Der terroristische Messerangriff auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger ist nur ein besonders schlimmes und gravierendes Beispiel für die neue, leider alltäglich gewordene Realität der Messerangriffe in Deutschland. In Mannheim kam der 29-jährige Polizist Rouven L. zu Tode, der im Nacken angegriffen wurde – also dort, wo kein Anti-Messer-Kleidungsstück ihn vor den Stichen schützen konnte.
Inzwischen bleibt buchstäblich kein Tag mehr ohne Messerattacke. So musste die Polizei – am Tag des Mannheimer Attentats – eine Frau mit Messer in Köln-Deutz niederschießen. In derselben Woche wurden in Bremen, Dortmund und Berlin drei Personen schwer oder lebensgefährlich verletzt. Am Samstag gab es in Berlin zusätzliche vier Angriffe in einer Nacht, mit wiederum zwei Schwer- und einem Leichtverletzten. In derselben Woche erstach ein südafrikanischer Asylbewerber mit Trans-Identität den Wachmann seiner Potsdamer Asylunterkunft. Und in Geesthacht stach ein Dreizehnjähriger auf seinen zwölfjährigen Mitschüler ein und verletzte ihn schwer.
Angesichts der zunehmenden Bedrohung der inneren Sicherheit durch Delikte dieser Art – zumal seit der „Grenzöffnung“ von 2015 – beeindruckt und verstört vor allem die extreme Langsamkeit, mit der die Innenminister in Bund und Ländern agieren und letztlich die Bürger über ein Geschehen und seine Bedeutung hinwegtäuschen.
Geschichte eines gewollten Scheiterns
Schon im Juni 2018 hatte sich die Innenministerkonferenz (IMK) dafür ausgesprochen, Messerangriffe künftig gemäß einer einheitlichen Definition zu erfassen. Ab 2020 sollten die so definierten Messerangriffe – eingeschlossen Messerbedrohungen – bundesweit ausgewertet werden, aber die zusammengetragenen Zahlen waren nicht zu gebrauchen. So musste man auf das Frühjahr 2022 warten, um valide Zahlen zu erfahren. In den Folgejahren trugen Bundesinnenministerium (BMI) und Bundeskriminalamt (BKA) zur Unklarheit bei, indem sie mit den Angaben jonglierten. Für 2021 wurde noch eine Zahl zu den Messerangriffen bei Gewaltkriminalität veröffentlicht.
Im Folgejahr änderte Nancy Faeser hier das Verfahren – vermutlich um kleinere Zahlen zu bekommen. Seit 2022 gab es vom Bund nur noch Angaben zu Messerangriffen bei Raub, gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Zu allen Nachfragen von TE, welche Messerangriffe in der Bundesstatistik fehlten, schwieg das BKA eisern. Die Order von oben war eindeutig.
Öffentlich wurde damit von Anfang an nur ein kleiner Ausschnitt der realen Messerangriffe und keineswegs alle Gewalttaten, die unter die selbst verfasste „bundeseinheitliche“ Definition fallen, die damit nie wirklich zur Anwendung kam. Man kann jetzt mutmaßen, dass das an der Uneinigkeit der Innenminister zwischen CDU, CSU und SPD liege. Aber das ist eben Mutmaßung, am Ende müssten alle befassten Politiker ein Interesse an Klarheit haben. Denn niemandem muss erklärt werden, dass allein schon die Bedrohung mit einem Messer das individuelle Sicherheitsgefühl ziemlich beeinträchtigen kann. Trotzdem wird die bundesweite Zahl der Bedrohungen mit vorgehaltenem Messer nicht veröffentlicht, obwohl einzelne Länder das in ihrem Jahresbericht getan haben.
Sicher ist: Das Phänomen hat in den letzten Jahren rasant zugenommen, klare und umfassende Angaben der Bundesregierung und der Behörden dazu fehlen aber bis heute. Verlässt man sich auf die Bundesregierung und das BKA, dann gab es im letzten Jahr insgesamt 13.844 Messerangriffe, also etwa 38 an jedem Tag, mehr als zwei in jedem Bundesland. Das ist aber nicht einmal die ganze Wahrheit. Denn es handelt sich nur um die Addition zweier Werte, die nicht das gesamte Phänomen ausschöpfen. 8.951 Mal kam es zu einer gefährlichen oder schweren Körperverletzung mit einem Messer, 4.893 Mal zu einem Raubdelikt, wobei nicht ausgesagt ist, ob mit dem Messer nur gedroht oder auch zugestochen wurde. Oft begnügen sich die Medien mit einer der beiden veröffentlichten Zahlen, vorzugsweise der Körperverletzung, die dann als die Zahl der Messerangriffe insgesamt verkauft wird.
