Tichys Einblick
Dokumentation

Ein politisches Urteil? Impfarzt Habig für falsche Pässe verurteilt

Der Mediziner Heinrich Habig wurde zu fast drei Jahren Haft verurteilt. Sein Anwalt hat Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt. Er wirft Staatsanwaltschaft und Gericht vor, seinen Mandanten unrechtmäßig verurteilt zu haben. Auch von Beobachtern gibt es Kritik. Von Maximilian Tichy und Holger Douglas

IMAGO / Panthermedia

Zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft hat das Landgericht Bochum den Mediziner Dr. Heinrich Habig verurteilt. Der Haftbefehl ist sofort zu vollstrecken, so drängte Richterin Petra Breywisch-Lepping. Es gebe keine Gründe, das Verhalten von Dr. Habig zu entschuldigen, so die Richterin. Breywisch-Lepping warf ihm stattdessen sogar »rechtsfeindliche Gesinnung« vor. Eine Notwehr, mit der Wahlverteidiger Schmitz die Handlungen von Dr. Habig begründete, sei grundsätzlich gegen Gesetze unzulässig, so die Richterin.

Der Arzt aus Recklinghausen hat während der Corona-Krise falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt. Bescheinigungen über Impfungen, ohne tatsächlich einen Impfstoff injiziert zu haben. Darunter waren viele Pflegekräfte und Krankenschwestern, die ihrer Arbeit nur mit einer Impfbescheinigung nachgehen konnten und nur so den Betrieb aufrechterhalten konnten.

Eine Ärztin hat den Fall gemeldet. Daraufhin durchsuchte die Polizei sowohl die Praxis als auch die Wohnung des Ehepaares Habig und beschlagnahmte Patientenakten, Impfstoffe und Computer.

Seit dem 14. Mai des vergangenen Jahres, bis zur Verkündung seiner Strafe, saß der 67 Jahre alte Heinrich Habig in der Justizvollzugsanstalt Bochum ein. Das Gericht befand eine akute Fluchtgefahr. Seine Haftstrafe reiht sich nahtlos an die Untersuchungshaft. Die Linksextremistin Lina Engels hingegen wurde mit einer Haftverschonung beglückt, in Berlin können sich Remmo-Clanmitglieder ihren Haftantritt selbst aussuchen und in die Türkei ausreisen.

Das Argument, dass die Patienten mit den falschen Impfpässen eine faktische Impfpflicht umgehen wollten, ließ Richterin Breywisch-Lepping nicht gelten: Sie hätten ihrerseits den Rechtsweg beschreiten und gegen den Impfzwang klagen können.

Verstoß gegen Recht und Prozessordnung

Es ist ein Verfahren und ein Urteil, das alles hat, um das Skandalurteil des Jahres zu werden. Selten sei in einem solchen Maße gegen Recht und Strafprozessordnung verstoßen worden wie von der Staatsanwältin Nina Linnenbank und der Vorsitzenden Richterin Breywisch-Lepping, meldete sich Habigs Wahlverteidiger Wilfried Schmitz zu Wort. Beide gingen nicht auf die Einlassungen der Verteidigung ein.

In Folge reichte Schmitz Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Staatsanwältin Linnenbank (Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Dr. Nina Linnenbank) und die Richterin Breywisch-Lepping (Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Vorsitzende Richterin der 12. Strafkammer Frau Breywisch-Lepping) ein. Linnenbank warf er unter anderem vor, ihre Rolle als Staatsanwältin nicht gerecht wahrzunehmen: „Die Bemühungen der Frau Dr. Linnenbank, in aller Öffentlichkeit alle Impfgeschädigten regelrecht zu verhöhnen und mich zu diskreditieren, können nicht ohne meinen nachdrücklichen Protest bleiben“, schreibt er in der Beschwerde über sie. Er selber sei von ihr als „Querdenker“, „Ideologe“ und „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert worden, weil er das Mandat Habigs angenommen hatte. Außerdem hielt sie „vollkommen unbeeindruckt von wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar noch in öffentlicher Sitzung an der Lüge vom tauglichen Antikörpertest fest“.

