Die Affäre könnte das Zeug haben für einen veritablen Politskandal und vielleicht sogar die Bundesministerin des Innern (BMI) Nancy Faeser (SPD) in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Was ist geschehen? Faeser will den Chef des „Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik“ (BSI), Arne Schönbohm (53), loswerden. Wegen „mangelnden Vertrauens“ hat sie ihm die Ausübung der Amtsgeschäfte verboten. Aus dem BMI hieß es außerdem, die Entscheidung erfolge „auch aus Fürsorge für die im Fokus der Debatte stehende Person selbst“. Sie sei im Interesse der über 1500 BSI-Mitarbeiter, die so nunmehr unabhängig von personellen Spekulationen ihrer Arbeit nachgehen könnten.
Davon unabhängig würden „alle bekannten Vorwürfe gründlich und mit Nachdruck geprüft und einer eingehenden Bewertung unterzogen“. Bis zum Abschluss dieser Prüfung gelte für Schönbohm selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Faeser soll jedenfalls darüber verärgert sein, dass der BSI-Chef weiterhin Kontakte zu dem umstrittenen Verein „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e.V.“ gepflegt hatte, den er 2012 mitgegründet und geleitet hatte. 2016 war Schönbohm mit seiner Berufung zum BSI-Chef dort ausgestiegen. Er behielt aber offenbar Kontakt, jedenfalls hielt er dort Anfang September 2022 zum zehnjährigen Bestehen des Vereins einen Festvortrag. Diesen hatte er sich allerdings von seinem Staatssekretär im Bundesinnenministerium genehmigen lassen.
Die Chronologie
Der Zeitpunkt der Amtsenthebung selbst hat mit der Sendung „ZDF Magazin Royale“ des Polit-Clowns Jan Böhmermann vom 7. Oktober zu tun. Dabei ging es um die Russland-Kontakte des „Cyber-Sicherheitsrates Deutschland e.V.“. In dem Verein sind viele Unternehmen aus dem Finanz-, dem Energie- und dem Sicherheitsbereich vertreten. Zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium, die Polizeigewerkschaft und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Zudem nahm der ZDF-Beitrag die Berliner Cybersecurity-Firma Protelion ins Visier, die bis vor kurzem Mitglied im Cyber-Sicherheitsrat Deutschland war. All dies war bekannt. Nahezu alles war schon 2019 Gegenstand eines ARD-Beitrags gewesen. Neu ist nur die Firma Protelion, die 2020 Mitglied in dem Lobbyverein wurde. Ihre Produkte hat das BSI indes nicht zugelassen.
Kurz zuvor, am 17. Oktober, hatte Schönbohm, der von Faesers Absicht aus den Medien erfuhr, die Innenministerin eben damit unter Zugzwang gesetzt. Per E-Mail hat er die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragt. Diese Möglichkeit hat ein Beamter gemäß Paragraf 18 Disziplinargesetz, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten. Schönbohm ist jedenfalls nicht dazu bereit, einfach seinen Hut zu nehmen.
Die Freistellung ist zudem eine kostspielige Angelegenheit. Denn der BSI-Präsident ist als Beamter in die B8-Besoldung eingruppiert. Im Monat verdient der Familienvater also 11.717,33 Euro plus Zulagen. Weil er nun von seinen Aufgaben mit sofortiger Wirkung entbunden wurde, kann er vorerst zuhause bleiben, verdient aber sein volles Gehalt. Und das womöglich noch Monate lang.
Im April 2019 soll es eine geheime IT-Sicherheitskonferenz in Garmisch-Partenkirchen gegeben haben. Unter den russischen Teilnehmern waren ranghohe Sicherheitsbeamte mit Geheimdienstvergangenheit. Vorsitzender des Organisationskomitees war der frühere KGB-Mitarbeiter Wladislaw Scherstjuk (*1940). Hans-Wilhelm Dünn hatte bei dieser Gelegenheit zusammen mit Scherstjuk bzw. einem „Council on Cyber Security of Germany“ eine Erklärung zur gegenseitigen Unterstützung unterschrieben.
Ein neues „Ampel“-Problem?
Bei der jüngsten Sitzung des Innenausschusses des Bundestages in der Sache „Schönbohm“ am 19. Oktober ließ das BMI allerdings jede konkrete Begründung offen, was die „zwingenden dienstlichen Gründe“ für die Freistellung Schönbohms seien. Warum das BMI so spektakulär den Wechsel an der Spitze des Amtes anstrebt, scheint auch Insidern der Ampelkoalition unklar.
