Tichys Einblick
Das wurde auch Zeit

Endlich erwacht die Kritik an Ursula von der Leyen

Die verspätete Kritik an Ursula von der Leyen wirkt über den Ansehensverlust der Person hinaus. Das Versagen von der Leyens ist auch das Versagen des Berliner Betriebs und der Kanzlerin persönlich, die sie trotz ihres Scheiterns im Verteidigungsministerium an die Spitze der Kommission führte.

IMAGO / Xinhua

Dass die EU-Kommissionspräsidentin und ihr Brüsseler Apparat bei der Beschaffung von Impfstoff für die 26 Mitgliedstaaten heillos überfordert waren und versagten, ist unübersehbar. Und so erwacht nun auch die Kritik an ihr, nicht nur in der NZZ  sondern auch dort, wo sie vorher nicht zu lesen war. Dabei ist es wahrlich nicht das erste Mal, dass von der Leyen versagt. Als Verteidigungsministerin tat sie es jahrelang.

Von der Leyen ist das Paradebeispiel dafür, dass es für den Aufstieg eines Spitzenpolitikers leider längst nicht immer auf sachpolitische Erfolge ankommt. Auch dank ihres außergewöhnlichen Talentes zur Selbstinszenierung – ihr wohl engster Vertrauter und Mitarbeiter ist nicht zufällig der gelernte Journalist Jens Flosdorff – war sie jahrelang der Liebling eines großen Teils des deutschen Medienbetriebs. Hinter der strahlenden Oberfläche wuchs währenddessen im Verteidigungsministerium ein Sumpf aus Fehlentscheidungen und teuren Beraterdienstleistungen. Und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wurde zum Gegenstand des Spottes in der Truppe und bei den Verbündeten.

Doch das schien von der Leyen egal sein. Denn für ihre Karriere war nicht der Zustand der Bundeswehr, sondern ihr Bild in der Öffentlichkeit und im Berliner Politikbetrieb entscheidend. Und dort kümmert es niemanden wirklich, ob Bundeswehrsoldaten fahrbare Panzer und fliegende Düsenjäger haben. Nicht deren eigentlicher militärischer Zweck interessiert dort, sondern ihre Rolle als gesellschaftspolitischer Exerzierplatz. Und da zeigte von der Leyen große Einsatzfreude, etwa indem sie für einen höheren Frauenanteil im Schützenpanzer sorgte. So entsprach sie ganz der Vorstellung, die sich viele Redakteure und Spindoktoren von „moderner“ Politik machen.

Jedenfalls schien die Misere der Bundeswehr weder für die mediale Öffentlichkeit, noch für die Kanzlerin und ihre europäischen Amtskollegen ein Hinderungsgrund zu sein, von der Leyen auf den Thron der EU-Kommission im Brüsseler Berlaymont zu heben.

Ihr dortiges Versagen allerdings betrifft nicht mehr nur die kaum 180 000 deutschen Soldaten, sondern 447 Millionen EU-Einwohner. Erst allmählich scheint nun auch in den Redaktionen und Thinktanks Berlins und anderer Hauptstädte zu dämmern, wie sehr von der Leyen ihre Aufgabe verbockt hat. Ausgerechnet das abtrünnige Königreich der Briten mit dem angeblich so irren Boris Johnson steht beim Impfen sehr viel besser da als die Europäer, denen dank Brüsseler Versagen der Stoff fehlt.

Es geht um mehr als den persönlichen Ansehensverlust einer jahrzehntelang überschätzten Politikerin. Das Versagen der EU und ihrer ersten Frau erschüttert die Glaubwürdigkeit der gesamten politischen Klasse in den Hauptstädten. Denn die Regierenden und nicht die europäischen Bürger haben von der Leyen auf ihre Machtposition gewählt.

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