TE errechnete: Gesamtzahl fast doppelt so hoch
Seit 2021 ergibt sich aber allein aus diesen beiden Zahlen eine Zunahme der Messerangriffe um 33,1 Prozent. In den letzten beiden Jahren kamen erst rund 2.000 und dann 1.500 Angriffe pro Jahr dazu. Das ist aber bei weitem nicht die Gesamtzahl. Denn die veröffentlichten Zahlen umfassen eben nur die Messerangriffe in Verbindung mit Raub, gefährlicher und schwerer Körperverletzung.
Letztes Jahr hat TE anhand der Länderzahlen nachgerechnet und gezeigt, dass es im Jahr 2022 nicht „nur“ 12.355 Fälle gab, wie die offizielle Angabe damals lautete. Vielmehr summierten sich die in den Ländern berichteten Messerangriffe zu einer Gesamtzahl von rund 22.000 Angriffen im Bund. Offiziell bekannt gegeben wurde nur etwas mehr als die Hälfte dieser Straftaten, zudem aufgeteilt in zwei kleinere Werte.
Und dabei wurden die Länderzahlen nach derselben bundeseinheitlichen Definition erstellt, die die Innenministerkonferenz 2018 beschlossen hatte. Kurzum: Die gegenüber den Länderstatistiken so sehr geringer erscheinende Zahl der Messerangriffe im Bund war – wen wundert’s? – auf eine geschickte Auswahl der Zahlen zurückzuführen, die Vollständigkeit vortäuschte, obwohl dieselbe nicht bestand. Diese Diskrepanz wurde vom Bundestagsabgeordneten Martin Hess (AfD) zum Anlass einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung genommen, die TE exklusiv vorliegt.
Auf einmal will die Bundesregierung „konkret“ werden
Unbestritten ist dabei, dass die gravierendsten Messerangriffe in den Bereich der Gewaltkriminalität gehören. 2021 wurde zum letzten Mal ein Gesamtwert für Messerangriffe im Zusammenhang mit Gewaltkriminalität veröffentlicht. Die Zahl lag schon da über 10.000. Die Gesamtzahl der Messerangriffe taucht durch das Verschweigen auch nicht annähernd in der öffentlichen Diskussion auf. Hinzugerechnet werden müssten noch die Messerbedrohungen, die ebenso in die bundeseinheitliche Definition von Messerangriffen gehören.
Auf Nachfrage des Abgeordneten Martin Hess (AfD) antwortete die Bundesregierung nun, dass die Veröffentlichung der Messerangriffe bei Raubdelikten „konkreter“ sei als die Angabe zu Messerangriffen bei „Gewaltkriminalität“. Außerdem sollten durch die geeignete Auswahl von PKS-Schlüsseln „Fehlerfassungen“ vermieden werden, also die Veröffentlichung von Straftaten, bei denen die Polizei zwar die Verwendung eines Messers angab, aber die Bundesregierung aus irgendwelchen Gründen glaubt, das sei nicht relevant. Doch jede Messertat ist eine zu viel und muss folglich auch berichtet werden. Ohne Problemerkennung keine Problemlösung.
Überhaupt ist das ein ungewöhnliches Bekenntnis zur „Konkretheit“ durch eine Bundesregierung, die sonst an allen Ecken und Enden versucht, genau das Konkrete zu vermeiden, zuletzt bei der Reaktion auf das Messerattentat und den Polizistenmord von Mannheim, wo Nancy Faeser sich nun „zutiefst erschüttert“ und „unendlich traurig“ zeigt und Bundespräsident Steinmeier wolkig sagte: „So darf es nicht weitergehen. Gewalt gefährdet, was unsere Demokratie stark gemacht hat.“ Vom radikalen, politischen Islam und dem Islamkritiker Stürzenberger als Opfer keine Rede. Kanzler Scholz wiederum meint in gewohnt gewundener Sprache, dass Gewalt „immer nicht akzeptabel“ sei und „von uns nicht hingenommen wird“. Wie vergleicht sich dieser Satz mit der Informationspraxis der Bundesregierung in Sachen Messerangriffe? Wie gut passt beides zueinander?
