
Was tun Sie in Berlin, vielleicht auch zusammen mit anderen Bezirken?
Bei der Berliner Polizei gibt es inzwischen eine Arbeitsgruppe zur Clankriminalität. Da sind zum Teil ganz neue Strukturen geschaffen worden. Mir geht das aber alles noch nicht schnell genug. In Neukölln haben wir schon vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe „Kinder- und Jugendkriminalität“ gegründet, um denjenigen, die sich nicht an unsere Regeln halten, die Stirn zu bieten und ihnen zu sagen: „Liebe Leute, so nicht!“ Wir leben aber in einem Rechtsstaat und können hier nicht auf Wildwest machen. Und da habe ich übrigens auch eine Erwartungshaltung an die Justiz, die häufig mit Kuschelpädagogik um die Ecke kommt, anstatt klare Stoppsignale zu setzen.
In einer Fernsehdokumentation haben Sie salopp gesagt: „Wir kriegen sie nur über die Kohle und die Kinder.“
Na ja, die Beschlagnahmung von 77 Immobilien (des Berliner Rammo-Clans, Anm. d. Red.) war ein großer Coup. Im Moment geht es noch um das Wohnhaus der Familie, eine Gründerzeitvilla in Alt-Buckow, die dem 20-jährigen Sohn des Clanchefs gehört. Daneben meine ich, dass man auch mithilfe der Jobcenter nachverfolgen müsste: Warum fährt jemand, der Hartz IV bekommt, einen Audi A8? Auf wen ist so ein Auto zugelassen? Sind damit vielleicht auch geldwerte Vorteile verbunden? Im Zweifel müssen wir denen die Rolex abnehmen und die teuren Möbel aus der Bude schleppen, um klarzumachen: Illegal erwirtschaftetes Vermögen wird euch wieder weggenommen. Und beim zweiten Punkt geht es um die Frage, inwiefern stark delinquentes Verhalten von Familienmitgliedern auch Auswirkungen aufs Kindeswohl haben kann.
Ein Neuköllner Schüler reagierte auf Ihren Vorschlag mit dem Satz: „Das ist ja nicht ihre Schuld, dass ihre Kinder kriminell sind. Die Straße macht sie kriminell.“ Was sagen Sie dazu?
Erziehung ist nie einfach, und man kann am Ende auch nicht garantieren, wie weit sie wirkt. Aber laut Artikel 6 des Grundgesetzes gibt es nicht nur Rechte, sondern auch eine Verantwortung der Eltern. Der Staat wacht über diese Verantwortung und kann am Ende als Ultima Ratio auch eingreifen. Die Familie – und das sind ja nicht nur die Eltern, sondern gerade in diesen Familien auch Brüder, Onkel und Cousins – übt einen starken Einfluss auf die Jugendlichen aus. Wenn ich also einen Onkel habe, der mit dem Neffen serienweise Einbrü che begeht, ist das mit Sicherheit nicht förderlich für die Entwicklung.
Wie sehen Sie Ihre Rolle in Bezug auf Clans? Gibt es da einen Dialog?
Ich telefoniere bestimmt nicht mit Issa Rammo oder sonstigen Clangrößen. Ich beobachte, was sie tun. Daneben habe ich meine Vorstellungen und Wertorientierungen, und die versuche ich mit meinen Mitteln durchzusetzen, vor allem was Kriminalität und delinquentes Verhalten angeht.
Gibt es Reaktionen der Clans darauf?
Ich glaube, die meinen nach wie vor, dass sie mit allem so durchkommen werden. Wenn Sie sich Issa Rammo in den diversen Fernsehbeiträgen ansehen, auch wie er sich zum Teil vor Gericht aufführt, dann hat man den Eindruck, dass diese Leute bisher noch sehr unbeeindruckt von den Aktionen des Rechtsstaats sind. Aber wenn Herr Rammo mit seinen Kindern aus der Villa ausziehen müsste, dann sähe man vielleicht schon eine Wirkung. Und daneben muss der Verfolgungsdruck einfach hoch sein.
Sprechen wir über Neukölln als „Biotop“. Etwa ein Viertel der Einwohner des Bezirks sind ja inzwischen Ein- wanderer aus islamisch geprägten Ländern oder stammen von solchen ab. Wie sehen Sie den Islam und die Muslime allgemein in Ihrem Bezirk?
