Alles scheint wohlvorbereitet. Gerade kam der deutsche Ableger der EU-Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (auch Gesetz über digitale Dienste, GdD, oder Digital Services Act, DSA) in den Bundestag. Nun fordert Nancy Faeser (SPD) die konsequente Anwendung des DSA durch die Kommission. Noch einmal mehr anlässlich Enthüllungen über eine Desinformationskampagne durch „Russenbots“, die das Auswärtige Amt via Spiegel veröffentlicht hat, die aber auch unter Netzjournalisten reichlich Fragen aufgeworfen hat. Auf Unionsebene ist das Gesetz über digitale Dienste, der DSA, schon in Kraft. Das heißt, die EU-Kommission kann Verfahren gegen alle Anbieter digitaler Dienstleistungen eröffnen, die mehr als 45 Millionen Nutzer in der EU (= ein Zehntel der Bevölkerung) haben.
Laut Übersichtsseite der Kommission geht es derzeit um 17 Anbieter, darunter:
• die niederländische Tochter der chinesischen Verkaufsplattform Alibaba,
• deren US-Konkurrent Amazon,
• die App-Stores von Apple und Google,
• die Hotelzimmer-Website Booking.com,
• die Suchmaschinen Google (samt Google Maps) und Bing,
• die Social-Media-Plattformen Facebook, Instagram, LinkedIn und X,
• Pinterest, Snapchat und TikTok,
• Wikipedia,
• der Online-Shop Zalando und einige, die andere Bedürfnisse bedienen.
Die Kommission lässt sich nichts entgehen, kein Streaming-Dienst mit Kommentarfunktion soll unüberwacht bleiben, alles im Namen der „Risikominderung“. Am 17. Februar soll dann auch der zweite Teil des „EU-Gesetzes“ in Kraft treten, dann bezogen auf kleinere Anbieter, die einer in den Mitgliedsstaaten zu organisierenden Kontrolle unterliegen werden. Der Bundestag hinkt noch mit der Gesetzgebung hinterher, aber er wird im Laufe des Jahres sicher irgendetwas liefern – vermutlich ein Digital-Überwachungs-Gesetz mit einem großen „Datenschutz“-Etikett daran, wie es in Deutschland üblich ist.
Und auch den ersten Anwendungsfall gibt es bereits. Im Oktober 2023 begann die Kommission mit Ermittlungen zur Plattform X von Elon Musk wegen der Verbreitung von Desinformation zum Gaza-Krieg, was im Dezember zu einem offiziellen Verfahren führte. Dabei kann man Musk vieles vorwerfen; dass er eine pro-palästinensische Agenda verfolgt, gehört sicher nicht dazu. Eher ist er als „absoluter Verfechter der Redefreiheit“ bekannt.
Morgen schon kann die Kommission sich an anderen Inhalten auf X stören und deren umgehende Löschung verlangen, egal ob es eine Krise gibt oder nicht, aber bei eingetretener Krise natürlich leichter. Auf X (ehemals Twitter) gibt es nun bereits einen Menü-Eintrag „Illegale Inhalte in der EU melden“ zu jedem Post. Das könnte auch eine Spitze Musks gegen ein politisches System sein, dass ihn zur Zensur seines Kurznachrichtendienstes zwingt.
Die EU will nicht Wahrheit, sondern Durchgriff
Noch leistet Elon Musk seinen ganz eigenen Widerstand gegen die Anforderungen der EU. Die Lösung à la Musk sind „Community Notes“, also Anmerkungen von Nutzern zu falschen oder fragwürdigen Inhalten, die schon heute viel Klarheit und Transparenz in die Plattform gebracht haben. Viele unzutreffende Tweets – auch solche von offiziellen Stellen oder Politikern – wurden korrigiert, und viele Nutzer sehen dies und diskutieren darüber. Es ist die Methode der Wahrheitsfindung des Freie-Rede-Absolutisten Elon Musk, und niemand hat bisher bewiesen, dass sie nicht funktioniert. Ob das zur „Risikominderung“ ausreicht, ist noch nicht ausgemacht. Anzeichen deuten darauf hin, dass die „Community Notes“ der EU samt angeschlossener „EU-Rechtsgemeinde“ nicht genügen könnten. Man setzt auf etwas ganz anderes: nicht Wahrheitsfindung, sondern Durchgriff auf die Plattformen, Wahrheit per Dekret von oben. Im Klartext: Die EU will der Plattform X vorschreiben, was Informationen sind und was irreführende Desinformationen.
