Tichys Einblick
Asylreform ohne klaren Mehrwert

EU-Spitzen beharren: Humanität bedeutet das Anlocken von mehr Schlepperbooten

Die EU-Asylreform verspricht mehr, als sie halten kann. Die 14 Puzzleteile des Pakets werden den Migrationsdruck an den EU-Grenzen nicht verringern. Das Modell illegale Zuwanderung wird nicht bekämpft, wie ein skandalöses Video der Parlamentspräsidentin zeigt.

IMAGO

Angeblich war es ein Durchbruch „nach zähen Verhandlungen“, den die Unterhändler der Mitgliedsländer, der Kommission und des EU-Parlaments da in Brüssel erzielt haben. Am Morgen des dritten Verhandlungstages teilte die spanische Ratspräsidentschaft mit, dass es eine „politische Einigung“ über die einzelnen Elemente des neuen Migrations- und Asylpakts gebe. Die Einigung muss nun noch vom Plenum des EU-Parlaments angenommen werden, wofür offenbar die Unterhändler als Einpeitscher sorgen müssen. Danach sind die EU-Staaten mit der Ratifizierung dran.

Innenkommissarin Ylva Johansson (S) platzte vor Freude: „Große Neuigkeiten. Wir haben es geschafft. Wir haben eine Einigung über den ganzen Migrations- und Asylpakt.“ Zwei Tage und zwei Nächte habe der Trilog der EU-Institutionen Kommission, Rat der Mitgliedsländer und Parlament angedauert. Johansson hebt vor allem zwei Punkte hervor: zum einen das „Mehr“ an Solidarität zwischen den Staaten, hinter der sich allerdings nicht Hilfe bei der Abwehr von Belastungen verbirgt, sondern ein verpflichtender Verteilungsschlüssel. Das ist etwa so, als ob man den Schnee einer Lawine im Nachhinein auf andere Gebirgstäler verteilt, anstatt die von der Katastrophe Heimgesuchten auszugraben.

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Vor allem Ungarn und die abgelöste polnische Regierung hatten gegen diese „obligatorische Solidarität“ protestiert, die daneben laut Bundesinnenministerium auch „flexibel“ sein wird. Staaten, die keine von der EU akzeptierten Antragsteller aufnehmen wollen, dürfen das durch Zahlungen an die Gemeinschaft ausgleichen. Daneben können Einzelländer sich auch durch die Entsendung von Personal oder den „Aufbau von Kapazitäten“ freikaufen – was dann wieder mehr Aufnahmen durch die EU insgesamt ermöglicht. Für Zäune und andere physische Barrieren an den EU-Außengrenzen, die illegale Einreisen verhindern können, ist hingegen noch immer kein Geld aus dem EU-Haushalt verfügbar. Die neuen Regeln werden am Ende vielleicht auch gegen die Stimme Ungarns kommen, per Mehrheitsbeschluss, der kaum etwas von der Demokratie in dieser EU übrig lassen wird.
Steiniger Weg zum zahnlosen Krisenmodus

Zentraler Bestandteil der Reform ist eine unterschiedliche Behandlung je nach Herkunftsland der Migranten: Wer aus einem Land mit im EU-Schnitt sehr geringen Chancen auf „internationalen Schutz“ kommt, soll schon an der EU-Außengrenze (aber schon innerhalb der EU bzw. des Schengenraums) ein schnelleres Verfahren durchlaufen und eventuell wieder rückgeführt werden können. Bis zu dieser Entscheidung sollen haftähnliche Bedingungen, also Asylgewahrsam in speziellen Auffanglagern, möglich sein. Das wird aber wohl nur für einen sehr kleinen Teil der Migranten gelten, nicht aber für das Gros der Asylbewerber in Deutschland, die aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan stammen und dafür zu hohe Anerkennungsquoten haben. Als Grenze waren 20 Prozent Anerkennungsquote im Gespräch.

Daneben soll dieses besondere Verfahren in Zeiten starker Migrationsströme für alle illegalen Zuwanderer möglich sein. Wie weit dieser Passus von den Mitgliedsstaaten – etwa den belasteten Südländern – angewandt werden kann, bleibt abzuwarten. Das Bundesinnenministerium (BMI) hebt hervor, dass die „humanitären Standards bei der Aufnahme“ auch im Krisenfall nicht abgesenkt werden können. Wohl aber sollen Familien und Kinder in diesem Fall priorisiert werden. Außerdem wird für jeden Krisenfall ein Beschluss der 27 im EU-Rat nötig sein. Es wird also ein steiniger Weg für die betroffenen Staaten, überhaupt in den Krisenmodus wechseln zu können – unbesehen dessen, was dieser Modus dann für konkrete Möglichkeiten bietet.

