Für die Europäische Kommission sind Migration und Asyl spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 ein kontroverses Dauerthema. Aktuell unternimmt die Kommission einen weiteren Anlauf, mit Hilfe eines neuen Migrations- und Asylpakts eine einheitliche, konsensfähige Migrationspolitik für alle 27 Mitgliedstaaten zu entwickeln. Die internationale Öffentlichkeit hat davon allerdings bislang wenig mitbekommen. Zu den politischen Hauptakteuren gehören der Vizepräsident der EU-Kommission Margaritis Schinas und die EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson.
„Fahrplan“ zur Diskussion gestellt – Politische Richtlinien und Arbeitsprogramm als Grundlage
Für den Pakt (New Pact on Migration and Asylum) hat die Kommission Ende Juli einen zweiseitigen so genannten „Fahrplan“ in englischer Sprache (engl. Roadmap) veröffentlicht. Der Fahrplan baut auf den „Politischen Leitlinien“ (political guidelines) der Kommission für 2019 bis 2024 auf, verantwortet von der seit Ende 2019 amtierenden Präsidentin Ursula von der Leyen („Eine Union, die mehr erreichen will“).
Bezug genommen wird auch auf das Arbeitsprogramm der Kommission 2020 vom 29.01.2020 „Eine Union, die mehr erreichen will“, welches die Politischen Leitlinien der Kommissionspräsidentin umsetzen soll. Hier heißt es über den in Arbeit befindlichen Migrations- und Asylpakt, geplant sei ein Gesamtkonzept, das der Tatsache Rechnung trage, dass die internen und externen Aspekte der Migration untrennbar miteinander verbunden sind. Die Reform der gemeinsamen europäischen Asylpolitik werde ein zentraler Teil dieses umfassenden Konzepts sein. Die Kommission werde ein „robusteres, humaneres und wirksameres Migrations- und Asylsystem schaffen“, das auch das Vertrauen in den Schengenraum mit freiem Personenverkehr stärken werde.
Unter der Überschrift „Neuer Schwung für die Demokratie in Europa“ werden außerdem mehrere Aktionspläne aufgelistet, darunter ein „Europäischer Aktionsplan für Demokratie“, eine „Konferenz über die Zukunft Europas“, ein (erster) jährlicher Bericht über die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU sowie ein „Bericht über die Auswirkungen des demografischen Wandels“ – Themenfelder, die ja mit Migration in Zusammenhang stehen. Das Arbeitsprogramm 2020 wurde am 27.05.2020 wegen der Coronakrise noch einmal angepasst.
Fahrplan skizziert Aufgaben und benennt Problemlage
Als Problem aus Sicht der EU benennt der Fahrplan, dass kein Mitgliedstaat alleine fertig werden könne mit illegaler Migration (irregular migration) und Sekundärmigration (secondary movements [d.h. Migranten verlassen den Staat, in dem sie angekommen sind, und suchen andernorts Schutz und Aufenthalt]) oder einen unverhältnismäßigen Anteil der Asylanträge in der EU bewältigen könne. Seit 2015 seien Weiterwanderungen der Migranten (onward movements) von Staaten mit Außengrenzen zu anderen Mitgliedstaaten für die EU Realität. Auch habe sich die Anzahl der Ankünfte von Migranten nach Such- und Rettungsoperationen auf See erhöht. Dies betreffe insbesondere einige Ersteintritts-Mitgliedstaaten, ohne dass es ein funktionierendes System der Solidarität und geteilten Verantwortung gebe. Viele der Personen, die auf diesen Wegen die EU erreichten, hätten keinen Bedarf an Schutz und sollten deshalb in ihre Ursprungsländer zurückgeführt werden. Der entsprechende Rückkehrprozess gestalte sich oft langwierig und ressourcen-intensiv und erfordere bei der Rücknahme auch gute Beziehungen und Kooperationsbereitschaft mit den Ursprungsstaaten. Nach der Migrationskrise 2015/16 habe die Europäische Kommission Vorschläge unterbreitet, um das Gemeinsame Europäische Asylsystem zu reformieren. Trotz einiger Erfolge sei jedoch ein nachhaltiges und zukunftssicheres europäisches Asyl- und Migrationssystem nicht erreicht worden.
