Aufmerksame Beobachter wissen, dass wenn die EU-Kommission etwas ankündigt, das noch lange nicht heißt, dass es geschieht, oder dass wieder einmal nur ein Problem, an das keiner ernsthaft ran will, von den vorderen auf die hinteren Themen weggeschoben werden soll.
Es ist kein Zufall, dass heute etliche Meldungen zur Migrationspolitik im Medienmarkt gehandelt werden. TE beginnt heute eine Dokumentationsserie von Roland Springer, worum es in der Sache bei der Migrations-Konferenz an der Universität Frankfurt ging, die mit dem Eklat um Boris Palmer Wellen warf, die in einer Kolumne von Amina Aziz in der taz Auskunft gibt über die Dialogbereitschaft der Sozialisten unserer Tage (Hervorhebung Redaktion):
Seien es Schröter, Faeser, Scholz oder Uni- und Redaktionsleitungen. Anlässlich drängender Fragen in der Asylpolitik, zu Antisemitismus und Rassismus hat reden bislang nicht viel gebracht. Egal, wie sachlich argumentiert wurde. Klimaaktivist*innen greifen deswegen zu radikaleren Maßnahmen, trotzdem mauert die Politik. Scheinbar können wir Änderungen erst erreichen, wenn diese rechten Boomer ausgestorben sind. Oder wir radikalisieren uns auch.
Die Europäische Kommission unterstützt die Pläne der Ampel-Koalition für schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen (dts): „Es ist wichtig, verpflichtende Grenzverfahren zu haben“, sagte die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der „Welt am Sonntag“. „Das ist notwendig, um irreguläre Migration zu steuern und funktionierende, schnelle, aber menschenwürdige Rückführungen sicherzustellen.“
Asylsuchende, die wahrscheinlich keinen Schutz benötigen, könnten mithilfe solcher Verfahren schnell und fair behandelt werden. „Die Grenzverfahren werden auch sicherstellen, dass es deutlich weniger Sekundärmigration innerhalb der Europäischen Union geben wird.“ Bei den geplanten Grenzverfahren, so die Kommissarin weiter, würden die Rechte der Menschen respektiert, vor allem die Rechte von Kindern und benachteiligten Personengruppen.
Johansson forderte auch, die Ausweisungen von abgelehnten Asylbewerbern effektiver zu gestalten. „Um die Rückführungen zu erleichtern und zu beschleunigen, sollte das Mitgliedsland, das verantwortlich ist für die Rückführung eines Drittstaatenangehörigen, der sich illegal in der EU aufhält, alle Rückführungsentscheidungen, die bereits ein anderes EU-Land über die betreffende Person gefällt hat, anerkennen.“ Nach dem Willen von Johansson sollen künftig alle EU-Länder Rückführungsentscheidungen „gegenseitig“ anerkennen.
Hintergrund dieser Forderung ist, dass sich abgelehnte Asylbewerber heute ihrer Ausweisung dadurch entziehen können, indem sie in einem anderen EU-Land ein neues Asylverfahren beginnen. Johansson zeigte sich mit Blick auf eine gemeinsame EU-Asylpolitik zuversichtlich: „Ministerin Faeser (SPD) und ich bleiben beide fokussiert und optimistisch mit Blick auf die Fortschritte, die wir beim Asyl- und Migrationspakt machen.“
Landkreistag fürchtet zunehmende Ablehnung gegenüber Migranten
Der Deutsche Landkreistag hat vor dem Flüchtlingsgipfel am 10. Mai vor einer größer werdenden Ablehnung gegenüber Migration in der Bevölkerung gewarnt. „Akzeptanz und Hilfsbereitschaft nehmen im gesamten Bundesgebiet ab“, sagte der Präsident, Landrat Reinhard Sager (CDU), dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Sonntagausgaben). „Es wird zunehmend schwieriger, sowohl den Bedürfnissen und Erwartungen der geflüchteten Menschen als auch den Vorstellungen der deutschen Bevölkerung gerecht zu werden.“
Die Anzahl und die Intensität von Konflikten nehme zu, so Sager. „Die Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, ob der Staat und seine Institutionen in der Lage sind, die bestehenden Herausforderungen zu meistern. Die Zweifel daran werden täglich größer.“
Der Landkreistag mache sich große Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und um das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat. Die Ressourcen vor Ort seien ausgeschöpft, sagte der Landrat und fordert eine Reduzierung des Zuzugs. „Es muss seitens des Bundes endlich gehandelt werden. Viel zu lange warten die Landkreise auf ein kraftvolles Signal der Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung aus Berlin.“
Hessen fordert Verdopplung von Bundeshilfen für Flüchtlingsversorgung
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat vor dem Flüchtlingsgipfel am 10. Mai auf eine Verdopplung des Bundesanteils für die Flüchtlingsversorgung gepocht und die Bundesregierung aufgefordert, eine Rückführungsoffensive zu starten. Von dem Bund-Länder-Treffen müsse das glasklare Signal ausgehen, „dass die Bundesregierung endlich den Kopf aus dem Sand zieht, die Not der Kommunen wahrnimmt und schnellstmöglich Hilfe leistet“, sagte der Christdemokrat dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Städte, Gemeinden und Landkreise brauchen deutlich mehr Geld – der Bund muss deshalb seinen Anteil von derzeit 2,75 Milliarden Euro mindestens verdoppeln“, so Rhein.
