Im Herbst 2020 wandte sich der Vorstandsvorsitzende des US-Pharmakonzerns Pfizer, Albert Bourla, in einem offenen Brief an die Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt, die ihre Hoffnung auf einen sicheren und wirksamen Covid-19-Impfstoff zur Beendigung der Pandemie setzten. „Wie ich bereits gesagt habe, arbeiten wir mit Wissenschaftsgeschwindigkeit“, schrieb Bourla.
Doch für die Forscher, die in dieser Zeit das BionTech/Pfizer-Vakzin klinisch testeten, scheint diese Geschwindigkeit zulasten von Datenintegrität und Patientensicherheit gegangen zu sein. Das legen Leaks und Berichte aus einem texanischen Forschungsunternehmen nahe, welches als Auftragnehmer von Pfizer handelte. Brook Jackson, eine mittlerweile ehemalige Regionaldirektorin der „Ventavia Research Group“, teilte dem „British Medical Journal“ (BMJ) mit, dass das Unternehmen unter anderem Daten verfälschte, unqualifiziertes Personal einsetzte und negativen Ereignissen in entscheidenen Testphasen nur langsam nachging.
Ventavia kam bei seiner eigenen Datenerfassung nicht hinterher – das belegt eine E-Mail, die das Auftragsforschungsinstitut ICON, welches ebenfalls für Pfizer tätig war, an das Unternehmen sendet. In ihr erinnert man Ventavia: „Die Erwartung für diese Studie ist, dass alle Datenanfragen innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden.“ ICON markierte daraufhin über 100 ausstehende Anfragen, die älter als drei Tage waren. Dazu gehörten beispielsweise zwei Fälle, in denen sich „Probanden mit schweren Symptomen/Reaktionen gemeldet haben“. Aus Jacksons Dokumenten geht hervor, dass die Probleme schon seit Wochen bestanden und bekannt waren. In einer Liste von „Aktionspunkten“, die Anfang August 2020, kurz nach Beginn der Studie unter den Ventavia-Führungskräften zirkulierte, nannte eine Ventavia-Führungskraft drei Mitarbeiter des fraglichen Standorts, mit denen „das Problem mit dem elektronischen Tagebuch/der Fälschung von Daten usw. besprochen werden sollte“. Einer von ihnen wurde „mündlich ermahnt“. Bei einem Treffen zwischen Jackson und Ventavia-Vertretern hieß es: „Wenn die Aufsichtsbehörde kommt – seid bereit.“ Das Unternehmen fürchtete quasi täglich eine Prüfung durch die US-Bundesregierung, wie weitere Mitarbeiter berichten, die sich an das „BMJ“ wandten.
„Sie lagen mit all ihren Beschwerden goldrichtig.“
Am nächsten Tag informierte Jackson die FDA. In ihrer E-Mail an die Behörde listet sie ein Dutzend besorgniserregende Vorkommnisse auf. Unter anderem hätte man Patienten nach der Injektion in einem Flur „abgestellt“ – ohne Überwachung durch klinisches Personal. Zeitnahe „Follow-ups“ mit Patienten, die negative Reaktionen entwickelten, fanden nicht statt; Protokollabweichungen wurden schlicht nicht gemeldet. Der Impfstoff wurde fehlerhaft gelagert, und Laborproben wurden falsch etikettiert. Ventavia-Angestellte, die diese Probleme meldeten, wurden zum Ziel von Angriffen. Die FDA bestätigte den Eingang der E-Mail – und meldete sich dann nie bei Jackson zurück. Am 10. Dezember, als Pfizer die Notzulassung des Impfstoffes in den USA beantragte, verschwieg der Konzern die Zustände am Ventavia-Standort. Am nächsten Tag autorisierte die FDA den Impfstoff. Als im August 2021 die reguläre Zulassung erfolgte, veröffentlichte die Behörde eine Zusammenfassung ihrer Inspektionen der elementaren Versuche. Neun von 153 wurden inspiziert – Ventavias Labore gehörten trotz Jacksons Meldungen nicht dazu.
Seit Jacksons Meldung an die FDA im September 2020 hat Pfizer Ventavia als Unterauftragnehmer für vier andere klinische Studien für seine Impfstoffe verpflichtet, unter anderem zur Wirkung bei Kindern und Schwangeren.