Tichys Einblick
Serie des abgesagten Stadtfeste

Ehrenamtler beklagen: Sollen wir die Terrorfahrten alleine abwehren?

Die Serie der Attentate hinterlässt Spuren. Hochgeschraubte Sicherheitsanforderungen werden zum Stolperstein für immer mehr Stadtfeste. Die große Politik hat gewaltige Schulden aufgenommen, doch für die Sicherheit der Bürger sorgt sie nicht. „Unser Brauchtum ist in Gefahr", beklagt der Präsident des Bundes Deutscher Karneval.

picture alliance / Noah Wedel | Noah Wedel

Es ist inzwischen eine richtiggehende Serie der Absagen in diesem Frühjahr. Immer mehr Dorf- und Stadtfeste können nicht stattfinden, sogar Flohmärkte. Erst waren es Karnevalsumzüge, die abgesagt wurden. Doch dann ging es weiter. Mal ist es eine Kirmes in Nordrhein-Westfalen, die nicht stattfinden kann. Dann wieder geht es um ein Kirschblütenfest im hessischen Marburg im April, das wegen „abstrakter Terrorgefahr“ ausfällt. Das Osterfeuer in Berlin-Frohnau fällt auch dieses Jahr wieder aus – nicht wegen Corona, auch nicht wegen der Brandgefahr, sondern aus Sorge vor einem Anschlag. Die vom IS propagierten PKW-Anschläge sind ein echter Gamechanger im Wettbewerb zwischen Terroristen und Sicherheitskräften geworden.

Noch gibt es fast 10.000 Volksfeste in Deutschland. Aber dieses Brauchtum, das je nach Landschaft andere Formen annimmt, droht nun auszusterben. Die Feste sind oft das zentrale, wenn nicht das einzige kulturelle Ereignis in vielen Gemeinden. Ohne sie stellt sich die Frage, wo sich eine Mittelstadt, ein Dorf noch treffen kann.

Doch wie ferngesteuert fordern nun viele Gemeinden und Städte zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen bei öffentlichen Veranstaltungen – natürlich immer in Sorge um Leib der Leben der Teilnehmer und sicher alarmiert durch die wahrgenommene Sicherheitskrise. Die Attentate der allerjüngsten Vergangenheit haben Spuren hinterlassen. Die Gefahr – das scheint nun bewusst geworden zu sein – droht überall, nicht nur in Magdeburg, München oder Mannheim. Diese Sicherheit wird aber nicht mit Hilfe der Polizei hergestellt, sondern die Veranstalter sollten dafür sorgen.

Sicherheitsanforderungen als Symbolpolitik

So geht es auch einem Unternehmerkreis aus Bietigheim-Bissingen, einer Großen Kreisstadt von 44.000 Einwohnern im Landkreis Ludwigsburg. Dort fällt das Osterbrunnenfest 2025 ersatzlos aus. In anderen Jahren hatte das Fest 60.000 bis 80.000 Besucher in die Stadt gelockt. Dieses Jahr wird man nur die Brunnen der Stadt österlich schmücken, aber ein Festtreiben darum herum wird es nicht geben. Ebenso wird der Ostermarkt im Stadtteil Bissingen definitiv ausfallen. Der Markt ist mit bis zu 8000 Besuchern deutlich kleiner, muss aber ähnliche Sicherheitsanforderungen erfüllen. Grund ist in beiden Fällen die kaum noch stemmbare Sicherung des Festes.

Der langjährige Vorsitzende der Aktiven Unternehmer in Bietigheim-Bissingen trat wegen der Angelegenheit zurück – weil er die Risiken nicht mehr tragen konnte, die Sache auch planerisch seine Kompetenz überstieg. Ohnehin ist ja das Ehrenamt heute ein steiniger Weg.

