Es war durchaus ungewohnt und originell. Im vergangenen Sommer, kurz nach dem Attentat von Solingen, begangen von einem ausreisepflichtigen Syrer, fiel es Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ein, dass man Asylbewerbern, deren Verfahren laut EU-Dublin-Recht eigentlich in einem anderen Mitgliedsland stattfinden sollen, sämtliche staatliche Leistungen streichen könnte oder – wie es Faeser sagte – „auf gar nichts, nur noch Rückreise kürzen“ wolle.
Das waren markige Worte, nachdem erneut Blut geflossen war und Menschenleben verloren gegangen waren durch die selbstmörderische Asylpolitik der ausgehenden Ära Merkel. Oder hatte sich Faeser nur coram publico „versprochen“? Dass es sich bei Faesers Vorschlägen um Luftschlösser handelte, wird schon damals den meisten klar gewesen sein. Vielleicht deshalb erregte die Sache auch kaum Aufmerksamkeit oder, besser gesagt, sie ging in dem allgemein aufgeregten Gerede nach dem Solinger Terroranschlag vom 23. August 2024 unter.
Klar war: Ein deutscher Innenminister war in dieser Lage zum Handeln gefordert. Faeser folgte dem unausgesprochenen Drehbuch, spielte wieder einmal die harte Innenministerin, kündigte Messerverbote und mehr Abschiebungen an. Heimatreisen von Asylbewerbern sollten zur Aberkennung ihres Flüchtlingsstatus führen. Obwohl auch das nicht immer. In der Faeser-Diktion klang das nämlich so: „Wer ohne zwingenden Grund wie zum Beispiel die Beerdigung naher Angehörige in sein Heimatland zurückreist, dem soll der Status als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter aberkannt werden.“ Die „zwingenden“ Gründe werden gewöhnlich gerne gefunden oder genehmigt. Andere buchen ihre Reisen einfach schwarz in spezialisierten Reisebüros. Also auch hier nur heiße Luft.
Länder zahlen nun eben „Überbrückungsleistungen“
Zusammen mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) verkündete die Ministerin daneben eine Maßnahme, die wie immer in solchen Fällen maßgeschneidert auf das gerade aktuelle Täterprofil passte. Der Syrer Issa al H. hätte sein Asylverfahren eigentlich in Bulgarien antreten müssen, was auch von der dortigen Regierung anerkannt war. Er entzog sich dem durch die bekannten Tricks. Denn irgendwie dringt es offenbar immer zu den Leistungsbeziehern und Wohnheim-Insassen durch, dass ihnen eine Abschiebung bevorsteht.
Neben dieser Malaise, die auf einen Mangel an Geheimhaltung, eigentlich eine Art von permanentem Landesverrat in deutschen Behörden schließen lässt, ist etwas anderes zu kritisieren, diesmal am Maßnahmenbündel der Faeser-Buschmann-Clique namens Bundesregierung: Denn die Maßnahmen kamen sicher viel zu spät. Offenbar muss immer erst etwas Schlimmes passieren, bevor die Staatsschauspieler überhaupt die nächste Szene im Stück ansetzen. Aber es waren ja ohnehin nur angekündigte Maßnahmen, die man niemals vor hatte umzusetzen.
Geschehen ist in dieser Hinsicht nicht viel. Denn es gab wohl ein Gesetz, das die Ampel noch im letzten Jahr eilends verabschiedete, nur hält das leider der Praxis deutscher Behörden nicht stand. Das fand nun das ARD-Hauptstadtstudio heraus. Und es liegen natürlich zuallererst keine bundesweit erhobenen Zahlen dazu vor, wie oft die neue Regelung bisher angewandt wurde. Das hatte man sich ohnehin gedacht, obwohl Zahlen an der Stelle der einzige Beweis dafür wären, dass gesetzlich vorgesehene Vorgänge auch stattfinden und funktionieren.
Auch viele Länder stellen fest, dass sie zu einer Erfassung nicht verpflichtet seien. In Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und dem großen Nordrhein-Westfalen gab es noch gar keine Anwendung der offenbar unzumutbaren Neuregelung. In Hamburg soll man es 21 Mal versucht haben, Hessen geht mit 250 Verfahren (die noch in Durchführung sind) voran. Rheinland-Pfalz berichtet von 175 Fällen – aber es gibt auch „Überbrückungsleistungen“ über die gesetzlich vorgeschriebene Zweiwochenfrist (zur Ausreise) hinaus. Also: Auch die Länder sabotieren die Neuregelung nach Kräften.