Zuständigkeit Brüssels für einzelne Politikfelder herausgestellt
In einem eigenen Absatz betont der Fahrplan die Zuständigkeit der Gesamt-EU für die Mitgliedstaaten in den Feldern „Freiheit, Sicherheit und Recht“ (area of freedom, security and justice): Die in dieser Frage gemeinsame Befugnis der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten wird nicht zuletzt aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Treaty on the Functioning of the European Union/TFEU) abgeleitet, unter anderem aus den Art. 4 (2) und 77 ff. Es handelt sich dabei, neben dem Vertrag über die Europäische Union, um einen der beiden Gründungsverträge der EU.
Im Vertragstext sei, betonen die Autoren des Fahrplans, festgelegt, dass die Union gemeinsame politische Maßnahmen für Grenzkontrollen sowie Asyl und Migration unter den Mitgliedstaaten entwickeln solle und dass diese Politik und ihre Implementierung vom Prinzip der Solidarität und fairen Teilung von Verantwortung einschließlich der finanziellen Auswirkungen unter den Mitgliedstaaten geleitet sein sollen. Die Staaten allein für sich könnten nicht die Überwachung der Einhaltung von EU-Regeln und -Abläufen sicherstellen. In einem Raum ohne innere Grenzen müssten Handlungen, um irreguläre Migration anzugehen und legale Mobilität zu erleichtern, auf gemeinsamen Standards basieren, welche die interne Sicherheit gewährleisten und ein hohes Niveau von Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gewährleisten. Die EU sei besser als die Mitgliedstaaten dafür ausgerichtet, geeignete Maßnahmen in diesem Feld zu ergreifen, heißt es. Zudem habe die EU die Befugnis, im Sinne eines Migrationsmanagements Übereinkünfte mit Drittstaaten auszuhandeln.
Konsultationen von Bürgern und Interessengruppen bisher begrenzt
Der vorgelegte Fahrplan sei für Bürger und Interessengruppen offen, kündigen dessen Autoren an. Die Kommission werde auf frühere Berichte der Europäischen Migrationsagenda (European Agenda on Migration) und spezielle Berichte aller relevanten EU-Stellen wie des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Union Asylum Office) und der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (European Border and Coast Guard Agency/FRONTEX) zurückgreifen. Sie werde auch Erkenntnisse berücksichtigen, die sie in verschiedenen Meetings und Veranstaltungen mit Mitgliedstaaten, der Zivilgesellschaft und anderen Interessengruppen, so dem Europäischen Migrationsforum (European Migration Forum), gewonnen habe, wie auch Diskussionen zum Thema, die das Europäische Parlament und seine Komitees organisiert haben. Des Weiteren kündigt der Fahrplan noch öffentliche Konsultationsgespräche zu einzelnen Themen des geplanten Paktes wie dem Umgang mit legaler Migration an.
Europaweit wenig Resonanz auf den Fahrplan – und viel Skepsis
Vom 30. Juli bis 27. August können sich Betroffene und Interessierte auf der Website zum „New Pact on Migration and Asylum“ mit Kommentaren zu Wort melden. Davon haben bis zum frühen Abend des 24.08. 156 Personen und Organisationen auch Gebrauch machten, oft anonym (siehe Feedback hier). Zum Teil stellen soziale und Menschenrechts-Organisationen konkrete inhaltliche Forderungen auf. Mehrheitlich äußern sich einzelne Bürger kritisch bis harsch zu einer extensiven (illegalen und Wirtschafts-)Migration in die EU („Den Menschen muss in ihren Ländern geholfen werden“ / „It is important to keep in mind that the focus ought to be on preventing situations in which people are forced to flee, rather than simply enabling them – making us feel better, them not –“), zu weit gefassten Asylgründen, fürchten um die nationale Souveränität („Migrations- und Asylpolitik muss national bleiben!“ „Jedes EU Land soll selbst bestimmen wieviele Menschen sie aufnehmen wollen, legal und nach einem selbst bestimmten Auswahlverfahren. Ein Wechsel innerhalb der EU muss unbedingt verhindert werden …“).
Vereinzelt kritisieren Kommentatoren die Informationspolitik der EU („Warum wurde in den Medien nichts berichtet und dann die Roadmap nur auf Englisch?“ „Mit Demokratie hat eine solche Hinterzimmer Aktion nichts zu tun, warum wird nicht öffentlich berichtet?“ „ … ist es eine Zumutung, dass derart weitreichende Entscheidungen ohne Wissen vieler Menschen geschehen“). Zu den Organisationen, die Feedback geben, gehört Pro Asyl Deutschland. Pro Asyl spricht sich unter anderem für eine zügige Wiedervereinigung der Asylbewerber mit ihren Familien als juristischer Imperativ aus und dafür, dass alle Bewerber externe kostenlose juristische Unterstützung haben sollten. Beschwerden gegen negative Asylentscheidungen müssten automatisch aufschiebende Wirkung haben und die Betroffenen vor Abschiebung schützen.
