Tichys Einblick
"Digital Services Act"

EU-Zensur gegen X: Musk kündigt „sehr öffentlichen Kampf“ an

Die EU habe Elon Musk angeboten, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er auf X die Meinungsfreiheit einschränke - so behauptet es der X-Mehrheitseigner. Musk lehnte den Geheimdeal ab. Die EU-Kommission hat seit Dezember ein Verfahren gegen X wegen "illegaler Inhalte" eröffnet.

IMAGO

Die Schlacht zwischen der EU-Kommission und der Online-Plattform X (früher bekannt als Twitter) geht in die nächste Runde. Immer noch geht es um Durchgriff der Kommissare auf vermeintlich „illegale Inhalte“ und die Bekämpfung angeblicher „Desinformation“. Diese Begriffe sind aber nur die Kehrseite des eigentlichen Ziels dieser EU-Kommission: das ist die Durchsetzung ihrer „Regeln“ für den Online-Austausch, Andere werden vom Abdruck ihrer propagandistischen Absichten sprechen, den die Kommissare den Big-Tech-Firmen aufzwingen wollen. Die Kommission verlangt (noch) nicht die Mitteilung ihrer Botschaften, wohl aber die Unterdrückung abweichender Meinungsäußerungen.

Die neue Kommission ist dabei noch nicht ernannt, aber die alte ja noch im Amt. Und so können die Kommissare Thierry Breton und Margrethe Vestager noch schnell den einen oder anderen Anwendungsfall für das neue Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) der EU konstruieren. Breton ist eigentlich Kommissar für Binnenmarkt, fühlt sich aber seit den französischen Nahel-Unruhen auch für Online-Zensur zuständig. Vestager ist als Vizepräsidentin der Kommission zuständig für ein Europa, das „tauglich“ für das digitale Zeitalter sein soll.

Das Gesetz, man erinnert sich, war schon während des Verabschiedungsprozesses scharf kritisiert worden, unter anderem als Zensurgesetz und wegen der Undurchsichtigkeit der Beschlussfassung zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament (sogenannter Trilog). Das Gesetz gibt der EU-Kommission das Recht, hohe Geldstrafen gegen gewisse „sehr große Online-Plattformen“ (VLOP) mit hunderten Millionen Nutzern im Monat zu verhängen, wenn sich diese nicht entsprechend dem DSA durchleuchten und bei Bedarf von gewissen Inhalten reinigen lassen. Diese angedrohte und anscheinend schon fest geplante Zensur richtet sich letztlich gegen die Nutzer der Plattformen, deren freie Meinungsäußerung so beschnitten werden soll – sicher im Interesse der öffentlichen Ordnung oder anderer politischer Ziele.

Der X-Mehrheitseigner Elon Musk schrieb nun in einem Tweet, die Kommission habe ihm einen „widerrechtlichen Geheimdeal“ angeboten, etwa mit den Umrissen: Er solle auf X in aller Stille und Heimlichkeit die Redefreiheit zensieren, dann würde man dem Unternehmen keine Strafe verpassen. Daneben behauptet Musk: „Die anderen Plattformen haben diesen Deal angenommen. X nicht.“

Und in der Tat schrieb Thierry Breton schon im Oktober letzten Jahres die folgenden Worte: „Sehr geehrter Herr Musk, wir haben Hinweise darauf, dass Ihre Plattform für die Verbreitung von illegalen Inhalten und Desinformation in der EU benutzt wird.“ Bei Hinweisen auf illegale Inhalte“ müsse er „rechtzeitig, sorgfältig und objektiv vorgehen“, schrieb Breton weiter. Es ging damals vor allem um die Nutzung von X für Hamas-Propaganda. In der Folge verschwanden in einigen Fällen Tweets und auch Profile – wie in den schlimmsten Zeiten der Twitter-Zensur unter der alten Führung. Offenbar hatte Musk diese Aktionen nicht freiwillig eingeleitet.

Im Dezember eröffnete die Kommission dann das formale Verfahren gegen X, vor allem wegen der Verbreitung jener angeblich „illegaler Inhalte“ und von „Desinformation“. Dass falsche Informationen, so bedauerlich sie auch sein mögen, irgendwie illegal wären, gehört dabei zu den täuschenden Grundbehauptungen der Kommissare.

Nostalgie nach dem alten Twitter

Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Wohl aber die zu mutmaßlich „dunklen Mustern“ in der X-Matrix, zur Werbungstransparenz und dem Datenzugang für Forscher. Am Freitag teilten Breton und Vestager ihre „vorläufigen Befunde“ zu diesen Fragen mit. Gefunden haben die Kommissare drei Punkte:

Zum einen finden sie schlichtweg den von Musk neugestalteten „blauen Haken“ irreführend. Anders als im alten Twitter wird dieser Haken heute nicht mehr quasi-hoheitlich von der Geschäftsführung vergeben, sondern ist zum Erwerbsgut geworden. Gegen eine Gebühr kann sich jeder verifizieren lassen und profitiert so zugleich von bestimmten Vorteilen auf der Plattform (etwa Post-Bearbeitung, längere Tweets und Videos etc.). Es handelt sich um eine Art Abo-Modell.