Innenministerium gibt Tipps zur Gesetzesumgehung
Die Stadt Baden-Baden hat es nach ARD-Erkenntnissen versucht, zwei Türkinnen aus ihrer Asylunterkunft auszuschließen und wieder nach Kroatien zurückzuschicken. Über den Erfolg oder Misserfolg der Maßnahme schweigt sich das Studio aus. Man legt den Akzent lieber auf die abstrakte Frage, ob so eine Gesetzesregel, wie von der abgewählten Linksregierung beschlossen, überhaupt grundgesetzkonform ist. Denn laut ARD-Umfrage gehen „Gerichte und mehrere Länder (…) davon aus, dass ein vollständiger Leistungsausschluss gegen Verfassungs- und Europarecht verstößt“. Das ist dann aber doch sehr merkwürdig. Denn das EU-Recht besteht ja auch aus den Dublin-Verordnungen, die genau an dieser Stelle eindeutig sind. Das Grundgesetz geht ohnehin nicht davon aus, dass verfolgte Migranten es bis an unsere Landesgrenzen schaffen.
Aber hinzu kommt, dass sogar das Bundesinnenministerium „eine Interpretationshilfe“ lieferte, die „einen Weg beschreibt, Hilfen auch über das gesetzliche Zweiwochenlimit hinaus zu gewähren“. Das BMI erkennt demnach an, dass wegen des „komplexen Zusammenwirkens der Mitgliedstaaten im Überstellungsprozess“ eine freiwillige und selbständige Ausreise für Dublin-Migranten normalerweise nicht innerhalb von zwei Wochen möglich ist. Als ob man es nicht gewusst hätte, dass dies die wahre Haltung des BMI unter Nancy Faeser ist. Nur für die Kameras sagte die Ministerin im Sommer 2024 etwas anderes. Aber es wäre daneben die Aufgabe eines Bundesministeriums, auch „komplexe“ Fragen im Sinne der Bürger zu klären, sogar in der verworrenen Situation, die diese EU heute darbietet. Stattdessen beschränkt man sich derzeit offenbar auf ein schales „Es ist kompliziert“.
Nun diskutieren Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen über weitere sogenannte „Leistungskürzungen“, die aber dann wohl genauso effizient ausfallen werden, wie die Ampel-Gesetzgebung mit einer Halbwertzeit von deutlich unter einem halben Jahr. Und auch die von Faeser propagierten Messerverbote können den Messerstechern bekanntlich kaum etwas anhaben, wie das blutige Attentat von Mannheim samt Polizistenmord zeigte. Auch hier zeigte die Ministerin nur eine markige Fassade, ohne jede Wirkung.
Rechtsmagazin: Leistungskürzung auf Null zulässig
Und dabei hat auch das Rechtsmagazin LTO einen Artikel beigesteuert, in dem eine Herabsetzung der Sozialbezüge auf Null in Deutschland als durchaus machbar angesehen wird. Das Online-Portal klärt zudem darüber auf, dass eine solche Regelung nicht mit der bekannten Regel „Bett, Brot und Seife“ zu verwechseln sei, die schon heute Rechtsstandard für abgelehnte und ausreisepflichtige „Dublin-Flüchtlinge“ ist.
Aber hier wird unter Umständen wohl auch ein besseres Bett mit hübscher Stadtwohnung vergeben, und auch der Belag auf dem Brot scheint sichergestellt, alles mit der Aussicht auf den Spurwechsel in ein ganz normales Leben inklusive „Chancenaufenthaltsrecht“ der Ampel. Auch LTO spricht von „besonderen Umständen“, unter denen „auch weitergehende Leistungen für den persönlichen Bedarf gewährt werden“ können. Die werden mit Sicherheit ausgenützt.
Trotzdem, so das Magazin, es sei eben auch ein „völliger Ausschluss von Leistungen“ denkbar in unserem Rechtssystem, wenn ein abgelehnter Dublin-Migrant seiner Ausreisepflicht nicht nachkommt. Das, könnte man sagen, ist ja gerade die Pointe am „Dublin-Flüchtlingsdasein“, dass jenes Land, in das der Antragsteller zurückreisen soll, ein zumutbares, weil EU-Land mit Rechtsgarantien ist. Aber halt! Auch das haben ja Verwaltungsgerichte in Deutschland und Nordrhein-Westfalen anders gesehen. In Griechenland sind die luxuriösen, staatsfinanzierten Ausführungen von „Bett, Brot und Seife“ bekanntlich nicht erhältlich. Auch Italien erhält hier nicht die volle Punktzahl. Deshalb kann es in diese Länder ohnehin keine Dublin-Abschiebungen geben. Und dann entfällt wohl auch die Mittelkürzung auf Null. Hatte Faeser das vielleicht vergessen? Aber vielleicht weiß der künftige deutsche Innenminister hierzu mehr.