Tichys Einblick
15% der Heinsberger immun

Erste Ergebnisse der Heinsberg-Studie: Können die Einschränkungen gelockert werden?

Eine Studie im Corona-Hotspot Heinsberg gibt Anhaltspunkte über die tatsächliche Verbreitung des Corona-Virus. Die Forscher empfehlen erste Lockerungen der Einschränkungen.

imago Images

Heute präsentierte die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens die vorläufigen Ergebnisse der „Covid-19 Case-Cluster-Study“. Dabei wurden in der Gemeinde Gangelt, die im Landkreis Heinsberg liegt, mehr als 400 Haushalte – mehr als 1.000 Personen – auf eine SARS-CoV-2 Infektion hin untersucht. Die Auswahl der Studienteilnehmer geschah im Rahmen einer repräsentativen Studie – die Ergebnisse können also mit Ergebnissen anderer Studien verglichen werden und (unter Einschränkungen) auf Deutschland übertragen werden. Es handelt sich um ein vorläufiges Ergebnis, bei dem die Rachenabstriche per PCR-Test und Blutproben per Antikörpertest von circa 500 Probanden ausgewertet wurden. Diese beiden Tests haben verschiedene Vor-, aber auch Nachteile.

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Mit Hilfe der Tests kamen die Forscher um den Bonner Virologen Hendrick Streeck zu dem Ergebnis, das gut 15% der Bevölkerung in Gangelt (und wahrscheinlich auch im ganzen Kreis Heinsberg) eine Immunität gegen das SARS-CoV-2 Virus vorweist, also in der Vergangenheit infiziert war, aber genesen ist. Damit decken sich die Ergebnisse der Studie mit den Erwartungen der Forscher.

Die Letalität des Virus wurde in Gangelt auf gut 0,37% geschätzt; damit unterscheidet sich das Ergebnis der Studie stark vom den Schätzungen anderer Quellen wie der Johns Hopkins Universität, die von einer Letalität von 1,98% ausgehen. Der Unterschied erklärt sich damit, dass in Gangelt auch solche Personen in die Statistik aufgenommen wurden, die keine oder nur schwache Symptome zeigen; die Zahlen der Johns Hopkins Universität beziehen sich auf die Zahl der in Deutschland als infiziert gemeldeten – und es kann nur ein kleiner, oft schon schwer erkrankter Teil der Bevölkerung auf Corona getestet werden.

Diese Zahlen können allerdings nicht ohne weiteres auf ganz Deutschland übertragen werden, denn in Heinsberg wurde schon vor der Studie viel getestet (was die Dunkelziffer der Infizierten sinken lässt), während andernorts weniger getestet wird, da die Situation dort als weniger dramatisch eingeschätzt wird – was wiederum für höhere Dunkelziffern an Erkrankten und Verstorbenen sorgt.

Die Wissenschaftler empfehlen auf Basis ihres Befundes, einen vierstufigen Plan der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene zu implementieren. Der Plan sieht vor, dass in der ersten Phase eine „Gesellschaftliche Quarantänisierung“ vorgenommen wird, um eine unkontrollierte Ausbreitung der Krankheit zu verhindern – in dieser Phase befinden wir uns momentan. In der zweiten Phase, zu welcher wir nach Meinung der Forscher langsam übergehen sollten, werden die Quarantänisierungsmaßnahmen (Schulschließungen, Ladenschließungen etc.) langsam zurückgenommen, aber besondere Hygienemaßnahmen beibehalten. KITAs und Schulen könnten daher bald wieder geöffnet werden; Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen, wie Besuchsverbote in Altersheimen müssten jedoch bestehen bleiben.

In der dritten Phase würden die Quarantänisierungsmaßnahmen dann komplett abgeschafft, Hygienemaßnahmen wie eine maximale Kundenzahl oder Abstandsregeln würden aber weiter bestehen bleiben. Die vierte Phase wäre die Rückkehr zum Alltag vor der Pandemie.

Die Forscher formulierten das Erreichen einer Herdenimmunität als Ziel: Dafür müssen 60% bis 70% der Bevölkerung eine Immunität gegen das SARS-CoV-2 Virus entwickeln – was mangels einer Impfung nur möglich ist, indem die Menschen sich mit dem Virus infizieren und dann von selbst gesunden.

Allerdings fanden die Forscher auch heraus, dass es für die Schwere einer Covid-19 Erkrankung auch entscheidend ist, wie vielen Viren eine Person bei ihrer Erstinfektion ausgesetzt ist. Hygienemaßnahmen wie Abstandsregeln und sogar regelmäßiges und gründliches Händewaschen verringern daher nicht nur die Wahrscheinlichkeit, mit der man erkrankt, sondern auch wie schwer man erkrankt. Die Problematik von „Super-Spreader-Events“, wie dem mittlerweile berühmt-berüchtigten Ski-Ort Ischgl und Karnevalssitzungen mit Corona-Infizierten ist nicht nur, dass dabei viele Menschen gleichzeitig angesteckt werden, sondern auch, dass die Virenbelastung der Angesteckten dabei extrem hoch ist.

Armin Laschet, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, betonte, dass Lockerungen der momentan bestehenden Regeln mit den anderen Bundesländern und auch den Nachbar-Staaten abgestimmt werden müssen. Er will Lockerungen der Regeln bei einer Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin besprechen.

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