Die von keinem Europäer direkt oder indirekt gewählte Kommission (Teil der Legislative und Exekutive) hat sich also – im Verein mit dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs (= Exekutive, aber auch irgendwie Legislative) und dem EU-Parlament (= weitgehend einflussloser Redeclub) – dazu ermächtigt, den EU-Bürgern auf die Finger zu schauen, was deren digitales Konsum- und Kommunikationsverhalten angeht.
Ja, die Kommission ist hier Legislative und Exekutive in einem. Und richtig, mit klassischer Gewaltenteilung hat es diese EU nicht so. Die neue Verordnung soll nun die Vorschriften für Online-Plattformen und Suchmaschinen „vollständig harmonisieren“ und so „ein sicheres, berechenbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld“ sicherstellen. Nun heißt Harmonisierung auf Deutsch Vereinheitlichung, also mehr Macht und Einfluss für die Staatenbundzentrale Brüssel.
Kommission maßt sich Prävention von Straftaten an
Konkret soll so der „Verbreitung rechtswidriger Online-Inhalte“ entgegengewirkt werden. Dafür gibt es aber schon Strafgesetze, die auch problemlos bei online begangenen Straftaten zur Anwendung kommen können. Wozu also dieses „EU-Gesetz“? Die Antwort lugt hinter dem nächsten Komma hervor. Denn als genauso gefährlich wie rechtswidrige Inhalte gilt den Eurokraten ein Monster, das „Desinformation“ heißt, das sie nicht erfunden haben oder erfinden mussten und das angeblich gewisse „gesellschaftliche Risiken“ mit sich bringt. Und das ist natürlich der Hauptantrieb für die EU-Verordnung: Die „Risiken“ (für die eigene politische Praxis) will man schon präventiv „mindern“ und vermeiden – noch vor jedem Gerichtsurteil und mit derselben Überzeugung und Entschlossenheit, die auch rechtswidrige Online-Inhalte treffen soll.
Die EU hat es eilig, gewisse Inhalte aus den großen Online-Plattformen und Suchmaschinen zu entfernen. Als besonders problematisch wird angesehen, dass sich die Inhalte dort schnell verbreiten und von vielen Nutzern gesehen werden. Das will man den sensiblen Nutzern angeblich ersparen. Dabei wurde die Desinformation auf der Höhe der Pandemie sogar von staatlichen Stellen ausgeübt, als der Gesundheitsminister, der damals Jens Spahn hieß, an einem Tag behauptete, es werde keinen Lockdown geben, um diesen am nächsten Tag einzuführen. Man sieht schon daran, dass das Thema Desinformation etwas komplizierter ist, als einfache Gedankenspiele vermuten lassen.
Inzwischen steht Justin Trudeau – auch im Zusammenhang mit der „Pandemie“ und ihren Einschränkungen – am Pranger, weil er den Trucker-Protest vom Frühjahr 2022 durch Desinformation diffamierte. Mit den falschen (man könnte sagen: gefälschten) Behauptungen von einem unter den Truckern grassierenden „Rechtsextremismus“ und dem Argument ihrer angeblichen „Gewaltbereitschaft“ unter dem Arm setzte Trudeau auf dem Höhepunkt der von ihm herbeigeführten Krise erstmals das neue kanadische Notstandsgesetz in Kraft. Die Trucker, die im Zentrum von Ottawa gegen die kanadische Impfpflicht protestierten, wurden als Terroristen und Extremisten markiert, um sie dann zur nationalen Gefahr zu stilisieren. In der Folge wollte sich Trudeau selbst Sonderbefugnisse per Dekret zuweisen.
