Tichys Einblick
Macht hoch die Tür

Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Neue Zugänge für Asylbewerber

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz unterminiert das bestehende Asylrecht, weil es die Optionen für dessen Mißbrauch noch weiter ausdehnt: Die geplante "Beschäftigungsduldung" öffnet damit endgültig das Tor nach Deutschland.

Mit großen Worten („Historischer Tag zur Einwanderung“) und viel Eigenlob („Modernstes Einwanderungsgesetz weltweit“) haben Innenminister Seehofer, Arbeitsminister Heil und Wirtschaftsminister Altmaier das vom Bundeskabinett beschlossene „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ der Presse vorgestellt. Es wurde mit Hochdruck unter der Federführung des Innenmisteriums erarbeitet und soll nun das parlamentarische Verfahren durchlaufen, um im Januar 2020 in Kraft treten zu können. Innenminister Horst Seehofer war damit federführend – von seiner ursprünglich restriktiven Zuwanderungspolitik ist nichts mehr übrig geblieben. Es werden den bestehenden Mißbrauchsmöglichkeiten des Asylrechts weitere hinzugefügt. Damit verliert das Asylrecht endgültig seine steuernde Funktion.

Besonders umstritten war in den interministeriellen Verhandlungen die in dem Gesetzentwurf unter anderem geregelte „Beschäftigungsduldung“ für abgelehnte Asylbewerber. Dieses Thema wird deswegen in einem eigenen Gesetzentwurf geregelt, so daß im parlamentarischen Verfahren gegebenenfalls noch Veränderungen vorgenommen werden können. Vielleicht rechnen die drei Minister aber auch damit, daß die von ihnen für abgelehnte Asylbewerber vorgesehenen Regelungen im Bundestag keine Mehrheit erhalten. Durch die Entkoppelung könnte dann das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ auch ohne eine Regelung zur „Beschäftigungsduldung“ den Bundestag passieren.

Widerstand gegen das hochgelobte Gesetz

Zu dieser Vorsicht gibt es allen Grund. Mit Widerständen ist nämlich keineswegs nur seitens der Oppositionsfraktionen, allen voran der AfD, sondern auch aus den Reihen der eigenen Regierungsfraktionen zu rechnen. Die vorgesehenen Regelungen zur „Beschäftigungsduldung“ werden nicht nur den Abgeordneten der Grünen und der Linken, sondern auch vielen Abgeordneten der SPD zu restriktiv sein. So können abgelehnte Asylbewerber nur dann eine „Beschäftigungsduldung“ von 30 Monaten beantragen, wenn sie seit mindestens einem Jahr trotz Ablehnung ihres Asylantrags schon eine „Aufenthaltsduldung“ haben. Darüber hinaus müssen sie ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen und seit mindestens 18 Monaten einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit mit mindestens 35 Wochenstunden nachgehen, die ihren Lebensunterhalt vollumfänglich abdeckt.

Mit insgesamt sieben solcher Kriterien sollen die Hürden für abgelehnte Asylbewerber so hochgelegt werden, daß nur ein Teil von ihnen in den Genuß einer „Beschäftigungsduldung“ kommt. Dies widerspricht den Interessen der zahlreichen „Refugee-Welcome“-Aktivisten im Bundestag. Sie fürchten Enttäuschung und Verdruß in ihrer Anhänger- und Wählerschaft, von denen sich seit dem Herbst 2015 viele auf Wunsch der Bundesregierung als amtliche oder ehrenamtliche Helfer dafür einsetzen, daß auch abgelehnte Asylbewerber dauerhaft in Deutschland bleiben können. Insbesondere die SPD-Abgeordneten müssen vor diesem Hintergrund befürchten, daß ihre Zustimmung zu einer relativ restriktiven Regelung der geplanten „Beschäftigungsduldung“ noch mehr der zahlreichen Anhänger einer möglichst liberalen Asylpolitik den Grünen oder den Linken zutreibt. Deren Abgeordnete werden, um diesen Effekt zu nutzen und weiter zu verstärken, jede restriktive Regelung der „Beschäftigungsduldung“ ablehnen und sich der Öffentlichkeit als alleinige Verteidiger einer humanen Asylpolitik präsentieren.

Es ist also angesichts der desaströsen Lage und Zerstrittenheit der SPD keineswegs sicher, daß ausreichend viele ihrer Abgeordneten dem Gesetzentwurf zur „Beschäftigungsduldung“ zustimmen werden. Inzwischen müssen viele von ihnen nämlich befürchten, daß sie bei den nächsten Wahlen ihre Mandate verlieren, sollten noch mehr ihrer Wähler zu den Grünen oder der Linken abwandern.

Noch mehr Einwanderung von Unqualifizierten?

