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Nach Masken-Urteil

Erneute Razzia bei Weimarer Richter: “Einschüchterung einer unabhängigen Richterschaft”

Die Polizei hat zum zweiten Mal Privaträume und Büro eines Weimarer Richters durchsucht. Der Vorwurf lautet Rechtsbeugung. Auch Räume von acht Zeugen – darunter ein weiterer Amtsrichter aus Weimar – wurden durchsucht. Der Verteidiger des Richters kritisierte das scharf.

IMAGO / Steve Bauerschmidt

Die Polizei hat erneut private und dienstliche Räume des Weimarer Richters durchsucht, der am 8. April die Maskenpflicht, Abstandsregeln und Testauflagen per Beschluss an zwei Weimarer Schulen außer Kraft gesetzt hatte. Wie die Staatsanwaltschaft Erfurt mitteilte, durchsuchte die Polizei am Dienstag auch die Privatwohnungen und Arbeitsstellen von acht Zeugen in Thüringen, Bayern und Sachsen-Anhalt. Darunter ist dem Vernehmen nach auch ein zweiter Richter am Amtsgericht Weimar, der ebenfalls mit Maßnahmen-kritischen Entscheidungen für Furore gesorgt hatte. Gegen den zweiten Richter und die restlichen sieben Zeugen bestehe aber kein Tatverdacht, heißt es in einer Mitteilung.

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Ziel der Durchsuchung sei es, beweisrelevante Kommunikation zwischen dem Richter und den Zeugen sicherzustellen. “Es besteht u.a. der Verdacht, dass er seine Zuständigkeit willkürlich begründet hat”, schreibt die Staatsanwaltschaft. Bei der ersten Durchsuchung am 26. April seien die gesuchten Beweismittel nur teilweise aufgefunden worden. Gegenüber Bild sagte der Sprecher Hannes Grünseisen, dass man damals nur einen nagelneuen Laptop des Richters gefunden habe. Offenbar vermutet die Staatsanwaltschaft, dass der Richter die Hausdurchsuchung erwartet und das Gerät im Voraus ausgetauscht hatte.

Gerhard Strate, der Verteidiger des Richters, übte scharfe Kritik. “Die Entwicklung dieses Verfahrens macht um den Rechtsstaat Angst und Bange. Sein Effekt ist die Einschüchterung einer unabhängigen Richterschaft”, sagte der Anwalt, der auch schon Gustl Mollath vertreten hatte. In dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Erfurt werde dem Richter erneut der Vorwurf der Rechtsbeugung gemacht. Er solle hinsichtlich des Beschlusses vom 8. April nicht zuständig gewesen sein. Der Richter solle mit Dritten – insbesondere den Gutachtern im Verfahren – im Vorfeld in Kontakt gestanden haben, um “unter dem Deckmantel der behaupteten Kindeswohlgefährdung” ein Verfahren zu initiieren, um “seine persönliche Haltung und Meinung zu den Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie öffentlichkeitswirksam zu verbreiten”, zitierte Strate aus dem Durchsuchungsbeschluss.

Die Ermittlungsbehörden vermuten offenbar, dass Dritte dem Richter die betreffenden Fälle gezielt zugespielt haben. In Telegram-Gruppen sei nach Schülern gesucht worden, deren Nachnamen mit den Buchstaben beginnen, für die der Richter zuständig ist – wie Bild berichtet.

Gerhard Strate erklärte dazu, der Richter könne in der Vorbereitung seiner Entscheidung mit jedem sprechen, der ihm als Informationsgeber und Erkenntnisquelle hilfreich sei. “Er kann initiativ entscheiden, ohne auf Anträge oder auch nur Anregungen Dritter angewiesen zu sein”, sagte der Anwalt. Das Amtsgericht Erfurt verkenne, “dass das Verfahren nach den Paragrafen 24 und 26 FamFG ein Verfahren von Amts wegen ist”.

Strate dementierte auch, dass sich der Richter die Zuständigkeit bei dem Verfahren angemaßt habe. Die Anordnungen des Beschlusses vom 8. April seien rechtmäßig – auch wenn das die Oberlandesgerichte Nürnberg und Jena anders sehen würden. “Beide Oberlandesgerichte haben jedoch die Beschwerde zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und damit deutlich gemacht, dass die Frage der Zuständigkeit (wenigstens) bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs offenbleibt”, argumentierte Strate. Schon deswegen sei es abwegig, seinem Mandanten Rechtsbeugung vorzuwerfen.

Laut der Querdenken-nahen Nachrichtenseite 2020news.de durchsuchte die Polizei auch Räume der Anwältin der von dem Beschluss betroffenen Kinder, der Mutter der Kinder, sowie dem Bekannten des Richters Uli Masuth. Außerdem waren die drei Gutachter im Verfahren betroffen, die Krankenhaushygiene-Professorin Ines Kappstein, der Psychologie-Professor Christian Kuhbandner und die Biologie-Professorin Ulrike Kämmerer. Kämmerer und Masuth sind auch Bundestagskandidaten der Querdenken-nahen Partei “Die Basis”.