Unter den Tisch fallen Mord, Totschlag und Vergewaltigung
Die zweite Frage von Martin Hess war wiederum sehr konkret: „Welche PKS-Daten für die Jahre 2022 und 2023 in Bezug auf Messerangriffe bei Gewaltkriminalität liegen der Bundesregierung vor?“ Die Antwort der Bundesregierung fiel leider in hohem Maße nichtssagend und unklar aus. In fast großväterlichem Ton wird nacherzählt, dass nach dem Beschluss von 2018, Messerangriffe als gesondertes Phänomen in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zu erfassen, „weiterer Harmonisierungsbedarf hinsichtlich der Erfassungsmodalitäten“ bestand, so dass „die Daten zu Messerangriffen aufgrund mangelnder Validität bisher nicht vollumfänglich veröffentlicht werden können“. Bisher? Dann dauert dieser missliche Zustand also bis heute an – nach mehr als vier Jahren. Leider ist die Antwort hier unklar bis zum Verschwiemelten. Das BMI will an dieser Stelle nicht in der Lage sein, präzise auf eine Frage zu antworten. Und dem entspricht die (verordnete) Unfähigkeit des Bundeskriminalamtes, die Gesamtzahl der Messerangriffe in Deutschland zu benennen.
Gleich in der nächsten Antwort erklärt das Ministerium, dass es kein Erkenntnisproblem gebe – eben nur Unwillen zur öffentlichen Darstellung. „Eine Begrenzung der Erfassung des Phänomens ‚Messerangriffe‘ auf Fälle der gefährlichen und schweren Körperverletzung sowie auf Raub liegt nicht vor“, heißt es da. BMI und BKA kennen die Zahlen also, verschweigen sie den Bürgern aber. Der Bürger erfährt von knapp der Hälfte der Messerangriffe – inklusive den Drohungen mit einem Messer – gar nichts. Nicht berichtet werden außerdem die Messerangriffe bei Mord, Totschlag oder Vergewaltigung.
Es wird so getan, als ob dieser Kriminalitätsbereich viel kleiner wäre, als er tatsächlich ist. Unter den Tisch fallen so Messerangriffe in Verbindung mit Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen, mit Mord und Totschlag, zuletzt alle Drohdelikte, bei denen nicht zugestochen oder geraubt wurde, die aber trotzdem laut einheitlicher Definition als Messerangriff zu werten sind.
Faeser drückt sich vor klaren Worten
Die Innenministerin, denn letztlich ihr muss man die Antworten zurechnen, drückt sich vor eindeutigen Antworten, die letztlich der Souverän – das Volk – von ihr erwartet. Immerhin geht es um die parlamentarische Anfrage einer im Bundestag vertretenen Partei. Wer hier als Minister nachlässig reagiert oder Schlampigkeiten im Antworttext zulässt, verhält sich herablassend gegenüber den Bürgern.
Daneben verweist das BMI – in einem peinlichen Patzer – gleich in zwei Antworten auf eine Bundestagsdrucksache, die nur leider gar nichts mit der Fragestellung zu tun hat, vielmehr den „Personalmangel in der Justiz“ und speziell die bei der Justiz zu den Jahreswechseln 2016 bis 2022 jeweils anhängigen Ermittlungsverfahren behandelt. Man weiß nicht, ob man im BMI schlicht die eigenen Drucksachen durcheinander gebracht hat oder ob in diesem oberflächlich unverbundenen Hinweis eine tiefere Botschaft stecken soll. Etwa, dass die Justiz in diesem Bereich nicht mehr nachkommt und die Statistik deshalb lückenhaft ist? Aber in der polizeilichen Kriminalstatistik geht es natürlich nicht um Ermittlungsverfahren oder Urteile, sondern um die von der Polizei ermittelten Delikte.
Durch die enge Eingrenzung auf Raubdelikte und schwere Körperverletzungen gibt man zudem vor, „Fehlerfassungen“ zu vermeiden. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Den Bürger interessiert nur, ob ein Messer bei einer Tat eingesetzt wurde. Egal ist dabei, ob der Kriminelle dabei etwas rauben oder jemanden umbringen, verletzen oder vergewaltigen wollte. Es ist laut Definition der Innenministerkonferenz auch egal, ob er mit dem Messer zustach oder nur drohte zuzustechen. Beides gilt als Messerangriff. Er wird aber nicht als solcher öffentlich berichtet, jedenfalls nicht bundesweit, weil es das Bundeskriminalamt und am Ende wohl das Innenministerium so will.