Ungemach droht den SPD-Abgeordneten aber auch noch von anderer Seite. Unter ihren Anhängern und Wählern gibt es noch einen (Rest-)Bestand an Bürgern, die nicht mit der (ultra-)liberalen asylpolitischen Linie der SPD-Parteiführung einverstanden sind. Der Großteil dieser Bürger ist inzwischen zwar schon ins Lager der Nicht-Wähler oder zur AfD abgewandert. Dieser Trend kann sich aber noch weiter fortsetzen, sollten sich die der SPD noch verbliebenen Befürworter einer restriktiveren Asylpolitik aufgrund des neuen Gesetzes in ihrem Eindruck bestätigt sehen, die SPD wolle selbst abgelehnten Asylbewerbern den dauerhaften Verbleib in Deutschland erlauben. Dies dürfte allerdings, wenn überhaupt, nur für eine kleine Minderheit der SPD-Abgeordneten ein Grund sein, dem Gesetzentwurf zur „Beschäftigungsduldung“ nicht zuzustimmen. Sollte es sie geben, werden sie sich nicht laut äußern, da sie sonst Gefahr liefen, von der Partei- und Fraktionsführung vorgeworfen zu bekommen, Wasser auf die Mühlen der AfD zu leiten.

Diesem Vorwurf sehen sich auch all diejenigen Abgeordneten von CDU und CSU ausgesetzt, die sich mittlerweile öffentlich gegen die geplanten Regelungen zur „Beschäftigungsduldung“ geäußert haben. So erklärten der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Joachim Pfeiffer, zusammen mit dem innenpolitischen Sprecher, Mathias Middelberg, in einem Protestschreiben an Seehofer noch in der vergangenen Woche den Gesetzentwurf als „nicht zustimmungsfähig“. Sie kritisieren vor allem die mit ihm einhergehende Legalisierung des Mißbrauchs des Asylrechts zur Arbeitsmigration sowie die deswegen zu erwartende Verstärkung der Zuwanderung über den Asylweg und meldeten diesbezüglich „weiteren Gesprächsbedarf“ an.

Ob die Einwände der Wirtschafts- und Innenpolitiker der CDU-Fraktion in dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf inzwischen ausgeräumt sind, war auf der Pressekonferenz der drei Minister nicht zu erfahren. Die Zweiteilung des Gesetzes und der Verweis auf das parlamentarische Verfahren lassen vermuten, daß dies nicht der Fall ist. Für die Abgeordneten von CDU und CSU stellt sich nämlich die Frage, ob sie einem Gesetz zustimmen sollen, mit dem das bestehende Asylrecht endgültig ausgehebelt werden soll. Schon heute wird Artikel 16a des Grundgesetzes, der die Zuwanderung von Asylbewerbern aus anderen EU-Ländern sowie aus sicheren Drittstaaten untersagt, nur noch zum Teil angewendet. Das hat unter anderem dazu geführt, daß sich Deutschland zu einem Magneten für Migranten entwickelt hat, die sich mit Hilfe des Asylrechts einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und zum deutschen Asylsystem verschaffen.

„Beschäftigungsduldung“ als offene Tür

Eine Folge dieses Mißbrauchs ist unter anderem, daß sich ein hoher Anteil abgelehnter Asylbewerber schon im Land aufhält, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihre Herkunftsländer angeschoben werden können. Sie erhalten deswegen eine Aufenthaltsduldung, aber keinen regulären Aufenthaltstitel. Innenminister Seehofer beziffert deren Anzahl auf derzeit 180 000 Personen. Sie sollen nun auf seinen Wunsch hin unter bestimmten Voraussetzungen eine „Beschäftigungsduldung“ für 30 Monate und danach eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten. Damit wird mit dem bisher geltenden asylrechtlichen Grundsatz gebrochen, daß die Anerkennung eines Asylantrags Voraussetzung dafür ist, daß sich jemand längere Zeit oder gar dauerhaft in Deutschland aufhalten darf. Abgelehnte Asylbewerber werden damit anerkannten Asylbewerben gleichgestellt, was die Frage aufwirft, warum Asylverfahren überhaupt noch durchgeführt werden sollen.

Die Verfasser des Protestbriefs an Seehofer stehen mit ihren parlamentarischen Gruppierungen nun vor der Frage, ob sie einer solchen weiteren Aushebelung des deutschen Asylrechts zustimmen. Sie kann eine ähnliche Sogwirkung in den Herkunftsländern der Asylbewerber auslösen, wie die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom Sommer 2015, daß Deutschland auf jegliche Zurückweisung von Asylbewerbern an seinen Grenzen verzichtet. Die von den drei Ministerien ausgearbeiteten sieben Kriterien (Hürden) für die Erteilung einer „Beschäftigungsduldung“ werden zunächst keinen Auswanderungswilligen zum Beispiel aus Afghanistan oder dem Sudan davon abhalten, sich nach Deutschland auf den Weg zu machen, dessen Regierung ihm in Aussicht stellt, unabhängig vom Ausgang seines Asylverfahrens auf Dauer bleiben zu können. Nicht nur seine Schlepper, sondern auch die zahlreichen Asyllobbyisten in Deutschland werden ihn in seiner Annahme bestärken, daß er dies mit etwas Anstrengung ohne weiteres „schaffen kann.“ Die Asyllobby wird zudem alle Hebel in Bewegung setzen, um eine „Beschäftigungsduldung“ zu erreichen, auch wenn einzelne Kriterien nicht erfüllt sind.

