Herr Theurer, warum schaut die Opposition so brav dem Handeln der Bundesregierung zu?
Michael Theurer: Wir haben das Regierungshandeln konstruktiv begleitet. Wo sie nicht gehandelt hat oder zu spät in die Gänge kam, haben wir das kritisiert. Zum Beispiel, dass wir bis heute auf einen Krisengipfel des Bundeswirtschaftsministers warten, und der Bundesgesundheitsminister fast täglich eine neue Lage konstatiert und dann endlich das tut, was er zwei Tage zuvor noch kategorisch ausgeschlossen hat.
Und es gibt noch mehr Kritikpunkte: Es hat zu lange gedauert, bis die Kanzlerin eine Stellungnahme abgegeben und die Corona-Krise zur Chefsachen gemacht hat. Auch dass die Liquiditätshilfen bei den mittleren Unternehmen komplett durch das Raster fallen, kritisieren wir scharf.
Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) denn rechtzeitig und richtig gehandelt?
Das ist eine Frage, die nach der Krise kritisch analysiert und bewertet werden muss. Schon jetzt aber steht fest, dass die Bundesregierung in den ersten Wochen der Krise nicht besonders koordiniert wirkte. Es wurden zunächst nur die Ressorts Innen und Gesundheit für zuständig erklärt, statt alle betroffenen Ressorts einzubinden. Es hat zu lange gedauert, bis es ein Corona-Kabinett, Bund-Länder-Taskforces und regelmäßige Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Bundeskanzlerin gab. Als ich das Ende Februar in einem Neun-Punkte-Plan gefordert habe, wurde das noch als Panikmache abgetan – danach wurde es eins zu eins umgesetzt.
Frau Merkel hätte auch früher persönlich Rede und Antwort stehen und ihr Handeln der Bevölkerung erklären müssen. In anderen Ländern stellt sich der Regierungschef jeden Tag den Fragen der Journalisten, das fehlt hier komplett. Wenigstens strahlt sie Ruhe und Sachlichkeit aus, das ist derzeit ein Pluspunkt.
Seit 3. Januar 2013 liegt dem Bundestag (Drucksache 17/12051) eine Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ vor. Eine Analyse dessen, was genau heute passiert – obendrein mit entsprechenden Empfehlungen dazu. Merkels Bundesregierung hat sich nach Ansicht von Experten darauf seit fast acht Jahren offensichtlich nicht entsprechend vorbereitet, oder sehen Sie das anders?
Unter den FDP-Gesundheitsministern hat das Bundesgesundheitsministerium noch einen starken Wert auf Katastrophenschutz gelegt. In dieser Zeit entstand auch diese Analyse. Die Ähnlichkeiten sind frappierend – jedoch gibt es auch große Unterschiede, so scheint das Sterblichkeitsrisiko in der Realität glücklicherweise niedriger zu liegen. Es gab auch Fehleinschätzungen, zum Beispiel dass die Arbeitsfähigkeit des Bundestags überhaupt nicht betroffen sei. Da wir Abgeordnete mit extrem vielen Menschen im direkten Kontakt sind, hätte klar sein müssen, dass ein solches Virus sich auch sofort im Bundestag verbreitet.
Warum die Studie von den Folgeregierungen nicht aufgegriffen wurde, ist mir völlig unerklärlich – die FDP gehörte ja in den Folgejahren dem Bundestag nicht an. Sicher wurde ein solches Szenario als extrem unwahrscheinlich eingestuft – ein verheerender Trugschluss, wie sich jetzt herausgestellt hat.
Präsident Trump oder Premier Johnson werden fast täglich durch deutsche Medien kritisiert. Dabei hakt es in Deutschland ebenso an vielen Stellen beim Krisenmanagement: Keine Schutzmasken, keine Desinfektionsmittel, Iraner durften bis vor wenigen Tagen aus einem Hotspot unkontrolliert nach Deutschland wegen des muslimischen Neujahrsfestes einreisen, und vieles mehr. Warum gibt es keine Kritik an Merkels-Regierungsarbeit?
Definitiv wurde die Krise von vielen anfangs unterschätzt – als ich vor gut zwei Monaten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier aufgefordert habe, einen Krisengipfel einzuberufen, erfuhr ich starken Gegenwind.
Die Problematik der Schutzmasken und Desinfektionsmittel ist seit langem bekannt. Wir haben das im Gesundheitsausschuss seit Anfang des Jahres regelmäßig angemahnt. Man hat uns erklärt, das Problem sei den Regierungen in Bund und Ländern bekannt. Man arbeite an Lösungen. Leider kamen die versprochenen Masken lange vor Ort nicht an, hier herrscht noch immer große Knappheit. Offenbar haben die Verantwortlichen nicht schnell genug in den Krisenmodus geschaltet. Dass an Flughäfen nicht systematisch kontrolliert wird, ist skandalös – vor allem bei Fernreisenden aus Hochrisikoländern wie China und dem Iran.
Fallen die Medien als kritisches Korrektiv der Regierenden aus?
Hier gibt es in der Tat berechtigte Kritik, dass besonders die öffentlich-rechtlichen sich in der Krise zu sehr als Sprachrohr der Regierung verstünden. Dieser Kritik wurde sogar im Deutschlandfunk Platz eingeräumt – einem öffentlich-rechtlichen Sender.
Ab 2021 sollen die Energiepreise (Sprit, Heizöl, Erdgas) für den Klimaschutz stark ansteigen. Es wird die Wirtschaft und das gesamte Leben verteuern. Müssen Bundesregierung und Länder diesen Beschluss angesichts der Corona-Krise revidieren?
Dass die Grünen zum jetzigen Zeitpunkt fordern, die ausgehandelten Preise unbedingt beibehalten zu wollen, halte ich für wahnwitzig. Energiepreiserhöhungen wären jetzt Gift für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Ein Emissionshandelssystem hingegen, wie von uns vorgeschlagen, wäre diesen staatlich festgesetzten Preisen überlegen. Dadurch würde auch in einer Krise der Preis für CO2 billiger und das wirkt konjunkturstabilisierend.
Muss der Klimaschutz jetzt eine Pause zugunsten des Wiederaufbaus der Gesellschaft einlegen?
Die Corona-Krise wird die Bürger schier unvorstellbar viel Wohlstand kosten. Hemmnisse für unseren Wohlstand müssen hintenanstehen. Die Linderung von Existenznöten hat absolute Priorität. Auch Armut und Arbeitslosigkeit sind gesundheitsschädlich. Es geht jetzt um das Überleben des ganzen Landes. Hinzu kommt: Das Ziel der CO2-Reduktion wird als Nebeneffekt des Shutdowns ohnehin verstärkt erreicht.