Indem ein Antikörpertest an einer Blutprobe durchgeführt wurde, sollte nachgewiesen werden, ob einzelne Patienten tatsächlich geimpft worden seien. Tatsächlich weisen nicht einmal alle Personen, die nachweislich an SARS-CoV-2 erkrankt sind, Monate später noch Antikörper auf. Einen negativen Test daher als Nachweis einer Nicht-Impfung zu nutzen, ist daher kaum haltbar. Dahingehende Beweise wurden vom Gericht nicht angehört. Auch, ob das Gericht einen Bluttest hier anordnen durfte, ist fraglich. Der Rechtsanwalt Chris Moser wertet dieses sogar als Körperverletzung.

Die härteren Vorwürfe erhebt Schmitz allerdings gegen die Richterin Breywisch-Lepping. Die Beschwerde eröffnet er mit den Worten: „Seit meiner Bestellung als Wahlverteidiger ab Anfang Februar 2023 hat mich im negativen Sinne immer wieder fasziniert, was die Vors. Richterin Breywisch-Lepping unter einer sachgerechten Verhandlungsleitung versteht und welches Verständnis sie insbesondere von dem Grundsatz der Öffentlichkeit hat.“ Ihre Prozessführung sei „wiederholt willkurlich“ und „hochbefangen“ gewesen. Zusammen mit dem Wahlverteidiger Stefan Schlüter, der die Ehefrau Habigs im Prozess vertrat, will er mehrere Befangenheitsanträge eingereicht haben.

Die Richterin soll den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens ab dem ersten Verhandlungstag verletzt haben, indem Zuschauer durch, seiner Ansicht nach, willkürliche Anordnungen schikaniert wurden. So wurden Besucher des Prozesses genötigt, eine zusätzliche Sicherheitsschleuse zu durchlaufen. Außerdem mussten die Zuschauer ihre Ausweise vorzeigen, diese wurden durch die Polizei fotografiert und, Zitat aus der Verfügung Breywisch-Leppigs: „Die Ablichtungen [der Ausweise] sind unverzüglich nach der Sitzung der Vorsitzenden auszuhändigen und werden spätestens an dem auf den Sitzungstag folgenden Werktag vernichtet, sofern diese nicht zur Verfolgung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder zur Durchsetzung von Ordnungsmaßnahmen benötigt werden.“

Wenige Tage später kam es bei einigen dieser Personen zu Hausdurchsuchungen, obwohl dies auch in Folge der Beweissicherung des Verfahrens passiert sein könnte, wie Schmitz einräumt, denn die Personen waren ebenfalls Patienten Habigs gewesen. Die Richterin, so der Vorwurf, wollte mit solchen und ähnlichen Aktionen Zuschauer von der Verhandlung abschrecken und so die Öffentlichkeit beschneiden.

Druck auf Patienten und Zeugen?

Dem Gericht wirft Schmitz vor: „Offenbart dieser Strafprozess denn Sachverhalte, etwa unlautere Ermittlungsmethoden, die für die Vors. Richterin Breywisch-Lepping oder insbesondere die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, Frau Dr. Linnenbank, irgendwie unangenehm oder gar peinlich sind? Dafür gibt es zahlreiche konkrete Anhaltspunkte. Und es gibt zahlreiche konkrete Anhaltspunkte dafür, dass solche Sachverhalte, die z.B. eine systematische Täuschung aller hier involvierten vormaligen Patienten und Zeugen und die Ausübung von massivem Druck auf viele dieser Zeugen während der Hausdurchsuchungen belegen, bis in die Urteilsbegründung hinein pauschal dementiert und damit regelrecht vertuscht werden sollen.“

Weiterhin sollen die Richterin und die Staatsanwältin persönlich gut befreundet sein und diese Freundschaft den Prozess beeinflussen haben lassen, so Schmitz. Die Wahlverteidiger wurden „immer wieder unterbrochen, beanstandet oder mit endlosen Fragen gestört, während das Verhalten und die Erklärungen der Staatsanwältin Dr. Linnenbank faktisch nie von der Vors. Richterin beanstandet worden sind, auch dann nicht, wenn Frau Dr. Linnenbank einige Zeugen z.B. sogar noch zu einer Zeit, als sie es besser wissen musste, in öffentlicher Sitzung mit der Aussage täuschen wollte, dass sie nicht geimpft worden sein können, weil ihr Covid-19-Antikörpertest doch negativ ausgefallen sei.“

Der Rechtsanwalt Chris Moser gehört dem „Netwerk kritischer Richter und Staatsanwälte“ an. Dieses schreibt in seiner Selbstdarstellung: „Wir fordern eine faktenbasierte, offene, pluralistische und sachliche Diskussion juristischer Fragestellungen der Corona-Krise.“ Es hat sich mit Hinblick auf das Verhalten der Gerichte in der Corona-Krise formiert und begleitet die damalige Rechtsprechung kritisch. Holger Douglas interviewte Moser im Morgenwecker vom 02. Juli.