Nun hat das Bundesgericht (Federal Court) entschieden: Der Konvoi der Trucker war kein Notstand, der den Einsatz des Gesetzes rechtfertigte. Wohl aber hatte die Regierung Trudeau durch ihre spalterische Rhetorik tatkräftig dazu beizutragen, den Konflikt zu so etwas ähnlichem wie einem nationalen Notstand zu machen. Trudeau, der noch an der Regierung ist, will das Urteil nicht akzeptieren und in Revision gehen.
Es ist dabei nicht das Problem der Mächtigen – etwa und in Sonderheit der grünen Mächtigen –, ihnen missliebige Inhalte aus der Öffentlichkeit fernzuhalten. So hat Renate Künast sich gerade erfolgreich gegen Facebook gewehrt, weil dort ein Falschzitat von ihr verbreitet wurde – ganz ohne DSA. Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck hat gegen eine bayrischen Unternehmer geklagt, der ihn auf einem Plakat kritisierte (TE berichtete). Es geht aber um eine präventive Entfernung von Inhalten von den Internet-Plattformen und Suchmaschinen, damit dieselben möglichst keinen „Schaden“ anrichten können. Und dabei geht es wiederum weniger um rechtswidrige Inhalte, die dennoch auch in diesem Gesetz stehen, sondern um „Desinformation“ im allgemeinen sowie auch um „schädliche“ Inhalte, die weder rechtswidrig noch falsch sind. Aber spätestens hier fällt auf, dass es um Deutungshoheit geht, genauer um die Vorfahrt für die Deutung der Mächtigen über diejenige der weniger Mächtigen.
Verwirrung als Prinzip
So wird schon im Prinzip eine Verwirrung angerichtet, wie auch der Richter im Ruhestand Manfred Kölsch unlängst in der Berliner Zeitung ausführte (TE berichtete). Man wird am Ende nicht mehr Bescheid wissen, bei welchen der verfolgten Inhalte es um Rechtswidriges geht und wo es sich lediglich um falsche oder irreführende Informationen oder schlicht auch um eine nicht genehme Meinung handelt. Am Ende gibt es ja auch noch diese „anderen Inhalte“, die offenkundig weder rechtswidrig noch irreführend sind, von denen aber auch „Risiken“ ausgehen. Damit sind dem digitalen Wach-, Lösch- und Sperrdienst dann alle Türen und Tore geöffnet und keine Hindernisse mehr gesetzt. Und wenn die Plattformen nicht den Brüsseler Vorgaben folgen, dann drohen ihnen hohe Geldbußen und sicher andere Nachteile.
Die Debatte über die Internet-Giganten und ihre übermächtige Stellung – etwa auch was die Besteuerung angeht – ist damit in ein ganz anderes, ja gegensätzliches Fahrwasser geraten. Nun geht es nicht mehr darum, die Oligopole kartellrechtlich zu beobachten und gegebenenfalls einzuschränken. Vielmehr bedient sich die Kommission gerade der sehr großen Plattformen (very large online platforms, VLOP), um deren Nutzer zu kontrollieren. Hier kooperiert also ein letztlich bürgerferner Leviathan (die EU) mit den Online-Riesen. Noch genauer gesagt: Der große Leviathan macht sich die Unternehmen untertan, verpflichtet sie zum Löschen und Sperren aufgrund angeblicher Desinformationskampagnen durch ihre Nutzer, also ein jeder.