Früher wurde der Haken an ausgewählte Persönlichkeiten vergeben, die als authentisch galten und so von etwaigen Doppelgängern unterscheidbar wurden. Unklar bleibt, ob auch hier US-Geheimdienste mitwirkten, die ja besonders enge Beziehungen zur alten Twitter-Leitung aufgebaut hatten. Verifikation gegen Bezahlung scheint ein unangenehmer Gedanke für die Kommission zu sein. Viele Politiker werden ihren alten Gratishaken insgeheim vermissen.

Eindeutig falsch ist allerdings, was Thierry Breton auf X behauptet hat, nämlich dass der alte Twitter-Haken „vertrauenswürdige Informationsquellen“ kenntlich gemacht hätte. Wenn man sich richtig erinnert, hatten auch durchaus nicht vertrauenswürdige Personen einen „blauen Haken“, etwa die politischen Führer von Ländern wie dem Iran oder Nordkorea. Möglich wäre es jedenfalls gewesen. Denn der Haken besagte ja nur, dass es sich bei einem Twitter-Profil wirklich um Kim Jong-un oder den Ajatollah Chamenei handelt, nicht, dass man ihnen vertrauen sollte, obwohl es viele so verstanden haben mögen.

Mike Benz: Nicht Forscher, sondern Zensoren

Zweitens werfen Breton und Vestager X vor, kein „durchsuchbares und zuverlässiges Archiv (repository) für Anzeigen“ zu besitzen. Hier scheinen die Kommissare sich für die Offenheit und Transparenz einzusetzen. Was sie aber eigentlich wollen, verraten sie in einem Nebensatz: „Insbesondere erlaubt die Konzeption nicht die erforderliche Überwachung und Erforschung neu auftretender Risiken, die durch die Verbreitung von Werbung im Internet entstehen.“ Der Legislative-Exekutive geht es also um die Überwachung.von Informationsströmen bis in die Werbung hinein. Ob das mit Grundrechten der Bürger vereinbar ist oder nicht, bedürfte wohl einer genauen Prüfung und Überlegung. Aber es scheint, dass die Kommission von Musk eine vollständige Offenlegung seines je spezifischen Geschäftsmodells über die Zeit hinweg verlangt. Sie will wissen, welche Werbung er wann von welchem Akteur schalten lässt. Das ist ein ungeheures Maß an Durchleuchtung der freien Wirtschaft. Jedes alte Medium (Zeitung, Zeitschrift, Magazin) würde sich an den Kopf fassen, wenn der Staat eine Standleitung in die eigene Anzeigenabteilung einfordern würde. Aber digital soll das der Standard werden, wenn es nach dieser Kommission geht.

Und drittens und letztens, verlangt die Kommission Zugang zur Programmierschnittstelle (application programming interface, API) von X für „ausgewählte Forscher“, und zwar unter Vermeidung „unverhältnismäßig hoher Gebühren“ für diese ‚Forscher‘. Mike Benz, Geschäftsführer der „Foundation for Freedom online“, wies darauf hin, dass es sich keineswegs um interesselose Forscher handele, sondern vermutlich eher um Zensoren. Auch die von Elon Musk gefeuerten, alten Twitter-Zensoren wünschen sich freilich eine Wiedereinstellung.

Auch das ist eine durchaus neue Anforderung, die hier im Rahmen des DSA an die Online-Plattformen – zuerst an X – gestellt wird. Gemeint ist auch hier, entgegen dem gängigen Repertoire an Begriffen („unabhängiger Zugang ausgewählter Forscher“), nicht Transparenz für alle, sondern nur für die Kommission. Wiederum geht es um Zugriffsrechte für die superstaatliche EU-Institution.

Nur kann kein Unternehmer zum auch nur halb-öffentlichen Teilen seiner Betriebsweise gezwungen werden. Das hätte man zumindest bisher gedacht. Unter den Bedingungen des DSA scheinen die Dinge etwas anders zu werden und schon geradezu gefährlich ins Schwimmen zu geraten.

Verfahren auch gegen TikTok, Meta und AliExpress

Die Kommission informiert schon jetzt in ihrem Dokument, dass eine Bestätigung der geäußerten Verdachtsmomente zu einer Geldstrafe von bis zu sechs Prozent des „weltweiten Gesamtjahresumsatzes des Anbieters“ führen kann. So will man X dazu zwingen, den eigenen Forderungen nachzukommen.

