Tichys Einblick
Ehe man sich versieht

Ehe für alle: Erste Hochzeitseinladung an die Kanzlerin

Die Ehe für alle (EfA) wächst sich zum Dauerbrenner aus. Wenn Merkel dachte, abstimmen und vorbei, hat sie sich getäuscht. Aber wohin führt das noch?

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wenn die Kanzlerin aus ihrem Wahlkreis plaudert, kann es passieren, dass die Telefone nicht mehr still stehen. Bei einem ortsansässigen Bestellservice für irgendwas, wäre das sicher hilfreich, aber für ein lesbisches Paar mit aktuell fünf Pflegekindern mag das zu einer echten Belastung werden. Noch mehr, wenn der Anlass republikweit für Aufregung und für ernste überparteiliche Verstimmungen sorgt: Angela Merkel hatte ein generelles Nein zur „Ehe für alle“ vom Fraktionszwang an das Gewissen der Abgeordneten der Union zurückgegeben. Die waren zunächst ganz erschrocken, der eine oder andere mag das verschollene Gut verzweifelt gesucht haben.

Die beiden Frauen mit den Pflegekindern standen deshalb so unvermittelt im Scheinwerferlicht, weil Angela Merkel ihr Umschwenken hin zur völligen Gleichstellung der so genannten Homo-Ehe mit heterosexuellen Ehen direkt auf eine Begegnung mit Gundula und Christine aus Barth zurückgeführt hatte. Ihre Namen samt Nachnamen und Wohnort am Barther Bodden verriet nicht die Kanzlerin, sondern die heimische Ostsee-Zeitung. Reporter Robert Niemeyer war der schnellste. Er kennt die beiden Frauen, er arbeitet in der Außenstelle der Zeitung in Barth, er fuhr hin, er berichtete schon am Morgen, was sich die großen überregionalen Zeitungen und Online-Portale viel später mühevoll aus seinem Artikel zusammenklauben mussten. Die große Stunde des Regionalreporters, könnte man sagen.

Nun kombinierte der Spiegel und nahm zum Aufmacher, was nicht besonders viel investigative Arbeit erfordert: Man las den Artikel von Niemeyer und stellte wie jeder andere Leser auch fest: die Kanzlerin und das lesbische Paar kennen sich schon von zwei früheren Begegnungen aus 2013 und 2015. Schlussfolgerung des Spiegel: So spontan arbeitet das Gewissen der Kanzlerinnen dann wohl doch nicht. Jedenfalls nicht so spontan, wie noch bei ihren Entscheidungen zur Grenzöffnung, als sie sich darauf berief, dass ihr ein humanitäre Imperativ das politische Handeln diktierte hätte: „Das war eine Lage, die unsere europäischen Werte wie selten zuvor auf den Prüfstand gestellt hat. (…) Das war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ.“

Es geht um "Kinder für alle"
Bei der "Ehe für alle" will Merkel keinen Fraktionszwang
Barth ist ein schöner, ein touristischer Hafenort an der See. Wer über die neuen Bundesländer nicht viel Gutes zu berichten hat, der könnte hier ein paar Kilometer westlich von Stralsund fündig werden. Allerdings darf man auch nicht verschweigen, die AfD ist hier bei der Erststimmenwahl zu den letzten Landtagswahlen noch vor der SPD mit sechs Stimmen Vorsprung stärkste Partei geworden mit 26,86 % und 1.022 Stimmen. In der Zweitstimme hatte die SPD dann allerdings mit 206 Stimmen mehr die Nase vorne, während die CDU 311 Stimmen hinter der AfD landete.

In der AfD-Hochburg wurden die beiden lesbischen Frauen mit ihren Pflegekindern äußerst positiv aufgenommen worden, „auch, weil sie sich nicht versteckten“, berichtet der Reporter der Ostsee-Zeitung. Fotos zeigen die beiden Frauen, eine legt der anderen den Arm um die Schulter. Auf dem T-Shirt der eine steht „Real-Love“. Real-Love ist auch ein Song von John Lennon. Dort heißt es: All the little boys and girls living in this crazy world. All they really needed from you was, maybe, some love. Und damit ist dann schon zusammengefasst, was sich die beiden Frauen zur Lebensaufgabe gemacht haben, nämlich Kinder in ihre Obhut zu nehmen, die sonst keiner mehr wollte, für die niemand mehr Real-Love überig hatte.

Als sich die Frauen vor neun Jahren übers Internet kennenlernten, da hatte eine von beiden bereits Erfahrungen aus der Pflegschaft für zwölf Kinder. Heute pflegt man gemeinsam fünf, Merkel sprach von acht. Möglicherweise ist hier die falsche Annahme einer Gleichzeitigkeit schuld, die Pflegschaften enden ja auch, wenn die biologischen Eltern es wieder selbst schaffen oder die Pflegschaft mit der Volljährigkeit erlischt. Anfang 2014 wurde eine der Frauen für ihr Engagement vom Landkreis sogar als Frau des Jahres geehrt. Die Barther wissen also offensichtlich, was sie an ihr haben.

Ob die Offenheit der beiden Frauen zu weit geht oder ob man hier möglicherweise gleich im Vorhinein übler Nachrede den Garaus machen wollte, jedenfalls wird in der Ostsee-Zeitung auch über die Alkoholanhängigkeit einer der Frauen berichtet, die heute „trocken“ ist, sich vor zwölf Jahren „ins Leben zurückkämpfte“. Als Pflegeeltern fanden sie zusammen. Und nun wird Angela Merkel zur Hochzeit eingeladen in diese „ganz normale Familie“, wie Gundula über sich und die ihren erzählt, einen Besuch sei Frau Merkel allerdings noch schuldig, als sie dem Paar doch schon 2015 zum Neujahrsempfang versprach, die beiden und ihre Pflegekinder zu Hause in Barth zu besuchen.

Wie sich das Leben der beiden in den kommenden Tagen gestalten wird, ahnt man nur. Sicher werden weitere Zeitungen kommen, Fernsehteams und auch die Nachbarn werden noch einmal neu schauen. So etwas kann bei fünf Kindern aus kaputten Familienverhältnissen mit unterschiedlichen Behinderungen gewohnte Abläufe schon mal grenzwertig durcheinander bringen. Möglicherweise aber auch entsteht ein größerer Unterstützerkreis, der regelmäßige Hilfe anbietet, wie es am Asternweg geschah, als das Fernsehen stundenlang über diesen sozialen Brennpunkt in Kaiserslautern berichtete und die Kneipenwirtin Ilse die anschließenden Welle der Hilfsbereitschaft in den ersten Tagen nur mühsam lenken und organisieren konnte.

Die mobile Version verlassen