Sie kann dabei neuerdings mehr denn je auf die tatkräftige Unterstützung vieler Unternehmen und Wirtschaftsverbände setzen. Diese erwarten von dem neuen „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ nicht nur eine Liberalisierung der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt via regulärer Arbeitsmigration, sondern auch via Asyl. Beide Wege sollen von den Unternehmen dazu genutzt werden können, qualifizierte wie auch nicht qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten von außerhalb der EU zu rekrutieren. Handelt es sich im Falle der regulären Arbeitsmigration im Kern um eine nachfragegesteuerte Rekrutierung, bei der die Unternehmen selbst in den jeweiligen Drittstaaten um Arbeitskräfte werben sollen, verzichtet man bei der Rekrutierung über den Asylweg auf eine Steuerung durch die quantitative und qualitative Nachfrage. Stattdessen wird auf Kosten der Steuerzahler eine Reservearmee an überwiegend unqualifizierten Arbeitskräften im Land aufgebaut und vorgehalten, aus der sich die Unternehmen bedienen können.

Die neue Reservearmee der Arbeitgeber

Sie umfasst nach den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) inzwischen rund 610 000 „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“, das heißt Hartz IV-Empfänger aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern. Hinzu kommen die von Seehofer genannten 180 000 abgelehnten, aber geduldeten Asylbewerber sowie ein Teil der im Jahr 2018 nach den Statistiken des BAMF ins Land gekommenen rund 175 000 neuen Asylbewerbern, die sich noch im Anerkennungsverfahren befinden. Auch sie dürfen nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland arbeiten und stehen den Unternehmen insofern als Arbeitskräfte zur Verfügung.

Die Asyl-Reservearmee für die Unternehmen dürfte somit inzwischen 800 000 bis eine Million Personen umfassen. Sie ist entgegen ursprünglicher Erwartungen und Behauptungen in fachlicher Hinsicht aber zu unergiebig, um den Fachkräftemangel in einzelnen Branchen zu beheben. Beschäftigung finden die Asylbewerber fast nur in gering qualifizierten Bereichen im Niedriglohnsektor. Deswegen soll nun die Öffnung des Arbeitsmarktes für „Fachkräfte“ aus Drittstaaten das Rekrutierungsreservoir zusätzlich erweitern. Dafür sollen Bewerber sich, entgegen dem bisherigen Grundsatz des Nachweises eines bestehenden Arbeitsvertrags, für ein halbes Jahr in Deutschland auf Arbeitssuche machen können, ohne während dieser Zeit Anspruch auf Grundsicherung zu haben. Eine Einwanderung in die Sozialsysteme soll auf diesem Wege vermieden werden. Verläuft ihre Arbeitssuche erfolglos, sollen die Bewerber in ihre Heimat wieder zurückkehren. Naheliegend ist in diesem Fall aber, daß sie während ihres Aufenthalts einen Asylantrag stellen und damit einen umgekehrten Spurwechsel vom Aufenthaltsrecht in das Asylrecht mit entsprechenden Sozialleistungsansprüchen vollziehen. Von dort könnten sie im Falle einer Ablehnung dann eine „Beschäftigungsduldung“ anstreben, um so in Deutschland bleiben zu können.

Noch mehr Rekruten für die Reservearmee

Will jemand diese Umwege nicht gehen, kann die bei der halbjährigen Arbeitssuche erfolglose „Fachkraft“ aber auch den direkten Einstieg in eine gering qualifizierte Arbeit wählen und so in Deutschland bleiben. Das ist für den deutschen Steuerzahler zwar billiger als der für ihn sehr teure Asylweg, verringert aber die Integrationschancen der Mitglieder der Asyl-Reservearmee, die deswegen wiederum vom Steuerzahler länger ausgehalten werden müssen. Außerdem trägt diese Variante nichts zur Behebung des Fachkräftemangels bei.

Es ist unschwer zu erkennen: das neue „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ unterminiert nicht nur weiter das bestehende Asylrecht, versetzt ihm vielleicht sogar den Todesstoß; es bietet zudem auch viel Gestaltungsspielraum, um die verhängnisvolle Koppelung von Asyl und Arbeitsmigration fortzuführen und weiterzuentwickeln. An der dafür erforderlichen Phantasie fehlt es der unter der Flagge der Humanität segelnden Asyllobby in- und außerhalb des Bundestags sicherlich nicht. Es ist nur die Frage, ob ihr die Mehrheit der Abgeordneten von CDU und CSU, unter denen es auch entschiedene Anhänger einer restriktiveren Asylpolitik geben soll, mittels der Regelungen zur „Beschäftigungsduldung“ die Möglichkeit verschaffen wollen, ihrer Phantasie auch Taten folgen zu lassen.

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