Expertenrat und Politik machen Druck: Neue Corona-Maßnahmen noch vor Weihnachten?
Redaktion
Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung spricht sich für neue Kontaktbeschränkungen aus. Bund und Länder wollen darüber am Dienstag beraten. Gesundheitsminister Lauterbach schließt Lockdown „vor Weihnachten“ aus.
Der Expertenrat der Bundesregierung zu COVID-19 warnt in einer Stellungnahme vor der „Omikronwelle“. Die „aktuell sinkenden Inzidenzen“ würden von Gesellschaft und Politik als Zeichen der Entspannung wahrgenommen, doch dieser Eindruck sei „nicht gerechtfertigt“. Die Omikron-Variante zeichne sich durch eine hohe Übertragbarkeit aus. Sie „unterlaufe“ zudem einen bestehenden Immunschutz und beziehe „auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen ein“. Die Krankheitsschwere könne nicht beurteilt werden. „Erste Studienergebnisse zeigen, dass der Impfschutz gegen die Omikron-Variante rasch nachlässt und auch immune Personen symptomatisch erkranken.“ Der Expertenrat betonte, dass mehrere Studien einen „deutlich verbesserten Impfschutz“ nach einer „Boosterimpfung“ zeigten, die „Impflücke“ in Deutschland jedoch eine sehr hohe Krankheitslast bedeute.
Das Gremium sprach daher von einer „neuen Qualität der Pandemie“, die sich anhand neuer Modellrechnungen zeige. Die prognostizierten Inzidenzen könnten die kritische Infrastruktur in Deutschland gefährden. Eine „erhebliche Belastung der Krankenhäuser“ sei zu erwarten, selbst bei einer milderen Krankheitsschwere als der Delta-Variante. Der Expertenrat forderte daher „zeitnah notwendige Maßnahmen“, insbesondere „gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen“. Boosterimpfungen allein bewirkten keine ausreichende Einschränkung der Omikronwelle. Neben einer intensivierteren Impfkampagne sei daher die Vermeidung größerer Zusammenkünfte, das konsequente Tragen von FFP2-Masken sowie der verstärkte Einsatz von Schnelltests bei Zusammenkünften vor und während der Festtage nötig. „Besonders vulnerable Gruppen bedürfen verstärkter Schutzmaßnahmen durch hochfrequente Testung und FFP2-Masken.“
Zugleich betonten die Wissenschaftler, dass die Bevölkerung nach zwei Jahren Pandemie „erschöpft“ und „massive Spannungen“ offenkundig seien. Essenziell sei daher eine „umfassende Kommunikationsstrategie mit nachvollziehbaren Erklärungen“. Die Omikronwelle sei nur durch entschlossenes und nachhaltiges politisches Handeln zu bewältigen.
Die Bundesregierung reagierte am Sonntagabend auf die Stellungnahme. Bereits am Dienstagnachmittag wollen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder zu einem Corona-Gipfel treffen. „Bei dem Austausch der Regierungschefinnen- und Chefs von Bund und Ländern soll es neben der Auswertung der ersten Stellungnahme des Expertenrats der Bundesregierung zu Covid-19 um vorbereitende Maßnahmen zum Schutz der kritischen Infrastruktur (KRITIS) sowie weitere kontaktreduzierende Maßnahmen zum Schutz des Gesundheitssystems vor einer drohenden Überlastung in Folge der Omicron-Welle gehen“, teilte die Bundesregierung in einem Bulletin mit. Damit könnten noch vor Weihnachten neue Corona-Maßnahmen beschlossen werden.
Mehrere Politiker hatten im Vorfeld einen solchen Gipfel gefordert. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach gegenüber BILD davon, dass Bund und Länder „noch vor Weihnachten“ einen Fahrplan für die kommenden Wochen vereinbaren müssten. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ging davon aus, dass es noch vor Weihnachten eine Bund-Länder-Schalte geben werde. „Wenn es noch im alten Jahr zu einem Hochlauf der Omikron-Welle kommt, müssen wir uns zügig beraten“, erklärte er gegenüber der dpa. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schloss Kontaktbeschränkungen nicht aus. „Natürlich sind wir bereit, wenn man diese Instrumente braucht, sie auch anzuwenden, wenn das dazu beiträgt – beispielsweise – Schulschließungen und flächendeckende Lockdowns zu verhindern“, sagte Buschmann gegenüber dem ARD-Magazin Bericht aus Berlin.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach meldete sich am Wochenende mehrfach zu Wort. Bei BILD sagte der SPD-Politiker: „Angst machen, Panik schüren und dergleichen – das verbietet sich. Es bringt zum einen nichts, es verängstigt die Menschen.“ Am Freitag hatte Lauterbach auf seinem Twitter-Account eindringlich vor der fünften Welle gewarnt. „Omikron stellt alles in den Schatten, was wir bisher in Pandemie gesehen haben. Daher müssen wir Booster Impfungen beschleunigen“, schrieb der Minister. Omikron dürfe niemand unterschätzen. Die vielen Ungeimpften in Deutschland seien gefährdet. In der Sendung Bericht aus Berlin betonte Lauterbach am Sonntagabend, dass man die kritische Zahl der Omikron-Fälle überschritten habe und die Welle daher nicht mehr aufzuhalten sei. Die Menschen müssten aufgeklärt werden, was an den Feiertagen möglich sei oder nicht. Zentrale Botschaft sei, „dass wir mit einer Booster-Kampagne tatsächlich diejenigen schützen können, die sonst besonders gefährdet wären“.
Angesprochen auf den Weihnachtslockdown in den Niederlanden antwortete der Ampel-Politiker: „Nein, einen Lockdown wie in den Niederlanden vor Weihnachten – den werden wir hier nicht haben.“ Auf Twitter räumte Lauterbach wenig später ein, dass die Boosterimpfung „nicht perfekt“ sei und nur einen Schutz von 70 bis 80 Prozent biete. „Aber ohne Booster ist der Schutz zu schwach. Wir müssen daher offensive Boosterkampagne fahren und die Massnahmen der Kontaktreduktion verschärfen.“
Schon am Freitag war die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit rigiden Worten zu den kommenden Weihnachtsfeierlichkeiten aufgefallen. „Ich will nochmal was sagen hier aus Sicht von Rheinland-Pfalz“, sagte Dreyer in einer Pressekonferenz. „Also Ungeimpfte sollen nach unserer Verordnung gar nicht feiern. Die dürfen sich eigentlich nur mit Ungeimpften treffen im eigenen Hausstand oder mit zwei Personen aus einem anderen Hausstand.“ Die SPD-Politikerin ging auch auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg ein, das den Ausschluss Ungeimpfter als rechtswidrig bewertet und damit die 2G-Regel gekippt hatte. In Rheinland-Pfalz wolle man, so Dreyer, dennoch an dieser festhalten. Zugleich machte Dreyer in ihrer Stellungnahme die Bedeutung der Booster-Impfung klar: „Wenn meine kompletten Verwandten alle geboostert sind, inklusive mir selber, dann kann ich mich einfach treffen.“
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