Nicht die Big-Tech-Unternehmen werden also gezähmt, sondern der Bürger, der sich ihrer bedient, um frei zu kommunizieren und eine Art digitales Versammlungsrecht in Anspruch zu nehmen. Davon sind auch Medien betroffen, die als Träger der Meinungsfreiheit im Lande gelten dürfen, zumal wenn sie (wie TE) auf staatliche Gelder verzichten. Was aber passiert mit der Meinungsfreiheit von Bürgern und Medien, wenn der DSA (das GdD) erst zu voller Blüte gelangt? Auch wohlmeinende Juristen – wie hier auf dem Verfassungsblog – bemerken übrigens die ungenaue Formulierung des Gesetzes, das nicht einmal eindeutig festlegt, wie die „Risikominderung“ durch die sehr großen Plattformen zu bewerkstelligen ist. Nicht einmal die Pflicht zur Risikominderung geht aus dem Text eindeutig hervor, sondern muss durch Schlüsse herbeiargumentiert werden – etwa weil Desinformation als Risiko für die Demokratie gesehen werden kann.
Faeser ruft Kommission zum Löschen und Sperren auf
Doch auch in Deutschland zeigt man sich vorbereitet und politisch begierig auf das neue EU-Gesetz. So ist ein vom Auswärtigen Amt (AA) angefütterter Spiegel-Bericht über eine angebliche „Kampagne“ von „Russenbots“ auf X für Nancy Faeser (SPD) ein Grund, nach der EU-Kommission zu rufen. Das Innenministerium leitet die Task Force der Bundesregierung im Kampf gegen Desinformation. So stellte Faeser dazu im Handelsblatt fest, was aus der EU-Verordnung zu digitalen Diensten folgen muss: Was die Richtlinie ermöglicht, das müsse nun auch „durch die EU-Kommission durchgesetzt werden“. Und damit sollen die regierungsamtlichen Schein-Enthüllungen über Vorgänge, die vermutlich weniger einflussreich waren als Katzenvideos, zu einer restriktiven Lösch- und Sperrpraxis auf X (und wohl anderen Plattformen) führen.
Rund um den Jahreswechsel (vom 20. Dezember 2023 bis zum 20. Januar 2024) will das Auswärtige Amt die Plattform „mit einer speziellen Software“ gefilzt haben. Welche das war, erfährt man nicht aus dem geheimnisumwobenen Haus am Werderschen Markt (TE berichtete). Heraus kamen angeblich 50.000 gefälschte Nutzerprofile und an manchen Tagen 200.000 Tweets mit zweifelhaften Inhalten, wie der Spiegel schrieb und alle anderen glauben sollen, ohne nachzufragen. Darunter sollen Botschaften wie diese gewesen sein: „Das sind die Nachrichten! @ABaerbock ließ der Ukraine keine Chance – in 3 Monaten ist dort alles vorbei!“, gepostet im September 2023 von einem inzwischen gesperrten Profil.
Dazu heißt es: „X sperrt Nutzerkonten, die die Regeln von X verletzen.“ So einfach kann es sein: Eine Plattform gibt sich Regeln, die sie anwendet – offenbar so gut und effizient, dass man bei einer kursorischen Suche nach einigen Stichworten keine Tweets mehr findet, die in das Raster des Desinformation verbreitenden „Russenbots“ passen. Diese Bots kann es demnach gegeben haben, sie verfügten aber über sehr geringen Einfluss.
Es gab und gibt an der Darstellung des Auswärtigen Amts zahlreiche offene Fragen, die bis dato nicht ausgeräumt wurden und in diesem Zustand deutlich mehr Raum für Spekulationen und Zweifel lassen. Auch wohlmeinende Journalisten beschäftigen sich detailliert damit und kritisieren die vielen offenen Fragen, die das AA jederzeit ausräumen könne.
Das EU-Gesetz ermöglicht jeden Dammbruch
Die Bundesregierung greift also nach einem weiteren Strohhalm der Macht, und dabei wird versucht das Publikum recht wohlig zu emotionalisieren, wenn von einer „offengelegten Lügenkampagne“ gesprochen wird, die „das Ausmaß russischer Desinformation in Deutschland“ anzeige. Jene – bisher weitgehend unsichtbaren und schon gelöschten – Tweets verhöhnten demnach „die Opfer dieses verbrecherischen Krieges“, den nur Russland verantwortet. In dieser Tonlage geht es weiter. Und natürlich sollen besonders „AfD-Kreise“ dieser Russenbot-Propaganda auf den Leim gegangen sein.