Der zweite wichtige Punkt für Johansson ist nicht dieses minimale Aussieben einiger unberechtigter Asylanträge, sondern „mehr Schutz für die Vulnerablen und die Asylsucher“, basierend auf „unseren europäischen Werten“. Diese Werte postuliert Johansson aber lediglich, denn es ist keineswegs klar, dass sie eine praktisch unbegrenzte Aufnahme von „Schutzsuchenden“ aus den problematischsten Gegenden des Globus umfasst. Europäische Werte in der Johansson-Variante bedeuten die Zulassung einer friedlichen Besetzung des europäischen Kontinents durch Angehörige fremder Kulturen, bei denen natürlich immer der Islam sowie die arabisierten und islamisierten Länder hervorstechen. So bleibt ein schaler Geschmack von Eigenlob bei Johanssons Video-Botschaft zurück.

EU-Politiker stimmen Kanon des Selbstlobs an

Das Eigenlob von Nancy Faeser (SPD) als ebenfalls Mitregierender in der EU lautet so: „Die politische Einigung von heute Nacht zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem ist von größter Bedeutung.“ Es folgt das übliche Blabla vom GEAS als „Schlüssel, um Migration zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen“. Doch weit gefehlt. Die Begrenzung wird schon dem ersten Anschein nach die kleinste sein, die es überhaupt geben kann.

Die EU-Außengrenzen werden dadurch kaum geschützt, wohl aber könnten „funktionierende Verfahren“ dabei herauskommen. Die gibt es ja im Grunde schon. Aber ob sie den Antragsteller am Ende nach Deutschland oder ins Ausland führen, dürfte der Ministerin ziemlich egal sein. Eher schon ist zu erwarten, dass Faeser jeden illegalen Zuwanderer (auch auf Geheiß ihres Kanzlers) begrüßen wird und möglichst bald „legalisieren“ möchte, um den imaginären „Fachkräftemangel“ Deutschlands durch Sozialleistungsempfänger zu vergrößern und der SPD eine Überlebenschance als Ausländer-Partei Deutschlands zu sichern. Lars Klingbeils Worte zum „Dauerzustand Migration“ deuten in diese Richtung.

Das Chaos und das „Sterben auf dem Mittelmeer“ können aber kaum enden, wenn die Anreize zur Überfahrt nicht merklich gesenkt werden, wenn die Ampel vielmehr auch in den kommenden Jahren Offene-Grenzen-NGOs mit Steuergeldern unterstützen wird. Die Abschreckung einiger Asylbewerber mit den geringsten Chancen wird das nicht regeln, dazu ist das Kriterium des Ausschlusses leider viel zu unklar. Und auch die „striktesten“ Kontrollen an den Außengrenzen nützen nichts, wenn die Zugangskriterien weiterhin so lasch und lax sind.

AfD-Sprecher Fest vermisst Einigung zu konsequenten Rückführungen

Nicolaus Fest, für die AfD im EU-Parlament und Sprecher seiner Partei im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), nannte den „‚Deal‘ von Parlament und Europäischem Rat“ einen „Schritt in die richtige Richtung“, der aber kaum etwas ändern werde: „Es ist bedauerlich, dass nach vielen Jahren des klaren, von der EU geduldeten Asylmissbrauchs immer noch der Willen fehlt, die Massenmigration zu stoppen.“ Fest vermisst eine Einigung zur konsequenten Rückführung illegaler Migranten. „Illegale Migration wird weiterhin gleichsam als Naturphänomen begriffen, dem mit ‚Management‘ und Umverteilung begegnet werden muss – mit Umverteilung von Migranten und Geld innerhalb Europas.“ Stattdessen müssten Pull-Faktoren abgebaut und die Herkunftsländer in die Verantwortung genommen werden.

Kabinett beschließt Asylpaket
Was wird nun aus Nancy Faeser?
Für die FDP behauptet der Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr, die EU habe mit diesem Reformbeschluss „eine historische Chance genutzt“. Vor allem von den – wie gesagt, nur sehr lückenhaft wirkenden – Grenzverfahren verspricht sich Dürr „mehr Ordnung und Kontrolle“. Das ist ein reiner Vergleichsausdruck, ein Komparativ, der nicht von wirklicher Ordnung oder Kontrolle spricht, sondern von ein paar Einheiten mehr davon auf dem Regler. Und auch Dürr spricht von undefinierten „unmenschlichen Zuständen“ an den Außengrenzen und sieht doch nicht, dass diese EU-Asylpolitik auch weiterhin genau solche Bilder erzeugen wird, und das aus einem einfachen Grund: Den Schleppern wird nicht das Handwerk gelegt.
Parlamentspräsidentin Metsola: Mit Schlepperbooten zur Humanität?

„Der 20. Dezember 2023 wird in die Geschichte eingehen“, so begann EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ihr Selbstlob als EU-Gewaltige, um dann in anderen Worten die Schwerpunkte Johanssons zu wiederholen.An dieser Stelle scheint es wenig Unterschied zwischen den Links- und den Mitte-Rechts-Politikern der Union zu geben. Metsola ist eine Repräsentantin der EVP der christdemokratischen und gemäßigten Volksparteien der EU. Auch Metsola nennt die angebliche „Fairness und Humanität“ für jene, die Schutz bräuchten, an zweiter Stelle – auch sie will nicht bemerken, dass das schon der erste Widerspruch zu ihrem Anspruch ist, Grenzen zu respektieren. Denn „Humanität“ bedeutet in diesem Fall, wie man weiß, dass die Politik es billigend zulässt und hinnimmt, dass Schleuser auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeers illegale Migranten für viel Geld in windschiefe Boote setzen, um sie dann von europäischen Einschleusungs-Aktivisten (vulgo „Seenotrettungs-NGOs“, „zivile Seenotretter“) nach Europa bringen zu lassen.