Die im europaweiten Rahmen doch eher bescheidene Resonanz – die im Übrigen erst in den letzten Tagen Fahrt aufgenommen hat – legt nahe, dass der laufende Diskussionsprozess zuvorderst in Fachzirkeln stattgefunden hat, weitgehend außerhalb der Kenntnis der breiten politischen und medialen Öffentlichkeit abläuft – und das Thema Migration mit seinen zahlreichen Facetten an der Basis erwartungsgemäß konträr gesehen wird.
Diverse Konfliktfelder
Dabei stehen entscheidende Eckpfeiler des bisherigen Migrations-Systems auf dem Spiel. Hinterfragt wird vor allem das geltende Dublin-Verfahren, das regelt, dass Asylbewerber in dem Land zu registrieren sind, in dem sie die Europäische Union betreten. Dies bewirkt bekanntlich, dass Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Spanien oder Italien besonders belastet werden. Ferner ist strittig, wie Flüchtlinge auf die EU-Länder „verteilt“ werden. Speziell die Osteuropäer (Polen, Ungarn und Tschechische Republik) wollten sich in der Vergangenheit nicht mit Verteilungsschlüsseln anfreunden, haben aber vom Europäischen Gerichtshof gerade im April einen Verstoß gegen Unionsrecht vorgeworfen bekommen, weil sie sich weigerten, den vorübergehenden Mechanismus zur Umsiedlung von internationalen Schutz beantragenden Personen umzusetzen.
Arbeitsprogramm des Bundesinnenministeriums 2020 beleuchtet Schwerpunkte der Migrationsdebatte
Im Februar 2020 hatte die Bundesregierung ein internes Papier zur Reform des Europäischen Asylsystems erstellt. Laut dem internen Papier, zitiert vom Spiegel, sollte es künftig eine „Vorprüfung“ von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen geben, die „innerhalb kürzestmöglicher Zeit“ abgewickelt werden sollte. Wer offensichtlich nicht schutzbedürftig sei, solle abgelehnt und direkt zurückgeschickt werden. Wer hingegen Chancen auf Anerkennung als Flüchtling habe, soll nach einem „fairen“ Verfahren auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Dabei solle die Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft eines Landes Berücksichtigung finden. Denkbar wäre außerdem, dass Schutzsuchende bei der Verteilung auch selbst Länder-„Prioritäten“ angeben könnten. Um zu verhindern, dass Asylbewerber eigenmächtig innerhalb Europas umziehen, sollen sie Leistungen nur in demjenigen Staat erhalten, dem sie zugewiesen wurden. Thematisiert wurde auch die Gewährleistung von Rechtsschutz für Migranten. Migranten müssten sowohl die Schnellablehnung an den Außengrenzen als auch eine Zwangsverteilung innerhalb Europas von Gerichten überprüfen lassen können, zitiert der Spiegel.
In einem Schreiben vom 9. April 2020 hatten dann die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens, Horst Seehofer, Christophe Castaner, Luciana Lamorgese und Fernando Grande-Marlaska Gómez, in einem neuen Anlauf Grundlinien ihrer Reformideen an die EU-Kommission übermittelt. Darin sprachen sie sich für einen verbindlichen Mechanismus für die Verteilung von Flüchtlingen aus und monierten, gegenwärtig trage eine Handvoll Mitgliedsstaaten eine übermäßige Last, legten aber zugleich nahe, in begründeten Ausnahmefällen sollten Mitgliedstaaten „auf andere Solidaritätsmaßnahmen als die Verteilung zurückgreifen“ können, etwa die finanzielle Unterstützung bei der Versorgung von Asylbewerbern. Zudem forderten die Innenminister einen „Solidaritäts-Mechanismus“ für auf See gerettete Migranten. Im Schreiben wird außerdem angeführt, verpflichtende Voruntersuchungen aller die EU betretenden Asylbewerber, einschließlich Sicherheits-, Gesundheits- und Identitäts-Prüfungen seien ein wichtiger Bestandteil der anzuwendenden Verfahren, und Asylbewerber, die eindeutig keine Ansprüche auf Schutz haben, dürften nicht in der EU bleiben.
