Tichys Einblick
TE-Interview 09-2022

Energieexperte: Hochfahren des Stromnetzes nach Blackout wird problematisch

Bei einem Blackout würde ab Tag 3 Anarchie auf der Straße herrschen, meint Professor Schwarz im TE-Interview. Den Rat des Wirtschaftsstaatssekretärs Graichen an die Industrieunternehmen, sich Notstromaggregate und Treibstoffvorrat für drei Tage zuzulegen, hält der Energieexperte für völlig unrealistisch.

Cottbus. Bei einem möglichen Blackout des deutschen Stromnetzes wird das Hochfahren des Netzes mehrere Tage dauern und zu erheblichen Problemen in der Industrie und Privathaushalten führen. Der Energieexperte Prof. Harald Schwarz, Spezialist für Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, erinnert an die Blackout-Studie von 2011 für den Deutschen Bundestag. „Die Autoren haben exzellent recherchiert, damals aber nur den Tag 1 eines Blackouts untersucht – denn man wusste, spätestens ab Tag 3 herrscht im Prinzip Anarchie auf der Straße“, so Prof. Schwarz im Gespräch mit dem Monatsmagazin Tichys Einblick. „Aber selbst zum Tag 1 stellte die Studie fest: Der Großteil der Notstromanlagen in den deutschen Krankenhäusern befindet sich nicht in einem Zustand, dass sie gesichert anspringen.“

TE-Interview 09-2022
Harald Schwarz: Politik ist für Desaster der Energiepolitik verantwortlich
Sollte Deutschland die Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke wirklich abschalten, sieht Prof. Schwarz sogar große Probleme, das deutsche Stromnetz nach einem Blackout wieder hochzufahren. „Heute gilt beim Wiederhochfahren des Netzes: Erst einmal wird alles, was regenerativ ist, weggeschaltet. Denn deren schwankende Einspeisung ist in dieser Phase absolut kritisch“, so Prof. Schwarz. Deutschland brauche auch in Zukunft konventionelle Energieträger. „Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir auch im Jahr 2050 noch ausreichend konventionelle Erzeugung haben müssen. Anderenfalls gäbe es beim Hochfahren des Netzes ein erhebliches Problem, wenn es nur noch Tausende Anlagen mit schwankender Erzeugung gibt, aber kaum noch gesicherte Leistung.“

Den Rat des Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, an die Industrieunternehmen, sich mit Blick auf den kommenden Winter Diesel-Notstromaggregate und einen Treibstoffvorrat für drei Tage zuzulegen, hält Schwarz für völlig unrealistisch. „Das ist ja völlig unvorstellbar. Die Industrie verbraucht etwa 20 bis 25 Prozent des Stroms. Wir reden über etwa 10 bis zu 20 Gigawatt. Handelsübliche Notstromaggregate in der Größe eines Lkw­-Anhängers haben eine Kapazität von einem halben bis einem Megawatt. Jetzt also zu argumentieren, die deutsche Industrie solle eben mal für 20 Gigawatt Gesamtleistung Notstromaggregate kaufen, ist völlig jenseits dessen, was überhaupt irgendwie machbar ist.“


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