Tichys Einblick
Facebook kein Schiedsrichter über Wahrheit

Ein Urteil gegen die angemaßte Macht von Correctiv

In eigener Sache: Das OLG Karlsruhe entschied im Rechtsstreit von TE gegen die Meinungs-Plattform Correctiv: Meinen darf jeder. Aber im Wettbewerb der Meinungen muss Fairness herrschen.

© Getty Images

Mit seiner Entscheidung im Verfahren Tichys Einblick gegen die Meinungsplattform Correctiv urteilte der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe am Mittwoch per Eilentscheidung zugunsten von TE (Aktenzeichen: 6 U 36/20). Der Rechtsstreit behandelte formal einen einzelnen Fall eines vermeintlichen ‚Faktenchecks’ von Correctiv: die Plattform hatte einem TE-Beitrag auf Facebook den virtuellen Button „teilweise falsch“ angeheftet. Zu Unrecht, befanden die Richter. Tatsächlich geht die Entscheidung weit über den konkreten Fall hinaus. Sie könnte das Ende der dominierenden Meinungsinstanz Correctiv markieren, jedenfalls auf Facebook.

In eigener Sache
Die Faktendreher von „Correctiv“
Denn dort darf das Medium, das nach eigenen Angaben „Recherchen für die Gesellschaft“ durchführt, im Auftrag des sozialen Netzwerks privilegiert über andere Medien als eine Art Wahrheitsinstanz richten. Dessen virtuelle Stempel „falsch’ oder ‚teilweise falsch’ haftet dann einer Spiegelung eines bestimmten Artikels auf Facebook an. Wer den Beitrag teilt, ist gezwungen, den Correctiv-Stempel auch zu teilen, egal, ob er den Einwand für plausibel hält oder nicht. Der Button ‚falsch’ oder ‚teilweise falsch’ verringert auch automatisch die Reichweite des Beitrags – laut Facebook um 80% Kurzum: Ein Medium in Sonderstellung durfte bis jetzt anderen seine Meinung anderen aufprägen. Das dürfte künftig nicht mehr so leicht funktionieren.
Worum geht es in dieser Auseinandersetzung?

Tichys Einblick hatte über einen offenen Brief von Wissenschaftlern und anderen Personen an den UN-Generalsekretär berichtet, in dem die Briefautoren erklären, der Klimawandel sei ein Problem, es herrsche aber kein „Klimanotstand“. Correctiv versah den Bericht darüber mit dem Zusatz „Nein: Es sind nicht ‚500 Wissenschaftler‘; Behauptungen teils falsch“. Dazu wurde ein Bericht verlinkt, der darlegte, dass einige der Verfasser des offenen Briefs über keinen wissenschaftlichen Hintergrund verfügten. Außerdem seien einige Behauptungen unzutreffend, nach Meinung von Correctiv seien wichtige Informationen nicht berücksichtigt worden. Geht es nach Correctiv, sind Nobelpreisgewinner keine Wissenschaftler mehr, wenn sie die Altersgrenze der deutschen Rentenversicherung erreichen. Auch wer bei einem privaten Unternehmen beschäftigt ist, kann kein Wissenschaftler sein – eine exzentrische Ansicht, seltsamste Meinung eben. Außerdem wollte Correctiv TE verpflichten, die Stellungnahme der Bundesregierung zum Klimawandel zu referieren. TE ist nicht der Ansicht, dass es unsere Verpflichtung ist, den Regierungssprecher ständig zu Wort kommen zu lassen, denn TE ist ein regierungsunabhängiges Medium. Gerne kann Correctiv dieses und anderes vor sich hin meinen – jeden Tag, jede Woche, 365 Tage im Jahr. Aber in einer Demokratie kann nicht eine Meinung einer anderen mit Hilfe eines marktbeherrschenden Mediums übergestülpt werden.

Ziemlich schwierige Gemengelage
CORRECTIV - Von Eigennutz und Gemeinnutz
Dagegen klagte TE wegen einer Verletzung des Wettbewerbsrechts. Tichys Einblick will Correctiv nicht verbieten, seine Meinung über eine andere Veröffentlichung zu sagen, sondern die Wettbewerbsverzerrung beenden, die darin besteht, dass ein Medium einem anderen einen herabsetzenden Stempel aufdrücken darf. Deshalb hatte TE unter Berufung auf das Wettbewerbsrecht geklagt. Denn die wichtigste Regel des Wettbewerbs – auch des medialen Meinungswettbewerbs – lautet: Medien müssen ihre Meinungen gleichberechtigt verbreiten können. Sie dürfen einander auch gleichberechtigt kritisieren. Aber ein Medium darf eben nicht aus einer Machtstellung heraus über andere urteilen, und dadurch Beihilfe dazu leisten, dass eine ihm nicht genehme Ansicht in ihrer Verbreitung behindert wird.

