Seit diesem Freitag, 8:03 Uhr, wissen die Bürger, was sie nach dem 24. September bei entsprechendem Wahlausgang erwartet: Rot-Rot-Grün. Da kann SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch so vage bleiben: SPD, Grüne und Linke wollen gemeinsame Sache machen.
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Der parteipolitische Erfolg von Rot-Rot-Grün besteht nicht darin, dass der Bundestag die „Ehe für alle“ beschlossen hat – mit einer Mehrheit von r2g und zusätzlich mit den Stimmen von 75 (!) CDU/CSU-Abgeordneten. Die eigentliche Machtdemonstration fand bei der Abstimmung darüber statt, ob das Thema überhaupt auf die Tagesordnung kommt. Da zeigte sich, wer zusammengehört und wer zusammen regieren will.
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86 Tage vor der Wahl hat Angela Merkel durch ihre Äußerung in einer Talkshow Rot-Rot-Grün einen Triumph ermöglicht. Das könnte die CDU/CSU am 24. September durchaus Stimmen kosten. Vor allem kirchlich gebundene CDU/CSU-Anhänger dürften wegen dieses Schwenks der Kanzlerin nicht mehr zur Wahl gehen. Die Tatsache, dass Merkel selbst mit Nein gestimmt hat, wird diese Wähler nicht mit ihr versöhnen. „Ablehnung, weil Zustimmung gesichert“ ist ein zu durchsichtiges Verhalten.
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Rot-Rot-Grün verdankt diesen Erfolg der Strategie Angela Merkels, mehr oder weniger jedes strittige Thema zu ihrer Sache zu machen, sobald die Umfragen eine große Zustimmung signalisieren. Das war beim Ausstieg aus der Kernkraft schon so – und nicht anders bei gesetzlichem Mindestlohn, Mietpreisbremse oder Frauenquote. Jetzt hat die Kanzlerin wieder ein strittiges Thema abgeräumt. Nur wollte sie das eigentlich erst im Wahlkampf machen. Doch dann hat sie am Montag in einer Talkrunde zu früh geplaudert.
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Eigentlich müsste Martin Schulz jetzt wieder laut über einen „Anschlag auf die Demokratie“ lamentieren. Schließlich kann im Wahlkampf über die Entwertung der Ehe zwischen Mann und Frau durch ihre Gleichstellung mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen nicht mehr gestritten werden. Aber in diesem Fall war es für die SPD wichtiger, sich kurz vor Ende der Legislaturperiode gegen die CDU/CSU durchzusetzen.
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Der große Sieger ist die Lobby der Lesben und Schwulen. Keine andere kleine Minderheit hat in den letzten Jahren die politische Diskussion so erfolgreich beeinflusst. Keine andere Minderheit wurde jemals von den Medien mit so viel Wohlwollen behandelt wie die LSBTTIQ*-Community (Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Menschen, die sich als Queer verstehen). Keine andere Minderheit hatte jemals so viel Unterstützung von SPD, Grünen und Linken.
Allerdings ist das Thema „Ehe für alle“ mit dieser Entscheidung des Bundestags keineswegs abgehandelt. Das letzte Wort wird das Verfassungsgericht sprechen.
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Wahlkampfweisheit zum Tage: „Wahlen sind manchmal die Rache des Bürgers. Der Stimmzettel ist auch ein Dolch aus Papier“ (Lloyd George).
Hugo Müller-Voggs Countdown zur Wahl erscheint immer dann, wenn sich an der Wahlkampffront Interessantes tut.