Tichys Einblick
„Cyber-Sicherheitsrat Deutschland"

Nancy Faeser feuert BSI-Chef Arne Schönbohm – trotz dünner Beweislage

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will den Chef des „Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik“ loswerden, nachdem Jan Böhmermann Vorarbeit leistete. Selbst innerhalb der Koalition verlangt man endlich Aufklärung über die konkreten Gründe.

Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), 21.10.2021

IMAGO / Jürgen Heinrich

Die Affäre könnte das Zeug haben für einen veritablen Politskandal und vielleicht sogar die Bundesministerin des Innern (BMI) Nancy Faeser (SPD) in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Was ist geschehen? Faeser will den Chef des „Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik“ (BSI), Arne Schönbohm (53), loswerden. Wegen „mangelnden Vertrauens“ hat sie ihm die Ausübung der Amtsgeschäfte verboten. Aus dem BMI hieß es außerdem, die Entscheidung erfolge „auch aus Fürsorge für die im Fokus der Debatte stehende Person selbst“. Sie sei im Interesse der über 1500 BSI-Mitarbeiter, die so nunmehr unabhängig von personellen Spekulationen ihrer Arbeit nachgehen könnten.

Davon unabhängig würden „alle bekannten Vorwürfe gründlich und mit Nachdruck geprüft und einer eingehenden Bewertung unterzogen“. Bis zum Abschluss dieser Prüfung gelte für Schönbohm selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Faeser soll jedenfalls darüber verärgert sein, dass der BSI-Chef weiterhin Kontakte zu dem umstrittenen Verein „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e.V.“ gepflegt hatte, den er 2012 mitgegründet und geleitet hatte. 2016 war Schönbohm mit seiner Berufung zum BSI-Chef dort ausgestiegen. Er behielt aber offenbar Kontakt, jedenfalls hielt er dort Anfang September 2022 zum zehnjährigen Bestehen des Vereins einen Festvortrag. Diesen hatte er sich allerdings von seinem Staatssekretär im Bundesinnenministerium genehmigen lassen.

Die Chronologie

Der Zeitpunkt der Amtsenthebung selbst hat mit der Sendung „ZDF Magazin Royale“ des Polit-Clowns Jan Böhmermann vom 7. Oktober zu tun. Dabei ging es um die Russland-Kontakte des „Cyber-Sicherheitsrates Deutschland e.V.“. In dem Verein sind viele Unternehmen aus dem Finanz-, dem Energie- und dem Sicherheitsbereich vertreten. Zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium, die Polizeigewerkschaft und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Zudem nahm der ZDF-Beitrag die Berliner Cybersecurity-Firma Protelion ins Visier, die bis vor kurzem Mitglied im Cyber-Sicherheitsrat Deutschland war. All dies war bekannt. Nahezu alles war schon 2019 Gegenstand eines ARD-Beitrags gewesen. Neu ist nur die Firma Protelion, die 2020 Mitglied in dem Lobbyverein wurde. Ihre Produkte hat das BSI indes nicht zugelassen.

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Jetzt also ein Spiel über Bande zwischen Faeser und Böhmermann? Am 18. Oktober jedenfalls ließ Faeser die Öffentlichkeit wissen, dass sie Schönbohm nicht mehr als Chef des BSI haben wollte. Da Schönbohm kein politischer Beamter ist, den man ohne Angabe von Gründen ad hoc in den (einstweiligen) Ruhestand versetzen kann, sondern „normaler“ Beamter, blieb Faeser im Moment nur die sofortige Entbindung Schönbohms von der Leitung des BSI – bei gleichzeitigem Verbleib im Beamtenverhältnis. Ein Verbot der Ausübung von Dienstgeschäften „aus zwingenden dienstlichen Gründen“ ist gemäß Bundesbeamtengesetz (BBG), Paragraph 66, möglich. Danach kann die oberste Dienstbehörde einem Beamten die Führung der Dienstgeschäfte verbieten. Allerdings: „Das Verbot erlischt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen die Beamtin oder den Beamten ein Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist“, heißt es dort.