Na ja, es ist schon auffällig, dass wir hier eine Anhäufung von problematischen Moscheen haben. In diesen Milieus haben Radikale einen sehr intensiven Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen. Das wird für uns da zu einem Problem, wo wir Kinder in Freizeiteinrichtungen an unsere Werteordnung heranführen wollen. Also beispielsweise, dass es kein Problem ist, wenn zwei Männer oder zwei Frauen händchenhaltend über die Karl-Marx-Straße gehen. Oder wenn jemand mit der Kippa durch Neukölln läuft, dass er dann keine Anfeindungen oder gar Beeinträchtigungen erwarten muss.
Wie sehen Sie die Tendenz unter den Muslimen im Allgemeinen? Geht das eher in Richtung Gegengesellschaft oder doch mehr in Richtung Integration und Anpassung an die deutsche Gesellschaft?
Ich kenne viele Muslime im Bezirk, die deutscher sind als die Deutschen. Die sind hier vollständig angekommen. Die üben ihre Religion aus, und mit denen kann man sich völlig normal über die Welt und die politische Lage unterhalten. Aber daneben existiert auch eine starke Parallelgesellschaft. Das sind diejenigen, die sagen: „Ich habe mit dieser deutschen Gesellschaft nichts zu tun, das will ich auch gar nicht, ich bin nur in meinem Umfeld unterwegs, und alles andere ist mir egal.“
Passt in einen solchen Zusammenhang der neu eingeführte Imamruf, der ja ebenfalls von einer Neuköllner Moschee ausging?
Aus meiner Sicht überhaupt nicht. Das war auch das allererste Mal, dass so etwas überhaupt passiert ist. Ich war davon nicht begeistert. Natürlich wird von vielen dann behauptet, das sei doch nichts anderes als Kirchenläuten, was ich wiederum nicht so sehen kann: Wenn in Neukölln die Kirchenglocken läuten, rennen die Leute nicht vor die Tür und treffen sich an der Kirche. Bei den Moscheen ist das anders: Wenn der Muezzin ruft, dann kommen die Leute. Am Ende waren 300 Menschen dort. Das war auch im Hinblick auf die Infektionsgefahr ein Problem, und deshalb bin ich dann auch mit einer Verbotsverfügung eingeschritten. Natürlich können die Menschen ihre Religion ausüben, aber ich möchte nicht, dass damit unsere Demokratie gefährdet wird. Und wenn ich dann sehe, wie Bürgermeister der SPD und Landtagsabgeordnete der Grünen in dieser Moschee ein- und ausgehen, kann ich das nur immer wieder kritisieren.
Das links-grüne Milieu treibt ja in Berlin auch sonst durchaus eigene Blüten. Erst im März wurden neun vom Bund aufgegebene „Demokratieprojekte“ durch den rot-rot-grünen Senat „gerettet“, darunter auch die Amadeu Antonio Stiftung. Was halten Sie davon?
Da bin ich nicht begeistert. Ich habe ja so meine einschlägigen Erfahrungen gemacht, als ich in meiner Amtsfunktion von einem bestimmten Informationsheft für Kita-Erzieher abgeraten habe. Daraufhin wurde ich von der herausgebenden Amadeu Antonio Stiftung verklagt. Die Klage wurde abgewiesen, aber die Begründungen ihres Anwalts haben mich nicht gerade von der Stiftung überzeugt.
Was hatten Sie konkret kritisiert?
Es gab so ein paar Beispiele, die nach meiner Lesart eher konstruiert daherkamen. Also wenn es hieß: Wer morgens schon Sport getrieben oder sich körperlich ertüchtigt hat oder als Mädchen ein Kleidchen und Zöpfe trägt, der wäre also schon irgendwie des Rechtsextremismus verdächtig. Und das fand ich einfach schräg. Gestört hat mich vor allem der einseitige Fokus. Alle Strömungen, die unsere Verfassung bekämpfen wollen, sind aus meiner Sicht zu verurteilen. Wenn man nur nach rechts guckt, dann ist mir das nicht genug. Man muss auch nach links gucken und in den Islamismus und vielleicht noch in ganz andere Ecken. Hinzu kommt, dass auch die Vorsitzende dieser Stiftung (Anetta Kahane, einst Stasi-IM, Anm. d. Red.) so eine gewisse Tradition aus ihrer Vergangenheit mitbringt. Dieselbe Stiftung wurde davor vom Bundesfamilienministerium unterstützt – neben vielen anderen.
Was denken Sie über diese staatliche Förderung von im Grunde politisierten Stiftungen?