Dabei wurde die Grundaussage der Tweets, dass die Ukraine diesen Krieg verloren haben könnte, schon von vielen vertreten, so auch im März 2023 von dem Journalisten Wolfram Weimer in der ARD. Aber die Behauptung, dass auch Baerbock zur selben Erkenntnis gelangt sei, stellt laut Faeser eine „Verhöhnung“ der Kriegsopfer dar. Der moralische Kompass der SPD-Innenministerin ist nicht gut geeicht. Die Frage ist, ob eine Aussage wie die von Weimer gemachte künftig noch auf sozialen Medien vorkommen darf, falls sie etwa als wesentlicher Widerspruch zu einem wichtigen Regierungsnarrativ angesehen wird, wie es sich allerdings in der ganzen „Russenbot-Affäre“ andeutet. Sicher fand man im AA auch die Berichte von einer Ministerin, der die Ukraine wichtiger ist als die eigenen Wähler, nicht hilfreich.
Aber die neueste „Russenbot-Kampagne“ lenkt auch von den wirklichen Gefahren ab, die sich in diesem DSA – dieser EU-Verordnung zum besten, eigenen Nutzen der Regierenden –, verbergen. Die vorgesehenen Maßnahmen gegen Desinformation können nämlich, wie schon angedeutet, praktisch jede im Internet gemachte Aussage oder Nicht-Aussage treffen. Das Teilen eines umstrittenen Memes könnte schon genug sein für unvorhersehbare Lösch-Orgien der EU-Mächtigen, denn das EU-Gesetz ist wie bemerkt sehr vage formuliert und ermöglicht so jede Art von Dammbruch. Die Frage ist, ob es dadurch nicht angreifbar vor einem der vielen Verfassungsgerichte in der EU wäre, die sich ja für die Wahrung der Meinungs- und Ausdrucksfreiheit einsetzen müssten. Aber das ist ein anderes Thema.
Das politmediale Geschrei deutet in die Zukunft
Die Stoßrichtung der neuen EU-Verordnung, die Nancy Faeser so sehr begrüßt, deutet sich dabei schon an, wenn man sieht, welches politmediale Geschrei entfacht wird, seit Bauern, Kleinunternehmer und Mittelständler gegen eine wirtschaftsfeindliche Politik dieser Ampel, aber dahinter auch der EU demonstrieren – inzwischen von Dublin bis Athen und mit einem neuen Brandherd in Brüssel. Es ist letztlich der European Green Deal, gegen den die Bauern protestieren, weil er ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage in Frage stellt. Den Regierenden in dieser EU gilt der Bauernprotest als aufrührerisch und unverständlich. „Hatte man denn nicht so viel für sie getan?“, hieß es heuchlerisch aus dem politischen Berlin. Die mittelständischen und Kleinbauern haben davon über Jahrzehnte nichts bemerkt.
Derweil wälzen sich die Ampelaner in den politisch wohlmeinenden Protesten ihrer weniger werdenden Anhänger, die dank öffentlich-rechtlichen und politischen Aufrufen, aber eben nicht aus eigener Initiative gegen die Opposition demonstriert haben. Eine Regierung versucht, sich ein neues Volk zu schaffen und wird am Ende vielleicht nicht davor zurückschrecken, das wirkliche Volk (das mit den Mistgabeln) medial zu verbannen und ihm die digitale Selbstorganisation durch Sperren und Löschen missliebiger Inhalte zu nehmen.
