Tichys Einblick

Fake-Nuss spezial: Wenn Falschnachrichten-Vorwürfe falsch sind

Ein regierender Politiker will Verbreiter falscher Nachrichten bestrafen. Da könnte man dann gleich bei der Bundesregierung und der ARD anfangen.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius warnt auf „SPIEGEL Online“ vor „Fake News“, und schlägt vor, ihre Verbreitung staatlich zu verfolgen: „Sie können Panik, Hamsterkäufe und Konflikte auslösen und sind daher auf das Schärfste zu verurteilen. Daher müssen wir mit Bußgeldern oder sogar Strafandrohungen abschrecken.“ Eine Rechtsgrundlage dafür nannte er nicht. Es gibt zwar Strafvorschriften, die eine Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und durch falsche Verdächtigung ahnden – aber keine, die Ermittlungen oder Bußgelder für Nachrichten vorsehen, die sich als falsch erweisen.

Sollte es solche Gesetze demnächst geben, dann gäbe es allerdings auch Kandidaten für Strafen. Eins vorab: sie kämen dann aber überwiegend nicht, wie ein EU-Papier suggeriert, kremlgesteuert aus Russland. Gleich zwei Mal warnte die Tagesschau bisher vor angeblichen Falschnachrichten, die sich dann im Gegensatz zu der Warnung nicht als falsch erwiesen:

Die Warnung vor der angeblichen Falschnachricht, weitgehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland stünden unmittelbar bevor, kommentiert sich nach Schul- und Restaurantschließungen und eingeführten Grenzkontrollen von selbst. In der von SARS-CoV-2 und einem starken Anstieg von ernsthaft Erkrankten betroffenen bayerischen Gemeinde Mitterteich ist mittlerweile die erste Ausgangssperre in Kraft.

Auch bei der Warnung vor Ibuprofen für Erkrankte, die an Atemwegserkrankungen leiden, handelt es sich um keine Falschnachricht. Sie beruht nur nicht auf einer Studie der Universität Wien. Dass Ibuprofen die Blutgerinnung hemmt, ist bekannt. Das könnte Einblutungen in die Lunge begünstigen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät Menschen bei Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 deshalb davon ab, ohne ärztlichen Rat Ibuprofen zu nehmen, sondern alternativ Paracetamol „Wir raten, im Verdachtsfall Paracetamol und nicht Ibuprofen einzunehmen“, so WHO-Sprecher Christian Lindmeier. Später nahm die WHO die Warnung zwar zurück. Aber eine gefährliche Fake News war die Empfehlung nicht, Paracetamol statt Ibuprofen zu nehmen.

Auch Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran, ein Mediziner, hatte sich ähnlich geäußert. Der Warnung der Tagesschau vor der vermeintlichen Falschnachricht war also mindestens überflüssig. 

Als Gerüchteschleuder erweist sich in diesen Tagen der linksextreme Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei Mehmet Yildiz, der ohne jeden Beleg die ohnehin schon virulente Behauptung verbreitete, SARS-CoV-2 käme aus einem US-Labor und sei ausgebrütet worden, um China zu schaden („Corona ist ein Krieg des Imperialismus“). Was ziemlich schlecht zu der Tatsache passt, dass Covid-19 Europa mittlerweile härter trifft als Ostasien, und die US-Wirtschaft elementar bedroht. In das Muster der angeblich kremlgelenkten Falschnachrichten passt Yildiz nicht besonders gut. Seine Absonderungen sind wirr, aber nicht strafbar. Zur Panikverbreitung eignen sie sich auch nicht.

Andere Behauptungen besitzen wirklich Gewicht. Auch eine große Reichweite. Etwa die Behauptung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier: „Kein einziger Arbeitsplatz geht wegen Corona verloren.“

Eine Falschbehauptung schon jetzt, ohne Frage. Im April und Mai erst Recht. Will Pistorius demnächst den Bundeswirtschaftsminister verfolgen lassen?

Auch die Suggestion von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, ab Montag würden keine Maschinen aus dem Iran mehr in Deutschland landen, erwies sich schnell als zumindest grob irreführend. Erstens kann Scheuer das nur empfehlen, nicht anordnen. Und zweitens landeten auch nach dem Montag dieser Woche noch Flüge aus dem Iran; Passagiere mit deutschem Pass durften weiter ins Land, ohne auf das Virus getestet zu werden.

Das Altmaier-Beispiel zeigt, wie schnell es Politiker gleich reihenweise selbst trifft, wenn sie jetzt mit dem Fake-News-Begriff fuchteln. Immerhin hatten die meisten noch bis vor kurzem – unisono mit den meisten Journalisten – behauptet, es sei rechtlich gar nicht möglich, die Grenzen für Nicht-EU-Bürger zu schließen und Menschen zurückzuweisen. In Wirklichkeit ließen die Schengen-Regeln schon seit ihrem Bestehen Einschränkungen zu, die deutschen Einreisebestimmungen auch Zurückweisungen. Und offensichtlich gibt es die Restriktionen jetzt.

Und hat Pistorius auch den Bayerischen Rundfunk im Blick, der Covid-19 noch im Januar als Produkt „rechter Kreise“ abstempelte?

Wer sich die bisher sehr dünnen Belege für russische Fake-News in dem EU-Papier im einzelnen ansieht, der merkt schnell: eine ganz ähnliche Liste ließe sich mühelos auch aus deutschen Quellen zusammenstellen, die bisher nicht in Verdacht stehen, von Putin gesteuert zu werden. Für eine Glaubwürdigkeitserosion von etlichen Medien und Politikern müssen nicht erst Kreml-Truppen antreten.

Welche Gefahr von staatlichen Stellen ausgehen kann, die aus ihrer Sicht störende Nachrichten mit dem Argument „Fake News“ deckeln, zeigt das Beispiel des Whistleblowers Lin Wenliang , der schon am 30. Dezember 2019 vor einem neuartigen Virus in Wuhan warnte – und von den Behörden unter Strafandrohung zum Schweigen verpflichtet wurde.

Nicht ausgeschlossen, dass Politiker in Deutschland im Schatten der Corona-Krise trotzdem nach Maßnahmen suchen, um die öffentliche Kommunikation noch über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hinaus zu kontrollieren. Jedenfalls schürt Pistorius genau diesen Verdacht.

Übrigens riefen vor kurzem auf dem linksextremistischen Portal „indymedia.linksunten“ anonyme Linke dazu auf, die Corona-Krise zu nutzen, um Lebensmittelmärkte zu plündern und „Aufstände“ zu organisieren. In dem (inzwischen wieder gelöschten) Aufruf heißt es:

„organisiert flashmobs. aufstände. plünderungen. verteilt essen um, wenn es knapp wird. verlasst die linke blase. wer nicht organisiert ist, versuche sich zu organisieren als revolutionär, anarchistisch und feministische kleingruppe oder als bande. oder als großer zusammenhang.“ (Schreibweise im Original)

Das ist tatsächlich strafbar (Störung der öffentlichen Ordnung durch Androhung von Straftaten). Innenminister und Justiz hätte hier etwas Naheliegendes zu tun.


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