Kurz zuvor, am 17. Oktober, hatte Schönbohm, der von Faesers Absicht aus den Medien erfuhr, die Innenministerin eben damit unter Zugzwang gesetzt. Per E-Mail hat er die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragt. Diese Möglichkeit hat ein Beamter gemäß Paragraf 18 Disziplinargesetz, um sich von dem Verdacht eines Dienstvergehens zu entlasten. Schönbohm ist jedenfalls nicht dazu bereit, einfach seinen Hut zu nehmen.

Die Freistellung ist zudem eine kostspielige Angelegenheit. Denn der BSI-Präsident ist als Beamter in die B8-Besoldung eingruppiert. Im Monat verdient der Familienvater also 11.717,33 Euro plus Zulagen. Weil er nun von seinen Aufgaben mit sofortiger Wirkung entbunden wurde, kann er vorerst zuhause bleiben, verdient aber sein volles Gehalt. Und das womöglich noch Monate lang.

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Es geht um den Verein „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland“. Dieser im September 2012 in Berlin ins Vereinsregister eingetragene Verein soll eine Verbindung zu russischen Geheimdienstkreisen haben. Arne Schönbohm, damals Unternehmer, trat als Vereinspräsident auf, Hans-Wilhelm Dünn war sein Vize. Mit Schönbohms Berufung zum Präsidenten des BSI im Jahr 2016 gaben beide ihre Ämter auf. Erst 2018 übernahm Dünn wieder die Vereinsführung.

Im April 2019 soll es eine geheime IT-Sicherheitskonferenz in Garmisch-Partenkirchen gegeben haben. Unter den russischen Teilnehmern waren ranghohe Sicherheitsbeamte mit Geheimdienstvergangenheit. Vorsitzender des Organisationskomitees war der frühere KGB-Mitarbeiter Wladislaw Scherstjuk (*1940). Hans-Wilhelm Dünn hatte bei dieser Gelegenheit zusammen mit Scherstjuk bzw. einem „Council on Cyber Security of Germany“ eine Erklärung zur gegenseitigen Unterstützung unterschrieben.

Ein neues „Ampel“-Problem?

Bei der jüngsten Sitzung des Innenausschusses des Bundestages in der Sache „Schönbohm“ am 19. Oktober ließ das BMI allerdings jede konkrete Begründung offen, was die „zwingenden dienstlichen Gründe“ für die Freistellung Schönbohms seien. Warum das BMI so spektakulär den Wechsel an der Spitze des Amtes anstrebt, scheint auch Insidern der Ampelkoalition unklar.

Insofern könnte sich hier ein neuer Konflikt innerhalb der „Ampel“ anbahnen. FDP und Grüne fordern jedenfalls Aufklärung. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Manuel Höferlin forderte in der  Welt: „Es muss nun schnell das von Präsident Schönbohm beantragte Disziplinarverfahren eröffnet werden, um zu klären, ob und wieweit die Vorwürfe gegen ihn Bestand haben – auch um das BSI, seine Arbeit und seinen Ruf zu schützen.“ Auch der stellvertretende Grünenfraktionschef Konstantin von Notz forderte das Ministerium auf, die Entscheidung konkreter zu begründen. „Die exakten Hintergründe dieser Personalien bleiben bis heute nebulös“, sagte er den RND-Zeitungen. „Dass es um den dubiosen und problematischen Verein Cybersicherheitsrat e.V. skandalöse Vorgänge gibt, steht außer Frage. Trotzdem versteht man bisher nicht, was die konkreten Vorwürfe gegen Herrn Schönbohm sind. Wir verlangen vollständige Sachaufklärung im Hinblick auf alle Hintergründe dieses Vorgangs.“

Innenpolitiker von Notz forderte auf Twitter jedenfalls sofortige und umfassende Aufklärung. Er selbst hat gerade erst einen Gastbeitrag in der „Wirtschaftswoche“ veröffentlicht, in dem er kritisiert, dass „hochrelevante Teile unserer kritischen Infrastruktur“, die essenzieller für unsere digitale Just-in-time-Gesellschaft nicht sein könnten“, heute „maximal verletzlich“ seien.

