Eine Mutter klagt einen Kitaplatz ein. Und sie bekommt einen für ihren Jungen. Was zunächst wie eine Erfolgsgeschichte beginnt, entpuppt sich nun für diese Mutter und gemessen an ihren Wünschen und Vorstellungen als Bumerang. Dann, wenn ihr Sohn sich in einer Kindergartengruppe wiederfindet, wo er die anderen Kinder nicht versteht, weil diese eine ihm fremde Sprachen sprechen. Eine Erfahrung, die zur Zeit in Deutschland vermehrt hunderttausende Kindergartenkinder aus Zuwandererfamilien machen: Fremde Sprache, fremde Menschen, fremdes Essen, fremde Umgebung.
Nun sind Kindergartenkinder die dankbarsten Neubürger, die man sich vorstellen kann. Wer einmal erlebt hat, wie schnell diese Kinder im Kontakt mit deutschen Kindern und Kindergärtnerinnen deren Sprache lernen, der kommt aus dem Staunen kaum heraus. Vorteilhaft hier: Ist die eigene Sprache beim Kleinkind erst rudimentär verankert, wird die fremde Sprache verinnerlicht. Tatsächlich: Integration ist in diesem Alter eine dankbare wie erfolgreiche Sache.
Aber nun ist die eingangs erwähnte Mutter nicht mit ihrem Kind nach Deutschland eingewandert: sie ist Deutsche. Ihr kleiner Sohn allerdings, für den sie den Kita-Platz erfolgreich eingeklagt hatte, ist in einer so genannten „Notgruppe“ gelandet. Gegenüber der Morgenpost erzählt eine Ansprechpartnerin beim Kita-Träger: „Ohne die Notgruppe hätte das Kind gar keinen Platz“
Was zunächst erstaunt: besagter Kindergarten ist ein katholischer. Aber der Träger der Kita St. Joseph an der Rudolfstraße im Essener Stadtteil Leithe – um diese Einrichtung geht es – wiegelt die Sorge der Mutter ab: Es seien keinesfalls alle Kinder in der Gruppe muslimisch. „Es gibt welche, die buddhistisch sind oder konfessionslos.“ Sagt also ein Träger einer katholischen Einrichtung. Nun gibt es in vergleichbaren katholischen Einrichtungen durchaus bestimmte Bevorzugungen von Kindern aus katholischen Familien.
Ein ebenfalls von der Morgenpost befragter zuständiger Jugendamtsleiter weist aber jeden Vorwurf zurück: „(W)enn es in einer Kita hakt, versuchen wir immer, den Eltern zu helfen – egal, welche Nationalität sie haben und ob sie sich auf Facebook zu Wort melden.“ Nun ist ein Hilfsangebot das eine, wenn man aber nicht helfen kann, weil bereits „Notgruppen“ eingerichtet wurden, dann bleibt es hier bei einem wohlwollenden, aber doch bei einem Lippenbekenntnis.
Was genau stört nun die Mutter, die ihren Frust per Facebook mitteilte und dafür unerwartet viel Interesse bekommen hat? Sie fragte zunächst: „Mein Sohn fühlt sich hier wie ein Ausländer. Darf das, liebe Politiker?“ Und sie reagierte verbittert, als sie meinte, erkannt zu haben, dass nur sie den Platz einklagen musste, alle anderen hätten ihn so bekommen. Schnell „stellte sich heraus“, so die Mutter, „dass die Eltern von Mohammed und Ali und wie sie alle heißen, nicht klagen mussten. Weil Integration vor Existenz steht.“, leitete sie daraus ab. Von 24 Kindern gäbe es nur noch ein weiteres, das deutsch sprechen würde. Die nicht deutsch sprechenden Kinder würden untereinander in ihrer eigenen Sprache sprechen und ihr Sohn hätte so keine Kontaktmöglichkeiten.
Nun muss man sich tatsächlich fragen, wie schwer so eine Kita-Platz-Planung eigentlich sein muss, wenn die eingangs erwähnte großartige Integrationschance so weggeschenkt wird. Die Kita-Betreiber selbst beschwichtigen, sie differenzieren die Aussage der Mutter: Die Hälfte der Kinder wären doch aus Familien mit Migrationshintergrund, deren Eltern schon hier geboren worden sind. Und diese Hälfte der Kinder würde durchaus deutsch sprechen. Die Mutter beruhigt das indes nicht.
Nun steht sie damit durchaus nicht alleine da. Sie hat sogar prominente Mitstreiter, wenn schon Anfang 2017 die heutige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund zwar nicht explizit in Kitas, aber für Schulklassen forderte. Und wenn ebenfalls die damalige Bildungsministerin Johanna Wanka den Vorschlag machte, Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen gleichmäßiger auf Schulen zu verteilen.
Experten hielten das damals auch für sinnvoll – aber die zuständigen Bundesländer zweifelten postwendend an der Umsetzbarkeit.
Zumindest was Kita-Plätze angeht, ist dieser Zweifel nun offensichtlich bestätigt worden. Eine betroffene Mutter ist zutiefst verunsichert, wird sich in Zukunft obendrein den einen oder anderen Rassismus-Vorwurf gefallen lassen müssen, auch dann noch, wenn sie gerade mit ihrem Facebook-Film Erschreckendes aufgezeigt hat: Integration inklusive der Chance schon im Kleinkindalter deutsch zu lernen als wichtigste Voraussetzung hier erfolgreich aufzuwachsen, ist massiv gefährdet; dann, wenn es sich hier nicht um einen krassen Einzelfall handelt. Aber leider bestätigen Statistiken das Problem, wenn der prozentuale Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in Kindergärten deutlich höher ist, als der Anteil von Migranten und Zuwanderern an der Gesamtbevölkerung.
Und dabei haben wir noch nicht einmal auf das individuelle Schicksal des Kindes der Mutter hingewiesen, das nun zwischen den Kulturen festsitzt auf seinem kleinen Kindergartenhocker und von dem man heute noch nicht wissen kann, in welche Richtung es sich entscheidet, wie es am besten Anschluss findet – oder direkter: welche Sprache zu erlernen das Kind zukünftig für sich für am sinnvollsten erachtet. Wird es noch die Sprache der Mutter sein? Oder wird sich, einmal positiv zu Ende gedacht, diese Konstellation am Ende sogar als großer Vorteil erweisen, wenn der Junge – unfreiwillig zwar – aber sowohl deutsch als auch eine weitere Sprache lernt? Spekulationen. Nicht spekulieren muss man darüber, dass Integration keine Frage von Hoffungen oder glücklichen Zufällen sein darf.
Eine Warnung indes wird der Mutter noch mit auf den Weg gegeben: Sie sollte nicht auf die Idee kommen, ihr Kind abzumelden. Denn dann „könne sie den Rechtsanspruch formal nicht noch einmal geltend machen“, sagt die Mitarbeiterin des Kita-Trägers gegenüber der Morgenpost.
Es gibt ein schönes altes Sprichwort, welches da lautet: „Not macht erfinderisch.“ Bei den zuständigen Ämtern und Behörden für Integration allerdings kann man sich offensichtlich nicht mehr darauf berufen. Hier ist man allenfalls bauernschlau, wenn es darum geht, Ausreden zu erfinden. Wenn es allerdings darum geht, möglicherweise unbequeme Lösungen zu vertagen und nachdem Prinzip Hoffnung zu agieren, wächst man noch einmal über sich hinaus. Zum Schaden übrigens sowohl der deutschen wie auch der ausländischen Kinder.