Correctiv wurde 2014 gegründet und mit einer Anschubfinanzierung von drei Millionen Euro ausgestattet, unter anderem von der Brost-Stiftung – geführt von dem ehemaligen SPD-Politiker und Ex-Kanzleramtschef Bodo Hombach. Außerdem erhält sie Fördergelder von der Rudolf-Augstein-Stiftung und der Open Society Foundation des Milliardärs George Soros. Als Medium arbeitet Correctiv bei bestimmten Recherchen auch mit dem ZDF zusammen.

Seit 2017 kooperiert Correctiv auch mit Facebook: Es versieht in dessen deutschsprachigem Teil im offiziellen Auftrag des Netzwerks Postings, die nach Ansicht der Correctiv-Mitarbeiter nicht korrekt sind oder in der politischen Ausrichtung als ungebührlich eingeordnet werden, mit dem Stempel „falsch“ beziehungsweise „teilweise falsch“. Ursprünglich hatte Correctiv-Mitgründer David Schraven behauptet: „Wir arbeiten auf Facebook, nicht für Facebook.“ Inzwischen räumt Correctiv ein, dass Facebook für die „Faktencheck“-Dienstleistung bezahlt. Bei der Gründung von Correctiv hatten Schraven und seine Mitstreiter auch völlige Transparenz versprochen; alle Geldflüsse sollten öffentlich nachprüfbar sein. Auch daran hält sich Correctiv nicht mehr. Welche Summe die Plattform von Facebook erhält, verrät sie nicht.

Der Medienrechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der die Klage von TE vertritt, erklärt den Fall so:

Gerichtliche Klärung in eigener Sache
Fall 24: Tichys Einblick GmbH / Correctiv gGmbH – Klage wg. “Faktencheck”
„Entscheidend für den Rechtsstreit ist die Frage, wie es zu beurteilen ist, wenn ein Medium seine Bewertung über den Inhalt eines konkurrierenden Mediums nicht lediglich im Rahmen der eigenen Publikation veröffentlicht, sondern seine Kritik in Form einer Warnung unmittelbar mit der Publikation des angegriffenen Mediums verknüpft. Die Praxis bei Facebook, die “Correctiv” weitreichende Befugnisse der Stigmatisierung und Diskriminierung erlaubt, ist vergleichbar mit der Situation, dass ein Medium auf dem Titelblatt eines Konkurrenten einen Sticker anbringen lässt, mit dem vor der Lektüre gewarnt und dazu aufgefordert wird, stattdessen das eigene Konkurrenzmedium zu lesen. Im Printbereich wäre eine solche Praxis – etwa dass ‚Focus’-Mitarbeiter während der Auslieferung des ‚SPIEGEL’ einen ‚Focus’-Sticker auf dessen Titelseite aufkleben, oder umgekehrt – kaum denkbar. Im digitalen Bereich ist genau dass Correctiv aufgrund der Kooperation mit Facebook möglich. Damit wird der Bereich der Auseinandersetzung mit publizistischen Mitteln überschritten, und man bedient sich unlauterer Geschäftspraktiken.“

Das Landgericht Mannheim – die Vorgängerinstanz – hatte zwar festgestellt, es handle sich im konkreten Fall um eine Meinung von Correctiv, nicht um objektive Fakten. Damit hat auch in diese Instanz klar erkannt: Correctiv verbreitet Meinung – aber gibt sie als Fakten aus. Damit wird die Öffentlichkeit bewußt getäuscht. Die Mannheimer Richter sahen auch den Wettbewerb berührt. Das von der EU vorgegebene Ziel, „Filterblasen“ im Internet zu bekämpfen, hielten sie allerdings für übergeordnet, und wiesen den Antrag von TE ab.

Diese etwas originelle Schlussfolgerung nach dem Motto: TE hat Recht aber kriegt es nicht, korrigierten die Kollegen des OLG jetzt: Entscheidend dafür sei, so die Richter, dass der Correctiv-Stempel für den durchschnittlichen Facebook-Nutzer irreführend gewesen sei. Er habe nämlich so gewirkt, als werde die Berichterstattung von Tichys Einblick für fehlerhaft erklärt. Tatsächlich hatte sich Correctiv überwiegend an dem offenen Brief abgearbeitet, über den TE berichtet hatte. Zusammengefasst: Wer privilegiert über andere Meinungen urteilen will, muss sich nach Ansicht des Gerichts selbst relativ strenge Maßstäbe gefallen lassen. Mehrere Rechtsprofessoren bestätigten zudem, dass die TE-Berichterstattung korrekt und zudem mit Einschränkungen versehen sei, also für jeden verständigen Leser eine Nachricht transportieren, die sich TE gar nicht  zu eigen macht.