Aber auch die neuen Vorgaben der Stadt halfen nicht weiter. In einer Pressemitteilung schreibt Sven Schaller, der vorerst den Vorsitz der Aktiven Unternehmer übernommen hat: „Seit mehreren Monaten stehen wir im engen Austausch mit der Stadtverwaltung und ersuchen um klare und eindeutige Vorgaben, die eine realistische Planung ermöglichen. Doch statt klarer Vorgaben erhielten wir kurzfristig einen Plan, an welchen Stellen sogenannte ‚aktive und passive Straßensperren‘ vorgegeben sind.“

Schaller reagiert einigermaßen entsetzt mit der Frage: „Ist es wirklich die Aufgabe von Ehrenamtlichen, in ihrer Freizeit Sicherheitskonzepte zu erarbeiten und Bedrohungen abzuschätzen?“ Leider wisse aber ein Ehrenamtler nicht, wie schwer und groß eine „aktive oder passive“ Straßensperre sein muss, welcher kinetischen Energie sie standhalten müssen. Kann man einfach irgendwelche PKWs an die bezeichnete Stelle setzen, in denen Studenten zum Mindestlohn Dienst schieben? Was, wenn dann doch ein fanatischer Terrorist diese Barriere durchbricht? Der private, ehrenamtliche Veranstalter könnte dann wohl in Haftung genommen werden.

Die Vorgaben der Stadt bezeichnete Schaller insofern als „Symbolpolitik“. In der Tat fällt das Schnellschussartige daran auf: In ganz Deutschland werden die Richtlinien gerade panisch hochgeschraubt, ohne dass ein Konzept dahinterstünde. Wie man sich wirklich vor einem Terroranschlag schützen kann, das tritt in den Hintergrund. Und im nächsten Jahr wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Erst kamen die Messerzonen, nun die Autosperren. Was kommt als nächstes?

Auch für die innere Sicherheit zahlt man Steuern

Die Aktiven Unternehmer aus Bietigheim-Bissingen gehen in ihrer Pressemitteilung daher noch einen Schritt weiter. Die „Verantwortung, präventive Schutzmaßnahmen zu ergreifen“ sehen sie als „eine Kernaufgabe von Stadt, Land und Staat“ an, nicht als Fleißaufgabe für Ehrenamtler: „Vollständige Sicherheit ist eine Illusion – doch genau deshalb ist es umso wichtiger, dass der Staat einer seiner Kernaufgaben, der Wahrung der inneren Sicherheit, nachkommt. Schließlich wird auch das durch Steuergelder finanziert.“

Das ist vor allem auch ein Brief nach Berlin, wo ja gerade ein Großverschuldungsprogramm ins Werk gesetzt wird – ganz im Namen von Verteidigung und äußerer Sicherheit. Aber von der inneren Sicherheit, die zumal auch an den deutschen Grenzen gewahrt werden könnte und dann auch im Innern durch klugen Zugriff auf Gefährder und zwielichtige Milieus geschützt werden müsse, war bisher wenig die Rede in den Berliner Sondierungs- und Koalitionsgesprächen.

Kurzum: Ehrenamtliche Veranstalter, die ihrem Ort etwas Gutes tun wollen, stehen heute vor einer vollkommen neuen Herausforderung, der „Abwehr von Terrorfahrten“, wie es ein Verantwortlicher kurz und sachlich ausdrückte. Am Ende trägt die Bundesregierung (vorerst noch die gewesene) die Verantwortung für eine erodierende innere Sicherheit, die heute überall im Lande direkt spürbar ist.

In Berlin (Land) soll es bald schon ein neues Sicherheitsgesetz für größere Veranstaltungen geben. Darin sollen den Veranstaltern verbindliche Vorgaben gemacht werden, wie sie die Straßenfeste zu sichern haben. Doch dagegen regt sich Widerspruch auch in der Hauptstadt. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schaustellerbundes, Frank Hakelberg, fordert: „Sicherheit ist Aufgabe des Staates. Es kann nicht sein, dass Schausteller oder Vereine das alleine wuppen müssen.“ Aus dem Südwesten Deutschlands kommt ähnlich starker Widerspruch, eher noch geharnischter. Denn hier geht es um eine Mittelstadt und ihre Feste, die unter den aktuellen Bedingungen sämtlich nicht stattfinden können. Im Mai folgt in Bietigheim-Bissingen eigentlich die „HerzensMai’le“ – über ihre Durchführung und Sicherung wird noch verhandelt.

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