Diese Programme sind sicher von ganz verschiedener Qualität und haben auch unterschiedliche Auswirkungen. Ich bin zum Beispiel zuständig für die Umsetzung von Initiativen im Rahmen von „Demokratie leben“. Es ist sicher wichtig, Kindern grundlegende Regeln des gesellschaftlichen Umgangs nahezubringen, also beispielsweise Konflikte gewaltfrei, mit Argumenten zu lösen. Aber in Teilen von dem, was dann daraus vor Ort umgesetzt wird, habe ich so meine Zweifel, ob das überhaupt eine Wirkung hat oder nicht nur der Selbstbespiegelung gewisser Gruppen dient – oder auch den Trägern, die damit Geld verdienen.
Wo Sie gerade von Selbstbespiegelung sprechen: Die Berliner SPD-Größe Raed Saleh schrieb in einem Beitrag für die „Berliner Zeitung“: „Uneingeschränkt zur Demokratie und zum Grundgesetz stehen nur die Parteien der linken Mitte – nämlich SPD, Grüne und Linke.“ Der Satz ist natürlich in einem bestimmten Zusammenhang gefallen, steht aber weiterhin im Raum. Wie erklären Sie sich so etwas?
Das ist wirklich eine völlige Verkennung der Realitäten und eine Form von Arroganz und Selbstverliebtheit, die dem Fraktionsvorsitzenden einer stolzen Partei wie der SPD mit ihrer ganzen Geschichte ganz schlecht steht. Ich muss dabei immer daran denken, wie Linke, Grüne und SPD ganz ungeniert mit Linksextremisten zusammenarbeiten, ob das nun die Interventionistische Linke (IL) ist oder die Antifa. Die IL ist Partner von Linksjugend und Grüner Jugend, unter anderem auch bei den mittlerweile als extremistisch eingestuften „Ende Gelände“-Protesten. Und was mich noch mehr stört: Die IL durchsetzt gezielt lokale Bündnisse und breitet sich so bis in die Mitte der Gesellschaft aus. Und Linke, Grüne und SPD machen denen die Tür auf.
Auch Sie treten ja durchaus mit Ihren eigenen Meinungen auf. Spüren Sie viel Gegenwind?
Es kommt immer darauf an, wie pointiert man sich ausdrückt und in welchem Maße ein Thema als politisch heikel empfunden wird. Wir hatten beispielsweise unlängst eine Diskussion um die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Neukölln. Ich habe versucht, eine Erklärung dafür zu finden, und habe verschiedene Thesen in den Raum gestellt, immer unter der Maßgabe: Wir gehen dem nach, egal welche These stimmt. Die erste These war: Es könnte sein, dass wir nicht genug niedergelassene Ärzte haben. Da haben mich die Ärzte geprügelt. Dann habe ich gesagt, wir haben einen hohen Anteil von Migranten, die sich mitunter in der Familie verheiraten. Da wurde ich von allen anderen verprügelt, ich sei also ein Rassist und Ausländerhasser und all solche Dinge. Meine dritte Vermutung war, dass wir vielleicht als Bezirk nicht genügend Angebote zur Prävention haben. Am Ende gab es keine direkte Antwort auf unsere Frage, aber doch ein paar Erkenntnisse. Erstens: Weil es sich insgesamt um relativ kleine Zahlen handelt, spielen Ausreißer eine große Rolle. Zweitens: Die Leichenschauscheine waren teilweise nicht richtig ausgefüllt. Drittens hatten wir den Eindruck, dass es eine unterschiedliche Erhebung in den verschiedenen Berliner Krankenhäusern gibt. Die finale Antwort, auf die alle gewartet haben, um den Liecke symbolisch am Baum aufzuknüpfen, blieb aus.
Warum haben Sie eigentlich das Direktmandat, das Sie 2011 im Abgeordnetenhaus gewonnen hatten, nicht angenommen?
Leider trat der CDU-Kreisvorsitzende und Bürgermeisterkandidat damals von allen Ämtern zurück. Ich war Stadtrat und der Einzige mit Erfahrungen in dieser Funktion und auch mit Heinz Buschkowsky. Am Ende habe ich mir gesagt: Ich kann vielleicht als Stadtrat etwas mehr bewirken als im Abgeordnetenhaus. Inzwischen sind elf Jahre vergangen, in denen ich Bezirkspolitik mache, und ich bin immer noch hier. Im Übrigen kann man auch aus den Bezirken heraus viel für das Land tun. Und dafür ist Neukölln ja auch in gewisser Weise bekannt geworden.