Insofern könnte sich hier ein neuer Konflikt innerhalb der „Ampel“ anbahnen. FDP und Grüne fordern jedenfalls Aufklärung. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Manuel Höferlin forderte in der Welt: „Es muss nun schnell das von Präsident Schönbohm beantragte Disziplinarverfahren eröffnet werden, um zu klären, ob und wieweit die Vorwürfe gegen ihn Bestand haben – auch um das BSI, seine Arbeit und seinen Ruf zu schützen.“ Auch der stellvertretende Grünenfraktionschef Konstantin von Notz forderte das Ministerium auf, die Entscheidung konkreter zu begründen. „Die exakten Hintergründe dieser Personalien bleiben bis heute nebulös“, sagte er den RND-Zeitungen. „Dass es um den dubiosen und problematischen Verein Cybersicherheitsrat e.V. skandalöse Vorgänge gibt, steht außer Frage. Trotzdem versteht man bisher nicht, was die konkreten Vorwürfe gegen Herrn Schönbohm sind. Wir verlangen vollständige Sachaufklärung im Hinblick auf alle Hintergründe dieses Vorgangs.“
Innenpolitiker von Notz forderte auf Twitter jedenfalls sofortige und umfassende Aufklärung. Er selbst hat gerade erst einen Gastbeitrag in der „Wirtschaftswoche“ veröffentlicht, in dem er kritisiert, dass „hochrelevante Teile unserer kritischen Infrastruktur“, die essenzieller für unsere digitale Just-in-time-Gesellschaft nicht sein könnten“, heute „maximal verletzlich“ seien.
CDU/CSU beanstandeten: „Der Umgang von Frau Faeser mit dem BSI als einer wichtigen Sicherheitsbehörde in dieser extrem angespannten Sicherheitslage wirft zahlreiche Fragen auf“, sagte die Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU): „Es ist höchste Zeit, dass endlich alle Fakten auf den Tisch kommen. Wer wusste wann was von wem, und wer hat wie entschieden und gehandelt?“ Die Union sprach schließlich von einem „Bauernopfer“.
Aus dem Innenausschuss war zudem zu hören, dass das BMI erst jetzt vom Verfassungsschutz „Erkenntnisse“ vorgelegt bekommen habe, die über eine ehemalige Vereinsmitgliedschaft hinaus Dienstverstöße und mangelndes politisches Gespür des BSI-Präsidenten beweisen sollen. Von einem „beschädigten Vertrauensverhältnis“ war im BMI die Rede. Doch einen Beweis, der auch einem Disziplinarverfahren standhält, bleibt Faeser bislang schuldig. Faeser begibt sich damit auch beamtenrechtlich in schwieriges Gelände. Denn einfach feuern kann sie den unliebsamen Beamten Schönbohm nicht. Kurz: Faeser hat keine Beweise.
Was ist das BSI und wie kam Schönbohm in dieses Amt?
Das BSI mit seinen 1.500 Mitarbeitern ist für die deutsche Cybersicherheit zuständig. Denn über das Internet werden heutzutage neben etwa dem privaten E-Mail-Verkehr auch alle kritischen Infrastrukturen betrieben, etwa der Bahnverkehr oder die Energieversorgung. Die Ampelregierung will das BSI jedenfalls zur Cybersicherheitsbehörde ausbauen. In realen Cyberkrieg-Zeiten mehr als erforderlich!
Arne Schönbohm ist nun seit 2016 BSI-Präsident, einer sogenannten Ausgründung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Bundesinnenminister war damals Thomas de Maizière (CDU). Arne Schönbohm ist Sohn des CDU-Urgesteins Jörg Schönbohm (1937–2019). Letzterer war Bundeswehroffizier, zuletzt Generalleutnant (bis 1992), dann Staatssekretär im Verteidigungsministerium (bis 1996), schließlich Berliner Innensenator (1996–1998) und in Brandenburg Innenminister (1999–2009).
Vorläufiges Resümee
Bislang ist noch kein Disziplinarverfahren gegen Schönbohm eingeleitet worden. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, forderte in der Welt denn auch zu Recht: „Es muss nun schnell das von Präsident Schönbohm beantragte Disziplinarverfahren eröffnet werden, um zu klären, ob und wieweit die Vorwürfe gegen ihn Bestand haben – auch um das BSI, seine Arbeit und seinen Ruf zu schützen.“
Man darf gespannt sein, wie Faeser aus dieser von ihr selbst verworrenen Lage herauskommt. Mit Aktionismus nicht, sondern nur mit Fakten und Belegen. Das gilt auch in einer Zeit, in der – anders als zu anderen SPD-Zeiten – Russlandskepsis angesagt ist. Sollte Faeser den Hut nehmen müssen, weil sie willkürlich gehandelt hat und Verdächtigern aufgesessen ist, wäre dies kein Schaden für dieses Land, das sie ja stramm zu einer Antifa- und Regenbogen-Republik umerziehen möchte.