Uli Masuth erklärte, dass der Gerichtsbeschluss als Grund für die Durchsuchung die Frage nenne, ob seine Frau ein “Kennverhältnis” zu dem Richter unterhalte. “Auf Nachfrage hätte meine Frau jederzeit mitgeteilt, dass sie Richter Dettmar nicht nur kennt, sondern dass wir seit vielen Jahren befreundet sind. Aber was hat das mit dem Gerichtsverfahren zu tun? Von den insgesamt neun beschlagnahmten technischen Geräten, war übrigens nur EIN Gerät von meiner Frau. Ihr Apple PC. Alle anderen Gerätschaften, wie Macbook, Festplatten und Sticks waren von mir. Diese hätten nicht beschlagnahmt werden dürfen. Ich kandidiere für die Partei dieBasis für die Bundestagswahl. Es kann nicht sein, dass sich eine staatliche Entität ohne Grund in den Besitz von Gegenständen und Dokumenten der Opposition bringt, noch dazu in Wahlkampfzeiten. Interessant in diesem Zusammenhang: die Polizei wollte sich sogar noch Zugang zu unserem “Basis-Auto” verschaffen, was kann das mit einem möglichen “Kennverhältnis” zu tun haben?”

Bei der Anwältin der vom Verfahren betroffenen Kinder beschlagnahmte die Polizei laut 2020news auch Gerichtsakten. Die Mutter habe Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts einlegen lassen, das den Richter für nicht zuständig erklärt hatte. Die Anwältin habe sich die Originalakte zu dem Verfahren gerade zukommen lassen und diese habe noch ungeöffnet im Posteingang gelegen. Weil die Polizei die Akte mitgenommen habe, sei eine “mögliche Vernichtung von Beweismitteln” zu befürchten.

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Auch Ulrike Kämmerer empörte sich über die Durchsuchung ihres Arbeitsbüros und der Privatwohnung. “Es ist unglaublich, dass die Polizei ohne Not einfach alle möglichen Unterlagen, mein Handy und meinen Computer beschlagnahmt und sich so Zugang zu meiner gesamten Korrespondenz auch in meiner Eigenschaft als Spitzenkandidatin der Partei dieBasis für die Bundestagswahl verschafft. Ich frage mich, ob meine Kandidatur nicht viel eher Anlass für die Durchsuchung ist als meine gutachterliche Stellungnahme im Kindswohlverfahren”, sagte die Biologin am Universitätsklinikum Würzburg.

Bereits bei der ersten Hausdurchsuchung hatte es Kritik gegeben. Beobachter sahen die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Etwa spekulierte der Berliner Abgeordnete Marcel Luthe: “Mir will doch niemand aus dem Kabinett von SED/SPD/Grüne erzählen, die Maßnahme – ein unfassbarer Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit – sei nicht vorher mit der politischen Hausleitung rund um den Grünen-Justizminister Adams abgestimmt gewesen?” CDU und AfD hatten angekündigt, den Vorfall im Thüringer Landtag ansprechen zu wollen.

Pikant ist auch, dass unter den Personen, die den Richter angezeigt haben, auch die Thüringer Landtagsabgeordnete Dorothea Marx der SPD ist. Auf TE-Anfrage erklärte Marx, sie habe nicht Anzeige erhoben aufgrund der inhaltlichen Auffassung des Richters zu den Corona-Maßnahmen. Diese stehe ihm frei, sagte die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags. Grund sei, dass ein Anfangsverdacht bestehe, dass der Richter sich die Befugnisse eine Verwaltungsgerichts angemaßt habe und sich dazu mit anderen Beteiligten am Verfahren abgesprochen haben könnte. Außerdem habe er den Rechtsweg für alle anderen Schüler abgeschnitten, die ebenfalls von dem Beschluss vom 8. April betroffen seien.

Der Richter hatte per einstweiliger Verfügung entschieden, dass die Lehrkräfte an zwei Weimarer Schulen nicht mehr anordnen dürfen, dass Schüler Maske tragen, Abstand halten und sich schnelltesten lassen müssen – unter Berufung auf den Kindeswohl-Paragrafen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Thüringer Bildungsministerium erklärte daraufhin, dass der Richter seine Befugnisse überschritten habe. “So beschränkt sich die Zuständigkeit des Familiengerichts in Sorgerechtsverfahren auf Fragen des Sorgerechts; die Überprüfung von Infektionsschutzmaßnahmen oder Rechtsverordnungen der Landesregierung obliegt dagegen den Verwaltungsgerichten”, heißt es in einer Mitteilung.

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