Das Saarland hat gewählt. Und wie zu erwarten war, hat es keinen eindeutigen Wahlsieger gegeben. Annegret Kramp-Karrenbauer hat zwar mit weitem Abstand die meisten Stimmen errungen, die CDU kann sie aber nicht ohne Koalitionspartner zur Ministerpräsidentin des Saarlandes wählen. Die absolute Mehrheit der insgesamt 51 Sitze im Landtag von Saarbrücken liegt bei 26 Sitzen. Die CDU erzielte aber nur 24 Mandate. – Echte Wahlsieger können alleine die Regierung stellen.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Das Saarland ist das einzige Bundesland, in dem der Landtag mit nur einer Stimme, quasi der sog. Zweitstimme, gewählt wird. Hier stimmen die Wähler nach den Grundsätzen der sog. Verhältniswahl ab. Genau genommen kann der Wähler den Stimmzettel nur einmal kennzeichnen. Er trifft damit aber zwei Entscheidungen. Er wählt simultan die Landesliste und eine der drei Regionallisten der von ihm bevorzugten Partei aus. Denn das gesamte Wahlgebiet ist in drei Regionen unterteilt. Es gibt also im Saarland drei verschiedene Stimmzettel. Über die Regionalwahl werden 41, über die Landeswahl 10 Plätze im Parlament auf die Parteien verteilt.
Die Wahl muss grundsätzlich auch für parteiunabhängige Bewerber offen sein. Mitglied des Landtags in Saarbrücken kann man aber nur werden, wenn man Mitglied einer Partei ist und von ihr auch nominiert wurde. In der Verhältniswahl werden die Abgeordneten nicht unmittelbar, sondern mittelbar gewählt. Und das ist die Achilles-Ferse dieses Wahlsystems: Die Wähler werden entmündigt. Die Parteien schreiben ihnen vor, wen sie – noch dazu „en bloc“ -wählen können und wen nicht. „Friss Vogel oder stirb. Etwas anderes bekommst du nicht.“ Das ist der Grundakkord dieses Wahlverfahrens. Die Wähler geben ihre Stimme ab, und was danach im Landtag passiert, darauf haben die Wähler keinen unmittelbaren Einfluss mehr. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das in hohem Maße problematisch, um es sehr zurückhaltend zu formulieren.
Wer gewohnt ist, der Sache auf den Grund zu gehen, der stösst auf eine weitere Überraschung. Denn bei der Verhältniswahl gelangen die Parteien keineswegs im Verhältnis ihrer Stimmen-Anteile in die Parlamente. Die CDU erlangte mit 40,7 % der Stimmen 47, 1 % der Mandate. Bei der SPD war es ähnlich. Sie erzielte mit 29,6 % der Stimmen 33,3 % der Sitze. Die Linken erreichten 12,9 % der Stimmen, stellen aber 13,7 % der Landtagsabgeordneten. Die kleinste Partei, die AfD kam mit 6,2 % der Stimmen nur auf 5,9 % der Mandate. Und man darf gespannt sein, ob sich die AfD das gefallen lässt oder ob sie ein Wahlprüfungs-Verfahren einleitet und damit die Landtagswahl zu Fall zu bringen sucht. Da ist allerdings größte Eile angesagt. Denn die Frist für eine Anfechtung der Wahl, die jeder Wahlberechtigte einleiten darf, ist auf gerade mal zwei Wochen nach Verkündung des endgültigen amtlichen Wahlergebnisses begrenzt.
Die spezielle Signatur der Verhältniswahl ist der Zwang zur Bildung von Koalitionen. Dieses Wahlverfahren erfüllt auch nicht die Bedingung der unmittelbaren d.h. der namentlichen Wahl der Abgeordneten. Der Staat ist kein Parteien-Staat, sondern ein Volksstaat. Wahlen sind keine Parteien- sondern Volkswahlen Das Volk wählt seine Volksvertretung nicht mittelbar, sondern unmittelbar aus. Deshalb ist es angezeigt, dass die 51 Landtagsabgeordneten in 51 Wahlkreisen namentlich gewählt werden. Und wenn man akzeptiert, dass derjenige gewählt ist, der die meisten Stimmen erhalten hat (einfache Mehrheit), das Quorum also nicht zu hoch angesetzt ist, dann kommt es unter normalen Bedingungen nur selten zu Koalitionen. Von Disraeli, Premier unter Königin Victoria, stammt der – freilich etwas überspitzte – Satz: „Dieses Land bildet keine Koalitionen.“
Manfred Hettlage lebt in München, ist als rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Publizist tätig und hat mehrere Sachbücher zum Wahlrecht veröffentlicht, z. B. : „Wer mit zwei Stimmen wählt … / Beobachtungen, Bemerkungen und neue Beiträge zur Wahl der Parlamente in Bund und Land“, 2014; und „Wie wählen wir 2013? Veröffentlichte und unveröffentlichte Beiträge zur Wahl der Parlamente in Bund und Land“, 2/2013.