Daneben hat die Kommission ein „Whistleblower-Instrument“ eingerichtet, also eine digitale Stelle, bei der Mitarbeiter oder andere Personen anonyme Hinweise zur Arbeitsweise von VLOPs und den ähnlichen „sehr großen Suchmaschinen (very large search machines, VLOS) geben können. Man könnte es ein Denunziationsportal nennen, aber Whistleblower-Instrument klingt sicher besser.

Seit Februar und April laufen verschiedene Verfahren gegen TikTok, ein weiteres seit März diesen Jahres gegen die Handelsplattform AliExpress, und seit April und Mai gibt es zwei Verfahren gegen Faceboook. Laut Margrethe Vestager ist es aber „das erste Mal, dass wir vorläufige Befunde im Rahmen des Digital Services Act herausgeben“. In den anderen Verfahren geht es um ähnliche Themen (Desinformation, Zugriff auf Werbung und Programmstruktur), daneben aber auch um angeblichen Jugendschutz und das „körperliche und geistige Wohlbefinden von Kindern“ (besonders auf TikTok, aber auch im Fall von Meta). Auf Facebook und Instagram spielen politische Inhalte für die Kommission eine besondere Rolle. Es geht erkennbar um eine umfassende Kontrolle der Online-Plattformen.

Shellenberger: Eine „totalitäre Bedrohung für freie Menschen“

Was sagt man auf X zu den Vorwürfen? Natürlich nicht gar so wenig. Dass Thierry Breton sich dazu entschloss, via X vor X zu warnen, ist originell. Die Antworten auf seinen Tweet sind es nicht minder. Für den US-Journalisten Michael Shellenberger ist Breton eine „totalitäre Bedrohung für freie Menschen“ in der ganzen Welt.

Denn natürlich kennt das Internet nur sehr begrenzt Landesgrenzen. Ein nachhaltiger Eingriff in die Meinungsfreiheit an einem Ort, wie ihn die EU-Kommission plant, wirkt sich also auch anderswo aus. Shellenberger geht deshalb weiter in seiner Breton-Analyse, die darüber merkbar unheimlich wird. Man solle sich diesen Mann genau anschauen: „Seine Absicht ist es, das gesamte Internet zu zensieren, auch in den Vereinigten Staaten. Er hasst unsere Freiheit, weil sie seine Lügen entlarvt.“ Breton benutze den dystopischen Roman 1984 „wie einen Leitfaden“.

Für Shellenberger steht fest: „Was Breton tut, ist in eklatanter Weise illegal. Er verstößt gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die EU-Verfassung und die französische Verfassung. Die USA, die EU und andere Gesetzgeber auf der ganzen Welt sollten fordern, dass Breton entlassen wird und gegen ihn wegen seines Angriffs auf die Freiheit ermittelt wird.“

Musk will vor Gericht ziehen 

Musk kündigte an, einen „sehr öffentlichen Kampf“ vor Gericht in dieser Sache führen zu wollen, „damit die Menschen in Europa die Wahrheit erfahren können“. Die Reaktion Thierry Bretons ist ebenso bezeichnend. „Seien Sie unser Gast @elonmusk“, hebt Breton an, dahinter folgt das Symbol der Waage und die EU-Flagge. Will sagen: Dieser Prozess wird auch vor einer EU-Institution stattfinden, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Das hat beinahe schon das Niveau des Mafia-Films Der Pate. Breton bestreitet, dass es einen „Geheimdeal“ mit irgendeiner Plattform gegeben habe oder je geben werde.

Wohl könne X das Kommissionsverfahren aber durch „Zusagen“ beenden. Das scheint sinngleich mit einem für die Öffentlichkeit unsichtbaren, folglich geheimen Stillhalte-Abkommen zwischen Kommission und X. Angeblich funktionieren so „rechtsstaatliche Prozeduren“. Breton schließt mit einem schnippischen „Wir sehen uns (vor Gericht oder auch nicht)“.

Glaubhaft wirkt, dass Musks Team nach den Bedingungen einer Verfahrenseinstellung gefragt hat. Aber dass Breton den Rechtsstaat hier ganz öffentlich als Kungelei zwischen irgendwelchen „Behörden“ und weltweit agierenden Unternehmen darstellt, dürfte ein Tiefpunkt in der Geschichte auch dieser scheidenden EU-Kommission sein. Nutzer auf X wiesen darauf hin, dass weder Breton noch die anderen Kommissare vom Volk gewählt wurden.

Für Michael Shellenberger ist eine Einsicht über die beiden Kommissare schon klar: „Sie werden scheitern und einen hohen Preis für Ihre unheilvolle Zensur zahlen.“

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