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist nicht anfechtbar. Allerdings kann die Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren beantragt werden. Correctiv-Gründer David Schraven kündigte schon an, das Verfahren werde wohl „in Runde drei gehen“. Obwohl Correctiv betont, es sei ja nur ein einzelner Fall entschieden worden, erkennt die Organisation offenbar auch die grundsätzliche Bedeutung der Klage von TE.

„Faktencheck“ auf Facebook: einige sind gleicher
Bleibt die Auffassung des OLG Karlsruhe bestehen, dann dürften sich künftig auch andere Betroffene gegen die politisch oft einseitigen und besserwisserischen Bewertungsstempel von Correctiv wehren. Eine wichtige Erkenntnis des Verfahrens lautet: Was Correctiv vorträgt, ist oft auch – wie es auch die im konkreten Fall selber einräumte – Meinung, auch wenn sie unter dem Label „Faktencheck“ daherkommt.
Interessant ist, wie die meisten Medien über den Prozess berichteten – und wie Correctiv ihn darstellt.

Welt, FAZ und andere berichteten nachrichtlich und sachbezogen. Anders die Berichterstattung der ARD-Anstalt SWR. Hier kommt Correctiv-Gründer David Schraven sehr ausführlich zu Wort – der Anwalt von TE Joachim Steinhöfel dagegen nur mit zwei kurzen Sätzen im Originalzitat. Davon, dass es sich um eine wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung handelt, erfährt die Öffentlichkeit aus dem SWR-Beitrag nicht. Stattdessen nennt der SWR Correctiv „Faktenprüfer“, und verleiht der Plattform einen quasiamtlichen Anstrich – eine Institution, die nur „Tatsachen“ verbreite. „Wahre Tatsachenbehauptungen sind aber in der Regel zulässig, auch wenn sie für Betroffene unangenehm sind“, heißt es bei SWR, so, als hätte TE gegen eine dem Medium unangenehme Tatsachenerwähnung geklagt. Dabei fällt auf, dass der SWR den Namen von TE falsch schreibt. Offensichtlich haben die Redakteure des Senders es nicht für nötig erachtet, diese Seite auch nur zu öffnen – Qualitätsjournalismus in aller Schönheit und mit grundsätzlichen Schwächen in deutscher Sprache und Grammatik.

Correctiv selbst geht noch weiter. In einer kurzen Videobotschaft vor dem Prozess behauptete Schraven, Correctiv müsse sich „gegen den rechten Blogger Tichy verteidigen. Der möchte nämlich unseren Faktencheck verbieten.“ (https://twitter.com/correctiv_org/status/1265569505016795140)

Das ist – nicht nur nach Correctiv-Maßstäben – noch nicht einmal teilweise, sondern ganz falsch, siehe oben. Wie schon bei anderen Gelegenheit überhöht sich Correctiv als Institution, die gleich die ganze Gesellschaft vor dem Verfall bewahrt:
„Wenn wir einfach nur Gerüchte rausposaunen und falsche Informationen verbreiten“, so Schraven in der Videobotschaft, dann führe das dazu, „unsere Gesellschaft auseinanderzutreiben und zu desintegrieren“.

Apropos herausposaunen und falsche Informationen verbreiten: An dieser Stelle soll noch einmal daran erinnert werden, wie Schraven persönlich die US-Wahl 2016 am Morgen nach der Wahl kommentierte:

Bei dieser Erwähnung handelt es sich um eine Tatsache, die Schraven, um den SWR zu zitieren, möglicherweise unangenehm ist.

In der aktuellen Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und Twitter, das einen Tweet Trumps abwertend kommentiert hatte, stellte sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg übrigens grundsätzlich an die Seite Trumps – mit einer interessanten Begründung. Gegenüber Fox News sagte Zuckerberg, Facebook verfolge eine andere Politik als Twitter: „Ich glaube einfach fest daran, dass Facebook nicht der Schiedsrichter über die Wahrheit bei allem sein sollte, was die Leute online sagen.“

Für den deutschen Ableger von Facebook gilt das offenbar (noch) nicht.

TE dankt an dieser Stelle ausdrücklich allen Spendern der Aktion „Meinungsfreiheit im Netz“, ohne deren Hilfe es nicht möglich wäre, Verfahren wie das gegen Correctiv zu führen.

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