Tichys Einblick
Raus aus der Krise

Es gibt nur ein’ Rudi Völler

Die Nationalmannschaft gewinnt 2:1 gegen Frankreich. Es ist der erste Sieg gegen den Vize-Weltmeister seit 2014. Interimstrainer Rudi Völler könnte zum Symbol für einen Neuanfang werden – nicht nur im Fußball.

Rudi Völler nach dem 2:0 Deutschlands gegen Frankreich, Dortmund, 12. September 2023

IMAGO / ActionPictures

Es gibt die Theorie, dass der Führungsstil der Bundestrainer mit dem der jeweiligen Kanzler korrespondiert: Sepp Herberger stand in seiner überväterlichen Art für die Ära Adenauer. Helmut Schön hatte in seiner Modernität und Weichheit etwas von Willy Brandt. Franz Beckenbauer verkörperte die guten Jahre der Kohl-Zeit, Berti Vogts die schlechten. Und Jogi Löw wurde weltweit gefeiert wie Angela Merkel, bevor man merkte, welchen Trümmerhaufen er hinterlassen hat.

Hansi Flick war somit der richtige Mann für die Zeit von Olaf Scholz. Er war zwar nur sehr kurz da, aber die Leute waren doch schon sehr erleichtert, als er wieder ging. Nur ist die Analogie noch nicht perfekt. Trotz Gas-Umlage, Rekord-Inflation, steigender Arbeitslosigkeit trotz Arbeitskräftemangels, 25 Prozent Erhöhung des Bürgergelds trotz Arbeitskräftemangels oder Rekord-Verschuldung will Scholz einfach nicht zurücktreten.

Welchen Rückschluss könnte sich aus Rudi Völlers Erfolg auf Scholz’ weitere Kanzlerschaft ergeben? Nun: Der vordergründige wäre, dass die Zeit der Ären vorbei ist – ebenso wie die Zeit der Stabilität. Stattdessen müssen wir mit Übergangslösungen leben: Flick, weil er Bayern-Trainer ist. Zwischendrin Völler, weil es gibt nur ein’ Rudi Völler. Dann Nagelsmann, weil der gerade eh nichts zu tun hat. Zwischendrin Völler und danach schau’n mer mal.

"Kommt Männer!"
Eine Nationalmannschaft braucht eine Nation – aber die gibt es nicht mehr
Der andere mögliche Rückschluss ist aber, dass wir uns auf alte Tugenden besinnen. Wie sie Völler verkörpert hat als Spieler – und als Funktionär immer noch verkörpert: Einsatzwille. Nicht lamentieren, wenn man hinten liegt, sondern dann erst recht laufen. Auch nicht jammern, wenn einem mal einer die Beine umtritt – sondern auf eine Gelegenheit warten, den Ball knapp zu verpassen, oder das Ganze später in der Kabine zu klären, wie damals mit Frank Rijkaard.

Rudi Völler war und ist wegen seiner geraden Art beliebt. Faxen sind ihm fremd. Als er der Nationalmannschaft in der Not beistand, erklärte er als Erstes, dass die sich wieder auf Fußball konzentrieren soll, statt auf irgendwelchen Binden-Haltungs-Quatsch. Die Häme der Nancy Faeser nahen Presse war ihm sicher – und Völler hat sie gestanden, weil er ein Kerl ist. Ein Wort, von dem man sich nach anderthalb Jahren Scholz samt „Selbstbestimmungsgesetz“ schon fragen muss, ob es überhaupt noch erlaubt oder schon diskriminierend ist. Zum Beispiel gegenüber Hansi Flick.

Rudi Völler war immer standhaft. Das machte ihn per se zum Optimisten. Geht schon irgendwie, war seine Attitüde. Wir haben ernste Probleme. Nicht im Fußball. Die sind vergleichsweise lächerlich. Sondern als Land. Was wir uns vom Auftritt Völlers abschauen können, ist, wie viel allein Optimismus bewegen kann.

Manche haben schon vor fünf, zehn oder gar 20 Jahren auf die heutigen Probleme hingewiesen. Dafür haben sie sich viel anhören müssen, wovon nur wenig gut war. Es ist verständlich, wenn einer da Genugtuung empfindet, Recht behalten zu haben. Nur: Wer den Rest seines Lebens auf den Untergang hofft, weil der ihm Recht gibt – wer aus je mehr Leid, umso mehr Genugtuung rausholt, der hat auch eine Lebenseinstellung. Nur halt keine gute. Keine gesunde. Keine, die glücklich macht. Und schon gar keine, die einem hilft, Probleme zu lösen.

Rudi Völler ist noch keine Lösung. Zumindest keine dauerhaft tragende. Aber er ist ein Fingerzeig dahin, welche Einstellung einen tragen sollte, nämlich eine optimistische. Eine, die geradeaus ist und auf Arbeit statt Mätzchen setzt. Nur eine Lehre sollten wir nicht aus Völlers Rückkehr schließen: dass wir nur Ehemalige zurückholen müssen und alles wird wieder besser. Oskar Lafontaine und Gerd Schröder haben sich zum Beispiel wieder versöhnt – herrje, dann schon lieber Rudi Völler. Auch fürs Kanzleramt.

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