Wie Deutschland europäische Migrationsfragen lösen will
In dem im Juni publizierten Arbeitsprogramm des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 „Gemeinsam in Europa. Gemeinsam für Europa“ – es folgen in dieser Funktion 2021 Portugal und Slowenien –, werden unter dem Titel „Gemeinsam europäische Migrationsfragen lösen“ in einem Sechs-Punkte-Programm recht konkrete Ziele formuliert:
1. „Schutzbedürftigen solidarisch helfen. Das bestehende europäische Asylsystem … ermöglicht Personen, die keine Verfolgungsgründe geltend machen können, die Einreise und oftmals den langfristigen Aufenthalt in Europa. Es lässt die ungehinderte Weiterwanderung innerhalb Europas zu und führt zu einer unausgewogenen Verteilung der Asylbewerber mit Brennpunktbildungen in den Außengrenzstaaten Europas. Wir wollen deshalb eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) vorantreiben, die sowohl die Rechte der Asylsuchenden wahrt als auch eine schnelle Entscheidung darüber ermöglicht, wer überhaupt des Schutzes eines Mitgliedstaats bedarf und berechtigt und dauerhaft in der EU verbleiben darf. Ziel ist eine Reform, die Verantwortlichkeiten und Solidarität neu regelt, humanitären Standards genügt, Überlastungen einzelner Mitgliedstaaten und die Bildung von menschenunwürdigen Lagern vermeidet. Dabei sollen Fehlanreize zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber Schutzsuchenden abgestellt und ein Funktionieren in der Praxis gewährleistet werden. … Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass die Resettlement-Verfahren wieder aufgenommen werden, unter Berücksichtigung der aufgrund der Corona-Pandemie veränderten Anforderungen, aber auch der Aufnahmevoraussetzungen in den Mitgliedstaaten.
2. Effektive Rückkehrpolitik sicherstellen. Ein funktionsfähiges und krisenfestes europäisches Asylsystem erfordert einen wirksamen Mechanismus zur effektiven Rückkehr und Rückführung derjenigen Personen, denen kein Schutz zuerkannt werden kann. Das gestärkte Mandat der Europäischen Grenz- und Küstenwache (Frontex) im Bereich Rückkehr bedeutet eine große Chance für die Mitgliedstaaten, zusätzliche Unterstützung bei der Realisierung einer effektiven und nachhaltigen Rückkehrpolitik zu erhalten. Deshalb wollen wir den … begonnenen Austausch zwischen den Mitgliedstaaten und Frontex, wie das neue Mandat in diesem Sinne verstärkt genutzt werden kann, weiter vertiefen. Dabei legen wir einen Fokus auf den Bereich der freiwilligen Rückkehr und Reintegration, damit Frontex in diesem Bereich zukünftig auch mehr leisten kann.
3. Legale Migration fördern. Europa braucht qualifizierte Zuwanderer, um weiterhin im internationalen Wettbewerb bestehen und den Erhalt des gesellschaftlichen Wohlstands sichern zu können. …
4. Zusammenarbeit mit Drittstaaten verstärken. Eine nachhaltige Migrationspolitik kann nur gelingen, wenn sie partnerschaftlich ausgerichtet ist. Daher tritt der deutsche Vorsitz dafür ein, die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten zu verstärken. Im Fokus unserer Migrationszusammenarbeit werden die Länder entlang der Hauptmigrationsrouten sowie Afrika und die Türkei liegen. Hierfür wollen wir unsere Fähigkeiten zu europäischen Migrationslage¬analysen ausbauen, um effektive Frühwarninstrumente zu erarbeiten und gemeinsame Kommunikationsstrategien gegenüber Drittstaaten zu entwickeln. Zudem ist es uns ein Anliegen, in verschiedensten Politikfeldern einheitlich aufzutreten. Der EU-Visahebel (Art. 25a Visakodex) [siehe dazu hier] ist ein wichtiger Baustein dieses kohärenten Ansatzes. Wir werden daher den ersten Bericht der KOM [= EU-Kommission] hierzu analysieren und insbesondere im Hinblick auf die Kooperation von Drittstaaten bei der Rückübernahme eine gemeinsame Bewertung erarbeiten.
