Indem die Verantwortlichen in den Hauptstädten der EU nach dem griechischen Referendum weiter machen wie zuvor, gefährden sie das europäische Projekt.
Estland, Lettland und Litauen haben das getan, was Griechenland nach Meinung der meisten linken Parteien in Europa ruiniert haben soll. Leichtfertig strömendes Geld und fahrlässig angenommenes aus skandinavischen Banken verursachte eine Immobilien-Blase. Als sie platzte, empfahl der IWF den Balten, die Bindung ihrer Währungen an den Euro zu lösen und abzuwerten. Doch Tallin, Riga und Wilna wiesen den Rat von sich und entschieden sich stattdessen für harte Sparmaßnahmen – also für die als Ausbund des bösen Kapitalismus gescholtene Austerity. Spanien, Portugal und Irland machten es nicht anders. Jene ehemaligen Sowjetrepubliken, die erfolgreich sind, gingen den gleichen Weg.
Bulgarien profitiert seit 2009 nicht ganz ohne Schadenfreude von der damals schon offenkundigen griechischen Misere: Bulgaren, die in Griechenland gearbeitet hatten, kehrten zurück, vor allem aber zogen 2.000 griechische Unternehmen nach Bulgarien und Griechen brachten in kurzer Zeit eine Milliarde Euro nach Bulgarien in Sicherheit. Die Absicht der damaligen Regierung in Athen, ernsthaft Steuern einzutreiben, hatte gereicht. Bulgarien wollte nur 10 Prozent Einkommenssteuer und 20 Prozent Mehrwertsteuer.
Brüsseler Rezepte kann Griechenland nicht anwenden
Aber trotz der Erfolge der Mehrzahl der Länder in Europa mit dem klassischen Haushalten neben der weiterlaufenden Staatsverschuldung fast überall ist das kein Rezept für Griechenland. Weil es in den nächsten 20 Jahren keine Regierung in Griechenland geben kann, die ein Reformprogramm in etwa von der in Brüssel gewünschten Art durchführt. Griechenland hat keine Institutionen, mit denen das ginge und keine Mehrheit der Bevölkerung, die das mittrüge. Bis sich die Mentalität der Griechen, Mazedonier und Albaner den europäischen Nachbarn im Süden – vom Norden zu schweigen – weit genug annähert, braucht es mindestens eine Generation.
Ob uns das gefällt oder nicht, ob wir das als Teil der kulturellen Vielfalt schätzen oder nur den Kopf schütteln, spielt keine Rolle. Wie oft die mehr oder weniger gesalbten Häupter immer weiter in Brüssel zusammenkommen, wie oft sie in TV-Talks von Griechenland den Aufbau eines Katasters verlangen und einer Finanzbehörde, die Steuern vor allem auch von den Oligarchen und Reedern zeitnah einzieht, ist ohne jede Bedeutung. Selbst eine Regierung in Athen, die das ernsthaft gegen das tief verankerte Klientelsystem durchsetzen wollte, bräuchte dafür 10 Jahre.
Nein, die Verantwortlichen in den Regierungen und Parlamenten der EU müssen sich ganz neue Wege überlegen, die Ländern wie Griechenland und ganz anderen wie Großbritannien – schlicht allen zusammen – so viel Bewegungsfreiheit lässt oder neu gibt, damit die EU dort funktioniert, wo sie es kann, und die Finger dort wieder rausnimmt, wo sie spaltet statt zu einen. Nichts bekäme der EU jetzt besser als ein Moratorium der Selbstprüfung. In der alten Richtung das Tempo zu erhöhen kann alles aufs Spiel setzen. Das europäische Projekt verdient besseres.