„Anders sind Unterbringung und Integration dauerhaft nicht zu finanzieren.“ Der Ministerpräsident mahnte eine Einigung beim Gipfel an, wonach sich der Bundesanteil am Flüchtlingszuzug orientieren soll. „Klar muss ab jetzt außerdem wieder sein: Steigen die Flüchtlingszahlen, steigt die Summe des Bundes.“ Denn dieser sei allein dafür verantwortlich, die Migration „zu steuern und zu begrenzen“, sagte Rhein. „Die Koalition in Berlin muss endlich die im eigenen Koalitionsvertrag angekündigte Rückführungsoffensive starten.“ Dazu gehöre vor allem, „mit Druck oder Vereinbarungen dafür zu sorgen, dass die Herkunftsländer Flüchtlinge, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, wieder zurücknehmen“, so der Ministerpräsident.
Bund und Länder vor Migrationsgipfel weiterhin uneinig
Vor dem Migrationsgipfel fordern Ministerpräsidenten von SPD und Grünen mehr finanzielle Unterstützung durch den Bund – obwohl erst am Samstag Pläne bekannt geworden waren, dass Berlin genau das ablehnt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verweist auf Engpässe bei Unterbringung und Kitaplätzen und verlangt. „Der Bund muss seiner Verantwortung gerecht werden und darf die Länder und Kommunen mit den Mehrkosten der Flüchtlingskrise nicht alleine lassen“, sagte Kretschmann der „Bild am Sonntag“.
„Er muss eine langfristige finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Versorgung und Integration der Geflüchteten sicherstellen.“ Anke Rehlinger (SPD), saarländische Ministerpräsidentin, fordert gegenüber der Zeitung mehr europäische Solidarität. „Wir brauchen endlich eine verbindliche Vereinbarung über die solidarische Verteilung von Flüchtlingen unter allen EU-Ländern“, so Rehlinger.
„Wir werden über die Finanzierung der großen Herausforderung reden müssen, denn wir brauchen eine gerechte, tragfähige Lösung mit einer dauerhaften Regelung, die sich dynamisch den Flüchtlingszahlen anpasst.“ Auch über die Digitalisierung und Leistungsfähigkeit der Ausländerbehörden werde zu reden sein. „Wir schlagen außerdem vor, nicht abgerufene Mittel der Wohnraumförderung einsetzen zu können, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der zeitweise auch zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen kann.“
Brandenburg-Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drängte darauf, „dass Zuwanderung administrierbar bleibt, ohne dass wir unsere humanitäre Verpflichtung infrage stellen. Dazu gehören: der Schutz der EU-Außengrenzen, die Ausweitung der Vereinbarung zu sicheren Herkunftsstaaten und die zügige, möglichst freiwillige Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive.“ Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), verweist hingegen auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Lösung: „Wir haben als Land die Plätze in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen massiv aufgestockt. Ich weiß, dass die Kommunen trotzdem an ihre Grenzen stoßen. Deswegen ist es wichtig, dass wir gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Wir brauchen auch die Solidarität in Europa für eine gerechte Verteilung. Keinem ist geholfen, wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen.“
Mecklenburg-Vorpommerns Landeschefin, Manuela Schwesig (SPD), wiederum stellte sich hinter den Vorschlag von Nancy Faeser (SPD) zur Einrichtung von Asylzentren an den EU-Außengrenzen. „Es ist richtig, dass Deutschland Menschen, die vor Krieg oder Verfolgung flüchten, Schutz gibt. Die Aufnahme einer so hohen Zahl von Flüchtlingen hat die Kommunen aber an ihre Grenzen gebracht“, sagte Schwesig zu „Bild am Sonntag“. „Wir brauchen Entlastung, zum Beispiel durch Asylzentren direkt an der EU-Außengrenze, wie Innenministerin Faeser sie vorgeschlagen hat.“