Tichys Einblick
Exportschlager Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Erdogan führt neues Zensurgesetz ein – Made in Germany

Die Auswirkungen des NetzDG gehen über Deutschland hinaus. Der Medienrechtler Prof. Dr. Wolfgang Schulz nennt das NetzDG einen „Exportschlager“.

imago Images/Xinhua

Diktaturen haben es schwer heute. Musste sich die Opposition früher noch in geheimen Zirkeln treffen, in Privatwohnungen Pläne aushecken und im Keller Flugblätter drucken, so steht ihr heute die Freiheit des Internets zur Verfügung. Anonym und unzensierbar kann man Millionen erreichen. Soziale Netzwerke und verschlüsselte Messenger sind darum den Lukaschenkos dieser Welt ein Dorn im Auge. Der Massenprotest in Weißrussland wäre wohl genauso wenig möglich wie Protestwellen im Iran. Die sozialen Netzwerke sind in der Türkei – nachdem Erdogan die Presse zunehmend gleichgeschaltet hat und kritische Journalisten inhaftieren lässt, eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, an ungefilterte Informationen zu gelangen und um sich mitzuteilen.

Nun musste sich die Tochter und der Schwiegersohn (a.k.a. türkischer Finanzminister) vom Sultan vom Bosporus im Internet sogar beleidigen lassen. Unerhört! Fast könnten einem die armen Diktatoren schon leid tun. Aber auf einen Freund in der Not können sich alle Despoten dieser Erde immer verlassen: Deutschland, seines Zeichens Experte in Fragen der Hass-und-Hetze-Bekämpfung.

Die Rettung für Erdogan liegt hier: Ein Gesetz, das die Meinungsfreiheit in den Sozialen Netzwerken weitgehend einschränken soll und in der Türkei jetzt in Kraft tritt. Das Instrumentarium erinnert stark an die Deutsche Rechtslage.

Das Gesetz, welches Ende Juli vom türkischen Parlament auf Antrag der AKP verabschiedet wurde, verpflichtet die Anbieter Sozialer Netzwerke dazu, binnen 30 Tagen in der Türkei Niederlassungen zu gründen und ihre Daten auf Servern in der Türkei zu speichern. Auf Beschwerden muss dann schnell reagiert werden – sollten gemeldete, illegale Beiträge nach 48h nicht gelöscht worden sein, drohen den Unternehmen hohe Geldbußen. Damit wird das Recht auf den Kopf gestellt:

Unternehmen werden drastisch bestraft, wenn sie der zeitnahen Löschung inkriminierter Inhalte nicht nachkommen; auf der anderen Seite droht ihnen aber praktisch nichts, wenn sie völlig legale Beiträge willkürlich zensieren. Im Zweifel gegen den Angeklagten. Diese Rechtsverdrehung wird logischerweise dazu führen, dass die sozialen Netzwerke zu oft löschen. Alles, was irgendwie gefährlich werden könnte, streichen und damit automatisch Zensur ausüben. „Sie behaupten zwar, dass dieses neue Gesetz den Schutz von Persönlichkeitsrechten ausweiten wird. Aber am Ende läuft es doch darauf hinaus, dass durch die willkürliche Interpretation des Gesetzes Inhalte entfernt werden, nur weil sie bestimmte Personen stören.“ sagt der türkische Internet-Aktivist Ahmed Sabanci.

Das Gesetz ist zugegeben brilliant. Die Zensur wird auf private Dienstleister ausgelagert (das wäre wohl Honeckers einziger Kritikpunkt).

Genau dieses Prinzip, die Firmen durch einseitige Strafen zur Zensur zu zwingen, das das türkische Parlament jetzt in Gesetzesform gegossen und verabschiedet hat, gilt in Deutschland bereits seit 2017. Es ist eine deutsche Erfindung und entstand unter der Ägide des damaligen Justizministers Heiko Maas: das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Erst jüngst wurde es nochmal verschärft; jetzt sollen die Nutzerdaten bei strafbaren Inhalten automatisch an das BKA weitergeleitet werden. Im September wiederum signalisierten die Beamten des Präsidialamtes, dass sie das Gesetz in seiner jetzigen Form als „evident verfassungswidrig“ einschätzen.

Die Auswirkungen sind nicht nur in Deutschland evident: Im großen Stil löschen die großen sozialen Netzwerke völlig legale Beiträge, fast ohne Konsequenzen, wenn Joachim Steinhöfel oder die Kanzlei Höcker nicht gerade klagen. Für die Firmen aus dem Silicon Valley ist es einfacher, jeden Beitrag, der auch nur irgendwie für Anstoß sorgen könnte, in vorauseilendem Gehorsam zu löschen, als Gefahr zu laufen, Strafgelder en masse zu riskieren.

Doch die Auswirkungen des NetzDG gehen über Deutschland hinaus. Der Medienrechtler Prof. Dr. Wolfgang Schulz nennt das NetzDG einen „Exportschlager“, sagte im Interview mit der SüZ:

„Aber man muss sehen, dass es als erstes Gesetz weltweit eine Infrastruktur schafft, die darauf abzielt, innerhalb möglichst kurzer Zeit Inhalte von Plattformen zu entfernen. Das ist mit Risiken verbunden.“

Unter anderem Weißrussland, Malaysia und Russland haben ähnliche Gesetze, Deutschland folgend, eingeführt. Russland bezog sich sogar explizit auf das NetzDG. Und jetzt importiert auch Erdogan von deutscher Sozialingenieurskunst gefertigte Zensurinfrastruktur. Natürlich um Hass und Hetze zu bekämpfen.

„Dieses deutsche Gesetz gleicht dem türkischen Gesetz sehr. Es ist im Kern die Grundlage für das türkische Social-Media-Gesetz. Es zwingt Anbieter rechtlich dazu, im Falle von Klagen und Beschwerden viel schneller handeln zu müssen als bisher.“, meint der türkische Oppositionelle Sabanci.

Aber kommen wir jetzt zum großen TE-Quiz:

Stammen diese Aussagen… ?

a) von Vertretern der Bundesregierung oder
b) von Vertretern der AKP, die gerade ihr neues Zensurgesetz rechtfertigen

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