Das Wort „Jude“ sei problematisch, meint der Dudenverlag. Auf seinen Internetseiten versieht es diesen Begriff mit einem „besonderen Hinweis“: Man solle es meiden und stattdessen ausweichende Formulierungen verwenden wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens. Das Wort „Jude“ könne aufgrund des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs als diskriminierend empfunden werden – so Deutschlands Sprachhüter vom Duden.
Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, erteilt diesem Ratschlag des Dudens eine Abfuhr: Auf Twitter fragt er rhetorisch, ob man Jude sagen dürfe und beantwortet das mit Ja. „Bitte keine „jüdischen Mitbürger“ oder „Menschen jüdischen Glaubens““, empfiehlt Botmann. Ayala Goldmann kommentiert in der Jüdischen Allgemeinen: „Ich kenne keinen einzigen Juden – weder gläubig noch ungläubig –, der sich ungerecht behandelt fühlt, wenn er als Jude bezeichnet wird.“ Als diskriminierend würden den Begriff nur Nichtjuden empfinden, die sich genierten, das Wort auszusprechen.
Die Duden-Affäre zeigt erneut: Diskussionen um tatsächliche oder vermeintlich diskriminierende Wörter beherrschen den Diskurs, seit sich die Linke enttäuscht von der Sozialen Frage abgewandt hat – und sich stattdessen mit Identitätspolitik beschäftigt: Der Mohrenkopf heißt seitdem Schokokuss. Apotheken, die den Begriff „Mohr“ seit über hundert Jahren im Namen führen, werden politisch unter Druck gesetzt, diesen zu ändern. In Mainz gab es eine Kampagne gegen die Firma Neger – dabei hieß der Gründer des Dachdeckerbetriebs so – genauso wie die Erben des Familienbetriebs.
Wobei es oft nicht bei einer Änderung eines Begriffs bleibt. So hießen Afroamerikaner schon Schwarze, Farbige und aktuell „People of Colour“. Wobei solche Wortkarrieren die Absurdität des Kampfs um den korrekten Begriff aufzeigen: So haben die gleichen Meinungsmacher für die Bezeichnung „Menschen mit Beeinträchtigung“ gekämpft und dabei das Wort „Menschen mit Behinderung“ als diskriminiert bezeichnet, die zuvor für eben dieses Wort gekämpft haben, weil es das seinerzeit angeblich diskriminierende „Behinderte“ ablösen sollte.
Gilt ein Begriff als nicht sagbar, steckt ein ungelöster Konflikt dahinter. Selten geht es darum, wie im Fall „Führer“, sich von etwas oder jemand Schlechtem zu distanzieren. Meistens drückt es ein schlechtes Gewissen der Gesellschaft gegenüber einer Gruppe aus. Und dieses schlechte Gewissen drückt sich dann in einer begrifflichen Unsicherheit aus – mitunter in einer begrifflichen Unfähigkeit. Angesichts von Gebieten in Deutschland, in denen Juden sich als solche nicht zu erkennen geben dürfen. Angesichts einer durch Zuwanderung an Bedeutung gewinnenden Bewegung, die in Deutschland gegen das Existenzrecht Israels argumentiert, ist es entlarvend, dass der Gebrauch des Wortes „Jude“ hierzulande wieder als problematisch gilt.
Der Dudenverlag „Bibliographisches Institut“ wurde 2009 von Cornelsen gekauft. Drei Jahre später kam es zur Umstrukturierung: 140 Mitarbeiter erhielten eine Kündigung, die Produktion des gedruckten Dudens wechselte nach Berlin. Dort fusionierte das Duden-Team mit der Sparte Schulbuchproduktion bei Cornelsen.
Der Dudenverlag zeigt sich als überfordert mit der Situation. Eine Anfrage von Bild hat das Haus bisher nicht beantwortet. Über seinen Twitter-Account hat sich der Verlag bis Sonntagabend auch nicht geäußert. Der einzige Tweet des Tages stellt das Wort des Tages vor. Es lautet „gemach“. Zumindest damit scheint das Duden-Team kein Problem zu haben.