Das Video der Parlamentspräsidentin selbst zeigt sogar solch ein Schlepperboot, das von Helfern in Warnwesten in Empfang genommen wird. Diesen Social-Media-PR-Profis scheint gar nichts mehr aufzufallen. Denn im nächsten Augenblick spricht Metsola von den schlimmen Schleusern, die die „verletzlichsten Menschen auf unserem Planeten“ ausbeuten würden. Wen? Jene jungen Männer mit dem unwiderstehlichen Tanzcharme und dem Messer im Hosenbund? Diese EU braucht offenbar einen Realitätskurs. Doch auch Metsola wird nicht müde, den „europäischen Weg“ als einen Weg der Verantwortung für die halbe Welt und vor allem – evidentermaßen – für die Regelbrecher an den eigenen Grenzen zu beschreiben. Derweil hat sich Metsolas Heimat Malta gegen die Boote abgeschottet wie kaum ein anderes EU-Land.

Rein aufs Gratulieren beschränkte sich in diesem Fall Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die derart immer mehr vom Tagesgeschäft der Union isoliert scheint. Nun ja, von der Leyen war in den letzten Tagen damit beschäftigt, der privaten Firma BioNTech ein Standbein in Ruanda zu verschaffen. In ihrer Pressemitteilung zur Asylreform sagte die CDU-Politikerin, der Migrations- und Asylpakt werde sicherstellen, dass die Europäer darüber entscheiden werden, wer in die EU gelangt oder nicht. Diese Worte sind ganz sicher nur Schall und Rauch und haben sicher nichts mit Gegenwart oder naher Zukunft des Staatenblocks gemein.

Schinas schickt seine Leser ins Labyrinth der Puzzleteile

Der Vizepräsident der Kommission und Kommissar für „die Beförderung des europäischen Lebensstils“ Margaritis Schinas schreibt auf X sinngemäß, dass die Teile des Kompromisses zusammen eine sinnvolle Einheit ergeben – woran allein schon Zweifel bestehen bei einem solchen Groß-Kompromiss. Schinas spricht dann von den „fünf wichtigsten Säulen des Pakts für Migration und Asyl“, bei denen man einen „Durchbruch“ erzielt habe. Welche sind die Säulen? Man sieht es nicht so direkt, denn Schinas’ Bild zeigt ein Puzzle mit 14 Teilen, darunter Regulierungen darüber, wie Asylbewerber zu empfangen und zu prüfen („screenen“) sind, daneben Richtlinien zur Blue Card und für „Long Time Residents“, eine Richtlinie zu Rückführungen und eine zur „Qualifizierung“, schließlich der Ausbau der „EU-Asylagentur“, die es formal seit Dezember 2021 gibt. Deren künftige Aufgabe? Natürlich die „operative und technische Unterstützung“ der Mitgliedsstaaten und die Vereinheitlichung der Asylverfahren, also wiederum eine Wasserkopf-Agentur, die im Zweifel auf eine Aufbesserung der Asylverfahrenschancen (gegen die Entscheidungen der Einzelstaaten) dringen wird.

Nicht als eigener Baustein wurde die Instrumentalisierungsrichtlinie angenommen, in der Einzelstaaten mehr Rechte und Möglichkeiten bekommen sollten, sobald klar ist, dass die illegale Migration in die EU-Zone – wie in beinahe allen Fällen – von ausländischen Machthabern instrumentalisiert wird. Dieser Teil des Kompromisses ging in die schon angesprochene „Krisen-Regulation“ ein, was eher auf Verhandlungsverluste an dieser Front hindeutet. Schinas hat sich in seinem Puzzle verlaufen – oder er möchte, dass wir es tun.

Schinas’ abschließendes, obligatorisches Selbstlob: „Es war ein langer Weg, aber wir haben es geschafft. Europa liefert endlich Ergebnisse in der Migrationsfrage.“ Das bleibt aber sehr die Frage. Denn die Verschärfungen, um die es ja angesichts der Überlastung mehrerer Länder gehen müsste, wirken mehr als lückenhaft und kaum geeignet, die verschiedenen Länder überhaupt zu entlasten. Es sind Trippelschritte im Schneckentempo, die von Grünen und Linken in Deutschland und der EU weiterhin torpediert werden können, wie etwa die Kritik des „NGO-Experten“ Erik Marquardt (für die Grünen im EU-Parlament) zeigt. Die reale Macht solcher Stimmen ist klein, ihr informeller Einfluss hinter den Kulissen könnte aber – dank interessierter Kreise, finanzmächtiger Aktivismus-Orgas usf. – größer sein, als er nach außen hin scheint.

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