Fans von Heldenfilmen wie Rocky kennen das: Bevor der Held den großen Triumph feiert, muss er erst tüchtig zu Boden gehen. In der Anke-Rehlinger-Story gibt es diese Momente zuhauf. Erst im Januar gibt die Katholikin die Trennung von ihrem Mann bekannt. Das Land hat die höchste Katholiken-Quote in Deutschland. Das hätte durchaus ein Faktor sein können, wird es aber nicht. Dann infiziert sich Rehlinger mit dem Corona-Virus, muss in Quarantäne und schickt stattdessen einen Pappaufsteller auf Wahlkampftour.
Rehlinger hat daraus gelernt: Trotz guter Umfragen blieb sie bescheiden. Mit politischen Experimenten a la R2G drohte sie dem konservativen Wahlvolk an der Saar nicht. Die sind älter als im Bundesschnitt. Und gerade bei den Älteren punktete Rehlinger. Über 20 Prozentpunkte legte die SPD bei den Menschen über 70 Jahre zu. Etwa 13 Prozentpunkte Plus waren es im Landesschnitt.
Auf die Koalitionsfrage angesprochen betonte sie „Verlässlichkeit“ als wichtigsten Faktor. Ein klarer Seitenhieb gegen die Grünen. Die sind an der Saar traditionell zerstritten und skandalträchtig. Selbst am Wahlabend betont Rehlinger noch einmal, dass eine mögliche Koalition nicht „entlang eines mathematischen Ergebnisses“ gefunden werde. Sondern es müsse seitens der SPD auch bereits Vertrauen bestehen zum möglichen Partner und es müsse eine funktionierende Partei sein.
Wen sie meint, ist in dem Moment klar: Die Saar-Grünen hatten es in Folge interner Querelen nicht geschafft, zur Bundestagswahl zugelassen zu werden.
Nun wird Rehlinger voraussichtlich keinen Partner brauchen, es wird wohl für eine absolute Mehrheit reichen. Das ist Rehlingers Ergebnis. In allen Persönlichkeitswerten schneidet sie deutlich besser ab als Amtsinhaber Tobias Hans. Während die SPD im Bund bei 25 Prozent stagniert, hat Rehlinger in den Umfragen Wochen für Wochen zugelegt. Das ermöglichte ihr Hans mit seinen Fehlern. Der bisherige Klimaschützer stand plötzlich an einer Tankstelle und forderte in einem Selfievideo niedrigere Spritpreise.
Rehlinger ging im Wahlkampf den anderen Weg. Wenn Hans hektisch alte Positionen aufgab, um sich bei neuen Wählern anzudienen, betonte die ehemalige Leichtathletin Konstanz. Wenn Hans laut und schrill wurde, blieb Rehlinger bewusst leise. Auf ihren Plakaten verknüpfte sie sich selbst mit dem Attribut „echt“ – und traf einen Nerv. Als echt wurde ihr Konkurrent nie wahrgenommen: Studienabbrecher, Sohn eines Spitzenpolitikers und kampflos ans Ministerpräsidentenamt gekommen.
Rehlinger hat Jura studiert, ist Teilhaberin einer Kanzlei. Bundespolitisch wurde sie bekannt durch einen Entwurf zur Erbschaftssteuer. Sie setzt langfristig auf das Thema, das mit ihrem Amt als Wirtschaftsministerin verknüpft ist: Arbeitsplätze. Im strukturschwachen Saarland das wichtigste Thema, wie Umfragen bestätigen. Die Menschen nehmen ihr das ab. Die Wirtschaftskompetenz der SPD steigt seit der letzten Wahl von 31 auf 40 Prozent. Die CDU bricht an der Stelle ein: von 50 auf 25 Prozent. Beim Thema Arbeitsplätze ist die Tendenz ähnlich.
Die Anke-Rehlinger-Story kennt viele Rocky-Momente. Von Anfang an. Als sie 1998 in die Saar-SPD eintritt, ist dort Heiko Maas der kommende Mann. Partei-Granden wie Oskar Lafontaine, Reinhard Klimmt oder Ottmar Schreiner ebnen ihm den Weg nach oben. Drei mal darf ihr Protege zur Wahl des Ministerpräsidenten antreten – drei mal verbockt er es. Dann wird Maas mit Ämtern in Berlin abgefunden.
Erst jetzt darf Rehlinger ran. Dann entgleist der Schulz-Zug. Doch Rehlinger wäre keine Kämpferin, wenn sie liegen bleiben würde. Sie lernt aus den Fehlern und macht fünf Jahre später alles richtig: Ruhig und beständig bleiben – und damit um vieles wählbarer sein als ein schriller Wendehals.