5. Außengrenzen wirksam schützen. Hinsichtlich Außengrenzschutz und Visaverfahren wollen wir koordiniert wieder zu den regulären Verfahren zurückkehren, sobald es die Lage zulässt. Um illegale Migration und Schleusungskriminalität wirksam zu bekämpfen, brauchen wir einen effektiven Schutz der europäischen Außengrenzen. Dafür ist es von hoher Bedeutung, das neue Frontex-Mandat im Lichte des neuen Aufgabenportfolios, des wachsenden Personalbestandes und erhöhter Mittelausstattung schnell zu operationalisieren und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Wir setzen uns dafür ein, im Bedarfsfall politisch verstärkt darauf hinzuwirken, die Unterstützung von Frontex durch besonders belastete Mitgliedstaaten vermehrt in Anspruch zu nehmen. Auf Grundlage des sogenannten Midterm-Review [siehe auch hier] streben wir eine zeitlich vorgezogene volle Einsatzfähigkeit der 10.000 Grenzschützer an.
6. Schengenraum bewahren und stärken. Wir bekennen uns zu Schengen. Das Schengensystem ist eine unverzichtbare Säule der europäischen Zusammenarbeit und Integration. … Wir werden uns dafür einsetzen, dass wir die Corona-bedingten Einschränkungen im Schengenraum wieder aufheben, wenn es die epidemiologische Lage zulässt. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass krisenbedingte Maßnahmen zukünftig besser schengenweit koordiniert werden und stoßen dazu eine Debatte an. Wir wollen dabei gemeinsam mit unseren europäischen Partnern insbesondere ausloten, welche Maßnahmen unterhalb der Schwelle der Notifizierung von Binnengrenzkontrollen zur angemessen Sicherung in Frage kommen könnten – wie beispielsweise Einreiseverweigerungen an den grenzkontrollfreien Binnengrenzen. Außerdem wollen wir die operative Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten weiter vertiefen, insbesondere im grenznahen Raum. Dazu wollen wir den Bedarf für intensivere grenzüberschreitende Polizeikooperation im Schengenraum untersuchen und Vorschläge für gemeinsame grenzüberschreitende Einsätze und erweiterte Befugnisse für unseren Schutz an den Binnengrenzen vorlegen. Die effektive Umsetzung der Verordnungen zur Interoperabilität der zentralen EU-Datenbanken im Bereich von Grenzschutz, Migrationssteuerung und Sicherheit ist dabei ein weiterer wichtiger Baustein. Sie stellen sicher, dass potentielle Falsch- und Mehrfachidentitäten systematisch erkannt und aufgeklärt werden können. Im Rahmen des Einführungsprozesses werden wir besonders darauf achten, dass die beteiligten Stellen auf EU- und mitgliedstaatlicher Ebene ihre Anschlussfähigkeit schnell erhalten und Arbeitsabläufe so gestalten, dass sie die künftig verfügbaren Informationen effektiv nutzen können und dass der Bedarf des polizeilichen Endanwenders in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt. Zudem streben wir den zügigen Abschluss des Rechtssetzungsverfahrens zur Änderung der Verordnung über das Visa-Informationssystem (VIS) an, die im Interesse der Interoperabilität die Verbindung zwischen Visumverfahren und den anderen EU-Datenbanken herstellt. Darüber hinaus wollen wir die Weiterentwicklung und Verbesserung der Instrumente des europäischen polizeilichen Informationsaustauschs vorantreiben. Dabei nehmen wir insbesondere das EU-Informationsmanagement im Rahmen von Prüm, der PNR- und API-Fluggastdatenverarbeitung und dem EUROPOL-Informationssystem in den Blick, um es konsequent an den Zielen der Verfügbarkeit von Informationen, der Effizienz des Informationsaustauschs und des Datenschutzes auszurichten.“
Es bleibt abzuwarten, auf welche der obigen Details der in Vorbereitung befindliche Migrations- und Asylpakt(-Entwurf) konkret eingehen wird und wie er von der Öffentlichkeit in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten aufgenommen wird. Letztlich steht hinter den einzelnen organisatorischen Entscheidungen, Prozess- und Verfahrensregeln, um deren Sinnhaftigkeit und praktische Umsetzbarkeit derzeit hart gestritten wird, auch die Frage, welche politischen, gesellschaftlichen und finanziellen Folgen ein neues System zeitigen wird gegenüber dem alten, dessen Schwächen in den politischen Bilanzen ja ehrlich angesprochen werden. Die Gretchenfrage dürfte bleiben, wie groß die Wanderbewegungen, nicht nur aus Afrika, werden, welche die den Pakt unterzeichnenden EU-Länder in den kommenden Jahren managen müssen und wollen – eine Frage, die im öffentlichen Diskurs seit Langem unterbelichtet bleibt.