Hess: Bezüge zur Migrationspolitik sollen versteckt werden
Der Abgeordnete Martin Hess (AfD) kritisiert das scharf: „Dass Tötungs- und Bedrohungsdelikte mit dem Tatmittel Messer nicht unter dem Phänomen ‚Messerangriff‘ erfasst werden, verfälscht in eklatanter Weise die Ergebnisse. Im Sicherheitsbericht für Baden-Württemberg 2023 entfallen beispielsweise ganze 35,4 Prozent der Messerdelikte auf Bedrohungen.“
Ein weiterer Mangel der Kriminalstatistik besteht aus AfD-Sicht darin, dass derzeit noch keine „Aufschlüsselung der Messerangriffe nach Tatverdächtigen und ihrer Herkunft“ möglich ist. In der PKS ist hier nur von Fällen die Rede. Erst ab dem Berichtsjahr 2025 (also real im Frühjahr 2026) soll es möglich werden, auch die Tatverdächtigen der Messerangriffe zu analysieren, etwa in Bezug auf ihre Herkunft und Nationalität. Dann erst könnte es eine Angabe dazu geben, wieviele Messerangriffe von Ausländern und wieviele von Pass-Deutschen begangen werden.
Hess kritisiert auch dieses Manko der Statistik: Dass Messerangriffe „bis zum heutigen Tage nicht bestimmten Nationalitäten zugeordnet werden können“, belegt für ihn, dass man „offensichtlich verhindern will, dass klare Bezüge zur verfehlten Migrationspolitik seit 2015 hergestellt werden können“. Das gesamte Vorgehen der Regierung sei daher „schlicht inakzeptabel“. Er kommt zur Gesamteinschätzung: „Die Bundesregierung versucht ganz offensichtlich mit statistischen Manipulationen der polizeilichen Kriminalstatistik das wahre Ausmaß und die Ursachen der Messerkriminalität so lange wie möglich zu verschleiern.“
Antidemokratisches Vertuschungsmanöver
Dabei bedarf „die explodierende Messerkriminalität“ laut Hess „einer dringenden sicherheitspolitischen Korrektur“. Dazu sei „eine die wahren Ausmaße des Problems beschreibende statistische Erfassung zur Lage- und Ursachenbeschreibung unerlässlich“. Darüber hinaus gilt für Hess: „Auch die Bürger haben ein Anrecht darauf, nicht durch eine regierungsseitige Manipulation der Statistik getäuscht zu werden, sondern sich durch eine die Realität abbildende und damit aussagekräftige Kriminalitätsstatistik ein eigenes Bild über das untragbar gewordene Ausmaß der Messerdelikte in unserem Land und deren Ursachen zu machen.“
Damit macht Hess auf eine Diskrepanz aufmerksam: Die Innenministerkonferenz betrachtet in ihren Beschlüssen vorwiegend die Nützlichkeit der Statistik für sich selbst, also für die Innenministerien in Deutschland, auch speziell für die Kriminalitätsbekämpfung. Aber es gibt darüber hinaus auch ein Informationsrecht der Bürger, dem hier seit Jahren schon – chronisch – nicht nachgekommen wird. Und das ist – man muss es der SPD sagen – letztlich antidemokratisch, weil nur ein informierter Bürger auch für sich selbst richtig abstimmen kann.
„Zum 1. Januar 2025“ soll endlich der neue Katalog zur „Art der Waffenverwendung“ eingeführt werden. Damit könne man „ab dem Berichtsjahr 2025 auch die Art der Waffenverwendung fall- und tatverdächtigenbezogen“ erfassen, das heißt, Aussagen darüber treffen, „ob ein Messer mitgeführt, es angewendet oder mit ihm gedroht wurde“. Und dann könnte man auch endlich etwas mehr darüber erfahren, welche Personen die vielen tausend Messerangriffe jedes Jahr begehen – nämlich in nach Nationalität aufgegliederten Zahlen.
Man hätte es dann also mit einer Zwischenlaufzeit von mehr als fünf Jahren geschafft, eine bundeseinheitliche Definition von Messerangriffen auf den Weg zu bringen und sie – mit etwas Glück – auch nutzbringend anzuwenden. Wenn das denn der Fall sein sollte. Denn andere Schwierigkeiten werden sich gewiss finden lassen, wenn man von politischer Seite etwas verbergen will. Auf eine Aufschlüsselung nach Migrationshintergrund geht das Bundesinnenministerium, obwohl es in den Fragen anklang, nicht ein.