Dieser Ansatz ist gescheitert, und bedenkt man, dass es Nancy Faesers Ansatz war, war das eigentlich zu erwarten. Faeser hatte nach der letzten Demonstration der Gruppe „Muslim Interaktiv“ den Ländern dazu geraten, die strengstmöglichen Maßnahmen zu verhängen, um mit der Aktivität von dieser und ähnlichen Gruppen umzugehen. Ein Verbot war natürlich auf die Schnelle nicht hinzubekommen. Kein Wunder, es ist ja nur mehr als zwanzig Jahre her, dass Otto Schily die Vorgänger- und Mutterorganisation Hizb ut-Tahrir verbot, jene ausnehmend radikale Organisation, der es von Anfang an darum ging, für ein Kalifat zu werben, von dem man sich nicht zuletzt die Befreiung Palästinas verspricht. „Muslim Interaktiv“ ist seinerseits seit 2020 bekannt. Genug Zeit für den Verfassungsschutz, tätig zu werden. Doch die Prioritäten liegen hier unter Faeser und Haldenwang anderswo, wie ja bekannt ist.
Vor allem bestritten die Demonstranten nun laut NZZ, überhaupt für ein Kalifat in Deutschland eingetreten zu sein. Vielmehr sei ganze „zwölf Mal gesagt worden, dass man kein Kalifat in Deutschland wolle“. Diese Argumentation hatte die Gruppe schon kurz nach dem Treffen im April benutzt. Offenbar handelt es sich um einen Punkt, an dem „Muslim Interaktiv“ juristisch angreifbar wäre. Die legalistische Expertise bei der Gruppe, die sich stark aus Studenten rekrutiert, sollte man nicht unterschätzen.
So weisen deutsche Behörden den Salafisten den Weg
Nur ist das Kalifat letztlich eine weltweite Staatsidee. Und wo ist überhaupt die Logik einer solchen Gruppengründung und Demonstration für das Kalifat in der Freien und Hansestadt Hamburg? Beides zielt offenbar auf Einfluss in Deutschland ab, Einfluss für die Idee eines streng praktizierten Islam, wie auch die vollverschleierten Frauen am Rande der aktuellen Kundgebung zeigten. Der Auftritt im Sehschlitz-Kostüm könnte ein Signal sein, etwa in der Art: Alles das dürfen wir hier, und wenn ihr uns bekämpft, werden wir nur noch radikaler.
Geschlechtertrennung war eigentlich nicht mehr erlaubt, aber die sehr wenigen teilnehmenden Frauen standen immer noch am Rande der Gruppe aus deutlich mehr als 2.000 muslimischen Männern. Eine weibliche Reporterin wurde angeblich zunächst daran gehindert, sich unter die Demonstranten zu mischen. Sie waren diesmal in normaler Zivilkleidung erschienen, wie es ebenfalls vorgeschrieben war („Verbot uniformierten Auftretens“). Bravo! Die deutschen Behörden haben den salafistischen Islamjüngern also geflüstert, wie sie akzeptabler und sympathischer auf das deutsche Publikum wirken. Vereinzelt hörte man allerdings doch Parolen wie „Allahu akbar“, die eigentlich nicht mehr erlaubt waren.
Die hochgehaltenen Schilder waren, wie bei der Demo im April auch, zentral erstellt und illustrieren damit die generalstabsmäßige Planung der Treffen. Man hat es nicht mit Dilettanten zu tun, auch wenn Joe Adade Boateng, der sich nach seinem Übertritt zum Islam den Vornamen Raheem gab, laut Bild am Ende seiner Rede erneut das Kalifat forderte. Das war eigentlich verboten, „in Wort, Bild oder Schrift“, wie bekannt wurde. Aber musste man das Wort überhaupt noch sagen, nachdem man es zuletzt Ende April zigfach auf Plakate gedruckt hatte?
Buschmann: Politisch absurd, aber hinzunehmen
Nancy Faeser hat vor der Kundgebung behauptet, die Auflagen der Hamburger Behörden seien richtig und ermöglichten „ein sofortiges hartes Einschreiten, wenn aus der Demonstration heraus aggressiv nach einem Kalifat in Deutschland gerufen wird“. Für Faeser scheint es keine anderen Möglichkeiten zu geben, die Errichtung eines Kalifats in Deutschland zu verhindern. Und so ist es doch recht: harte Polizeiarbeit, wenn ein falsches Wort fällt. Das scheint aber nicht geschehen zu sein. Tatsächlich sprach Boateng erneut vom Kalifat, nun aber nur noch für den Nahen Osten, wenn auch sicher als übernationale Struktur.