„Dieses Urteil einzuschätzen, fällt mir als Jurist tatsächlich nicht leicht. Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich von diesem Urteil fast geschockt bin. Nicht, dass ich nicht erwartet hätte, dass das Gericht nicht im Sinne des Angeklagten entscheiden würde, dass es wohl auch hart werden könnte. Aber alles in allem betrachtet, muss ich als Jurist sagen, dass hier sehr viel durch das Gericht, was die Prozessordnung vorschreibt, insbesondere nicht beachtet worden ist“, kommentierte Moser das Urteil gegen Habig.

Habig wurde zu 2 Jahre und 10 Monaten Haft verurteilt, aber: „Man muss ja auch noch hier bedenken, dass sich diese zwei Jahre und zehn Monate auf nicht diese ganzen 600 Taten, die angeklagt wurden, bezieht, sondern nur auf 207 Taten, davon. Und auch diese 600 Taten, die angeklagt wurden, sind wiederum nur ein Teil der Taten, die man denn, sagen wir mal festgestellt hat.“ Bei Durchsuchungen von Habigs Praxis wurden die Patientendaten von 6.800 möglichen Fällen festgestellt. Doch da Habig schon seit Mai 2022 im Gefängnis saß, länger als die eigentlich zulässigen sechs Monate Untersuchungshaft, musste er zur Anklage gebracht werden – also habe man ihn für 600 der 6.800 Fälle angeklagt, so Moser. Die Verurteilung erfolgte dann für 207 der 600 Fälle.

Bruch von Grundrechten und Gewaltenteilung?

„Das ist schon problematisch, weil man im Strafprozessrecht den Begriff der Tat im prozessualen Sinne kennt und der entscheidend ist für die Erteilung einer strafbaren oder eben mehrerer strafbarer Handlungen. Und die Tat im prozessualen Sinne, da ist nicht die Einzeltat gemeint, sondern ein gesamter Geschehensablauf, der bei vernünftiger Betrachtung als Einheit zu verstehen ist und der von einem umschließenden Willen getragen ist“, kommentiert der Rechtsanwalt das Vorgehen des Gerichts. Das Gericht hätte aber alle Fälle als einen Tatvorgang bewerten und verhandeln müssen, statt in dieser Stückelung.

„Dann wäre für den übrigen Teil der Taten Straffreiheit eingetreten. Bestraft, verbraucht nennt man das. Man darf nicht zweimal in derselben Sache, und zwar wohlgemerkt der Tat im prozessualen Sinne verurteilt werden. Ja, also der erste Fehler Anklageerhebung nur 600 von 6800. Dann hat das Gericht also [weitere] 207 Fälle abgetrennt [und ein Urteil darüber gesprochen, Anm. d. Red.], was die Strafprozessordnung nicht vorsieht. Die Strafprozessordnung sieht keine Teilung, Urteile über einzelne Ausschnitte einer Tat im prozessualen Sinne vor.“ Obwohl die Verteidiger das als verfassungswidrig und entgegen dem Rechtsstaatsprinzip gerügt hätten, habe das Gericht das Urteil trotzdem erlassen.

„Ganz streng genommen muss das bedeuten, dass man nun 6000 und 600 Fälle runter gar nicht mehr verurteilen könne, weil ja 207 schon ausgeurteilt sind. Ich glaube nicht, dass das Gericht sich an diesen Rechtsgrundsatz dann in Zukunft halten wird. Das übrige Verfahren mit den 400 Verfahren geht also immer noch weiter“, urteilt Moser. Auch er will ein ungewöhnliches Verhalten zwischen Staatsanwältin und Richterin beobachtet haben: „Man konnte schon erkennen, dass da wohl ein sehr enges Vertrauensverhältnis bestand an der Art der Kommunikation.“ Das Urteil sei ein „Tiefpunkt der deutschen Justiz“, so Moser. Es würde Grundrechte nicht beachten und entgegen der Gewaltenteilung arbeiten.

Anzeige
Die mobile Version verlassen