Die alte Tante Hertha hatte neulich schon die Bayern an den Rand einer Niederlage gebracht, die Lederhosen nutzten erst die Verlängerung der Verlängerung von satten fünf Minuten, um einzulochen zum Unentschieden. Damals sprachen viele noch von Glück für die Hertha. Nun haben die Berliner gestern Dortmund vom Platz gefegt. BILD titelte: „Plattenhardt schießt Dortmund platt.“
Platter geht’s wohl kaum, aber das ist auch nicht die Story. Denn nachher fühlte sich der Hertha-Torschütze zum 2:1 selbst abgeschossen. Ausgerechnet von der Berliner AfD. Deren Abgeordneter Frank Scheermesser (Bezirk Berlin-Kreuzberg), wohl ein Hertha-Fan, machte nach dem Spiel ein Selfie mit dem Torschützen, ohne sich vorzustellen, und stellt es mit folgendem Kommentar beim Twitteraccount der AfD Fraktion Berlin ein: „Unser Abgeordneter mit dem Siegtorschützen. Langsam wird die Serie unheimlich.“
Plattenhardt las das wohl und retweetete panisch:
@AfDFraktionAGH Foto bitte sofort löschen! Ihr hatte keine Ahnung, wer sich da mit mir fotografieren lässt! Ich distanziere mich klar!
— Marvin Plattenhardt (@Platte21) 11. März 2017
Dafür erntete er dann fast mehr mehr Zuspruch, mehr Lob, Tweets und Kommentare als für sein Siegtor, für seine sportliche Leistung. Und das ist schade. Denn zum einen hätte wohl trotz Foto niemand Plattenhardt unterstellt, er sympathisiere mit der AfD. Denn Politikerfotos mit prominenten Sportlern passieren in der VIP-Lounge ebenso, wie auf der Straße Fotos einfacher Bürger oder Neubürger mit führenden Politikern, ohne dass diese nun einzeln hätten im Vorfeld überprüfen können, mit wem sie sich da ablichten.
Und folgerichtig müsste Hertha der AfD den Zugang zum Stadion komplett verwehren und noch mehr den in die VIP Lounge. Hausverbot lebenslang für AfD-Abgeordnete und Sympathisanten. So wie es die Maritim-Hotelkette gemacht hatte.
Und was soll erst der Sponsor Audi sagen, dessen Logo vielfach im Hintergrund dieses Selfies zu sehen ist? Wird es nun wieder jemanden geben, der dieses Mal Audi empfiehlt, aus der Situation schnell Kapital zu schlagen, indem man mit großer Welle ebenfalls interveniert, das Foto zu löschen? Oder einen, der es Nike empfiehlt? Denn immerhin trägt der Schütze eine Mütze, um mal besser zu reimen als die BILD.
Mit oder ohne Plattenhardts Empörung, die AfD fällt in der aktuellen Sonntagsumfrage zur Bundestagswahl noch einmal um zwei Punkte auf 8 Prozent zurück. Das ist mindestens merkwürdig, denn angesichts Erdogans verbalem Amoklauf hätte man vermuten können, dass die AfD daraus bundesweit Kapital schlägt, aber offensichtlich nimmt der Bürger den Wahlkampf des türkischen Präsidenten doch nicht so wichtig. Vielleicht ist dessen Umgang mir dem Begriff „Nazis“ auch zu inflationär geworden, wenn nun schon die Holländer solche sein sollen, weil man dem türkischen Außenminister Cavusoglu die Landung auf einem Flugplatz in den Niederlanden versagt hatte. Oder sind AfD-geneigte Wähler inzwischen umfragephob?
Aber es kommt noch besser: Jetzt wurde auch noch die türkische Sozialministerin Fatma Betül Sayan Kaya aus den Niederlanden nach Deutschland abgeschoben. Nicht etwa, weil sie Asyl beantragt hätte, Deutschland als Wunschland angegeben oder ein Selfie mit der Kanzlerin wollte, nein, Frau Kaya wollte alternativ für ihren Außenminister in Rotterdam „für Zustimmung der Türken beim anstehenden Referendum über die umstrittene Verfassungsänderung trommeln“. Und sie war nunmal über Deutschland eingereist. Also zurück mit ihr, dachten die Niederländer, ohne dabei an Schengen zu denken.
Der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb erklärte: „Sie wurde in das Land abgeschoben, aus dem sie eingereist ist.“ Ironie am Rande: Der muslimische Bürgermeister Aboutaleb hat die doppelte Staatsbürgerschaft, die der Niederlande und die Marokkos. Und damit wären wir dann in den Maghreb-Staaten angekommen. Die gelten jetzt in Deutschland laut Bundesrat doch nicht mehr als sichere Herkunftsländer. Glück für Aboutaleb. Denn in den Niederlanden ist er noch sicher. Und er dürfte dort sogar als so etwas wie ein Vorzeige-Migrant gelten, besser integrieren kann man sich ja kaum als bis ins Bürgermeisteramt.
Aber der Spiegel hat natürlich längst den Schuldigen gefunden. Nein, nein, nicht Erdogan, sondern den Vorsitzenden der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid, Geert Wilders: „Die gestrige Nacht zeigt, was Populisten anrichten können. Man stelle sich nur vor, nicht der um Contenance und eine politische Lösung bemühte Rutte wäre Premierminister, sondern der Provokateur Wilders. Dann wäre jetzt Vergeltung angesagt, dann würden alle diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten abgebrochen – die seit Jahrzehnten NATO-Partner sind.“
Ja ne, ist klar: Unter Nato-Partnern darf man sich ruhig mal als „Nazi“ beschimpfen, kommt ja in den besten Familien vor.
Enden wir nun aber wieder versöhnlich beim Fußball, da titelt der Tagesspiegel zur EM-Bewerbung 2024: „Deutschland duelliert sich mit der Türkei“ Der türkische Verbandspräsident Yildirim Demirören erklärte: „Der türkische Fußballverband hat bereits drei Bewerbungen für Europameisterschaften eingereicht. Wir hoffen, dass wir beim vierten Mal Glück haben werden.“ Na ja, einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte er sich wohl kaum aussuchen können. Also EM 2024 in Deutschland? Wir freuen uns drauf. Vielleicht wird ja zwischenzeitlich Jogi Löw auch ein Auge auf Plattenhardt geworfen haben.