Und eines muss man auch Joe Adade Boateng lassen. Die Begriffe Werte- und Meinungsdiktatur arbeitet er gekonnt heraus. Dank den Vorgaben der Hamburger Innenbehörde haben die radikalen Muslime nun Grund anzunehmen, dass die Redefreiheit in Deutschland beliebig von Behörden eingeschränkt werden kann. Wenn der Innensenator Andy Grote (SPD) es will, sind gewisse Ausdrücke und Sätze nicht mehr sagbar. Ist das wirklich besser als ein schlichtes, schnelles Verbot verfassungsfeindlicher Nachfolgeorganisationen von anderen verfassungsfeindlichen Gruppen? Jedenfalls nicht der öffentlichen Wahrnehmung nach.
Auch ein Verbot der Demonstration war laut Grote juristisch nicht machbar gewesen. Aber ist das Verbot von bloßen Worten, Begriffen oder Forderungen eigentlich juristisch haltbar? Justizminister Marco Buschmann (FDP) findet, dass auch verfassungsfeindliche Forderungen wie die nach einem Kalifat hingenommen werden müssen, solange sie nur geäußert werden. Sie sind laut Buschmann „politisch absurd“, aber nicht strafbar. Das scheint korrekt.
Es ist ja ohnehin eine Absurdität, und zwar eine autoritäre, dass Meinungen in Deutschland unter Strafe stehen sollen. Vielmehr müsste man jene Meinungen, die einem nicht gefallen, politisch bekämpfen. Ein Verbot kann eigentlich nicht Aussagen wie „Das Kalifat ist die Lösung“ treffen, sondern nur den Gesamtzusammenhang einer Bewegung, die ausdrücklich oder implizit fordert, eine solche Regierungsform, inklusive Anwendung der Scharia und Beendigung der Demokratie, in Deutschland einzuführen. Wenn man das gezeigt hätte, kann ein Organisationsverbot eigentlich nicht mehr weit sein.
„Hamburg bleibt stabil“ – „Scharia ist Diktatur“
Auch für die gegenüber der Demo kritischen Hamburger war mit den umfangreichen Auflagen keineswegs etwas zum Besseren gewendet. Sie empfanden die Anwesenheit etwa der vollverschleierten Frauen als Affront gegen die hiesigen Regeln des Zusammenlebens. Und diese Empfindung erfordert mehr als nur ein Aufstöhnen in der Sonntagsrede, sondern eventuell auch gesetzgeberische Arbeit – wie sie etwa in Frankreich geleistet wurde. Warum verbietet Frau Faeser nicht verfassungsfeindliche Praktiken bundesweit, anstatt ihre Landeskollegen mit der Kontrolle des Unmöglichen zu betrauen oder zu quälen?
Und noch etwas ist über die herrschenden Mächte zu sagen. Wo sie nach dem falschen „Geheimtreffen“ von Potsdam Hunderttausende auf den Straßen versammelten, versagten sie nun kläglich bei der Organisation eines Gegenprotests. Der war natürlich keineswegs beabsichtigt, blieb auf private Initiatoren angewiesen. Aus blieben die Gewerkschaftsaufrufe und dergleichen. Neben den 2.300 MI-Anhängern nahm sich die angemeldete Gegendemonstration mit etwa 150 Teilnehmern sehr bescheiden aus. Zu den dort gesehenen Slogans gehörte: „Scharia ist Diktatur“.
Überflüssig zu sagen: Die ARD-Tagesschau verharmlost das neue Hamburger Salafisten-Treffen erneut mit der Überschrift „Hunderte bei Islamisten-Demo in Hamburg“ – ganz so, als ob kein ARD-Journalist in der Nähe gewesen wäre. Die glatte Verdoppelung der Teilnehmer von 1.100 auf 2.300 zeigt, dass hier niemand klein beigeben wird. Aus den Reihen der Teilnehmer gibt es Tweets wie diesen von der „lebendigen Umma“ und dem „stabilen Hamburg“ – stabil islamisch, aber nicht unterwandert, allenfalls eingewandert und in vielen Fällen dank großzügiger Regelungen legal eingebürgert. Auch das ist natürlich Faesers Politik.