CDU/CSU beanstandeten: „Der Umgang von Frau Faeser mit dem BSI als einer wichtigen Sicherheitsbehörde in dieser extrem angespannten Sicherheitslage wirft zahlreiche Fragen auf“, sagte die Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU): „Es ist höchste Zeit, dass endlich alle Fakten auf den Tisch kommen. Wer wusste wann was von wem, und wer hat wie entschieden und gehandelt?“ Die Union sprach schließlich von einem „Bauernopfer“.

Aus dem Innenausschuss war zudem zu hören, dass das BMI erst jetzt vom Verfassungsschutz „Erkenntnisse“ vorgelegt bekommen habe, die über eine ehemalige Vereinsmitgliedschaft hinaus Dienstverstöße und mangelndes politisches Gespür des BSI-Präsidenten beweisen sollen. Von einem „beschädigten Vertrauensverhältnis“ war im BMI die Rede. Doch einen Beweis, der auch einem Disziplinarverfahren standhält, bleibt Faeser bislang schuldig. Faeser begibt sich damit auch beamtenrechtlich in schwieriges Gelände. Denn einfach feuern kann sie den unliebsamen Beamten Schönbohm nicht. Kurz: Faeser hat keine Beweise.

Was ist das BSI und wie kam Schönbohm in dieses Amt?

Das BSI mit seinen 1.500 Mitarbeitern ist für die deutsche Cybersicherheit zuständig. Denn über das Internet werden heutzutage neben etwa dem privaten E-Mail-Verkehr auch alle kritischen Infrastrukturen betrieben, etwa der Bahnverkehr oder die Energieversorgung. Die Ampelregierung will das BSI jedenfalls zur Cybersicherheitsbehörde ausbauen. In realen Cyberkrieg-Zeiten mehr als erforderlich!

Arne Schönbohm ist nun seit 2016 BSI-Präsident, einer sogenannten Ausgründung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Bundesinnenminister war damals Thomas de Maizière (CDU). Arne Schönbohm ist Sohn des CDU-Urgesteins Jörg Schönbohm (1937–2019). Letzterer war Bundeswehroffizier, zuletzt Generalleutnant (bis 1992), dann Staatssekretär im Verteidigungsministerium (bis 1996), schließlich Berliner Innensenator (1996–1998) und in Brandenburg Innenminister (1999–2009).

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Arne Schönbohms Kompetenzen werden differenziert gesehen. „Ich war gegen Schönbohm“, sagt etwa Manuel Atug, seit 30 Jahren IT-Sicherheitsberater, der auch als Experte im Bundestag angehört wird. „Was man ihm aber lassen muss: Er hat das BSI vorangebracht. Dabei hat er sich vermutlich nicht überall Freunde gemacht.“ Schönbohm und sein Stellvertreter Gerhard Schabhüser seien ein gutes Duo mit überdurchschnittlicher Digitalkompetenz, gemessen an den sonstigen Akteuren. Atug außerdem: Der Sabotageakt vom 8. Oktober auf die Bahn sei ja nur ein geringer Angriff gewesen: Ich wüsste zehn andere Stellen, wo ich mit geringem Aufwand die Bahn dauerhaft zerstören könnte.“ In der Politik dagegen sei keinerlei Digitalkompetenz vorhanden. In dieser Lage einen Schönbohm „rauszukanten“, sei wirklich Unfug.
Vorläufiges Resümee

Bislang ist noch kein Disziplinarverfahren gegen Schönbohm eingeleitet worden. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, forderte in der Welt denn auch zu Recht: „Es muss nun schnell das von Präsident Schönbohm beantragte Disziplinarverfahren eröffnet werden, um zu klären, ob und wieweit die Vorwürfe gegen ihn Bestand haben – auch um das BSI, seine Arbeit und seinen Ruf zu schützen.“

Man darf gespannt sein, wie Faeser aus dieser von ihr selbst verworrenen Lage herauskommt. Mit Aktionismus nicht, sondern nur mit Fakten und Belegen. Das gilt auch in einer Zeit, in der – anders als zu anderen SPD-Zeiten – Russlandskepsis angesagt ist. Sollte Faeser den Hut nehmen müssen, weil sie willkürlich gehandelt hat und Verdächtigern aufgesessen ist, wäre dies kein Schaden für dieses Land, das sie ja stramm zu einer Antifa- und Regenbogen-Republik umerziehen möchte.


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