Wollen die staatlichen und die überstaatlichen Akteure also – gemäß einem Bonmot von Elon Musk – weniger die „Hassrede“ verbieten als „die Rede, die sie hassen“? Es sieht so aus. Auch die Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion Beatrix von Storch (AfD) sah im Bundestag bereits die Meinungsfreiheit bedroht durch einen „beispiellosen Anschlag“, der sich in diesem EU-Gesetz über digitale Dienstleistungen verberge.
Blicken wir noch einmal genauer auf die EU-Löschverordnung: Laut Artikel 35 der Digitalverordnung sollen gemeldete Inhalte „rasch entfernt“ oder der Zugang zu ihnen „gesperrt“ werden. Das gelte vor allem „in Bezug auf rechtswidrige Hetze und Cybergewalt“ – also ein halbfiktiver und ein ganz neu ausgedachter Begriff. Nun dürfte der Tatbestand „rechtswidrige Hetze“ in der EU nicht einheitlich definiert sein, so dass sich allein schon dadurch ein erheblicher Spielraum ergibt. Zum anderen ist der Begriff „Cybergewalt“ ein Neologismus, unter dem sich jeder etwas eigenes vorstellen kann.
Was ist Cybergewalt?
Das Wiener Bundeskanzleramt definiert ihn so: „Unter Cyber-Gewalt wird Gewalt verstanden, die sich technischer Hilfsmittel bedient oder die im digitalen Raum stattfindet. Mädchen und Frauen sind besonders stark von Cyber-Gewalt betroffen.“ Vor allem auch nach dem Ende einer Partnerschaft – aber das ist wohl nicht gemeint in dieser EU-Verordnung. Daneben gebe es „Angriffe auf Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Personengruppe“, etwa „Drohungen“, „Hetze“ oder auch „Hasskommentare gegen Frauen mit einem spezifisch frauenverachtenden Inhalt und Motiv“. Und all das wird als „Hass im Netz“ bezeichnet und dann wohl bald auch von der EU-Kommission „präventiv“ verfolgt und möglichst zum Verschwinden gebracht, obwohl es – das wird damit zu einem Ceterum censeo – natürlich in Österreich wie anderswo Gesetze für so etwas gibt.
Daneben will die EU die Plattformbetreiber auch erneut zu Shadow-Banning und ähnlichem zwingen: Der DSA fordert die Anpassung von „algorithmischen Systemen [und] Werbesystemen“, so wie es schon seit Jahren auf Facebook und anderswo üblich ist. Nicht jede Nachricht, nicht jeder Post sind dort gleich willkommen. Damit haben schon unzählige Nutzer beim simplen Hochladeversuch Bekanntschaft gemacht. Von intensivierter „Moderation von Inhalten“ über Anpassung von AGB und Algorithmen bis hin zur Einbindung von „vertrauenswürdigen Hinweisgebern“ (man könnte auch von Denunzianten sprechen) und einigen eher weichen Methoden zum Schluss (Sensibilisierung, Förderung bestimmter Informationen) ist das ein bunter Strauß, der die Informationslandschaft in der EU und weltweit in kürzester Zeit verwandeln könnte.
Am Ende soll auch durchgesetzt werden, dass etwa „manipulierte Bild-, Ton- oder Videoinhalte“ auffällig gekennzeichnet werden. Diese Regel wurde schon an den Parodie-Profilen von Baerbock und anderen durchexerziert. Sie ist ein wenig umständlich für die Satire, aber auf einem politischen Medium wie X vielleicht notwendig. Aber die Grenze zur Zensur kann an fast allen Stellen dieser Verordnung leicht überschritten werden.
Neue NGOs stehen zur Durchsetzung der Pläne bereit
Laut der Jura-Plattform LTO ist nun bereits ein privates „Center for User Rights“ in Gründung befindlich, das die Nutzerrechte allerdings im Sinne der Kommission auszulegen scheint. Svea Windwehr von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vermutet auf Spiegel Online, dass die Zahl und Komplexität der Fälle, in denen die Plattformen gegen den DSA verstoßen werden, so groß sein dürfte, dass die staatliche Aufsicht damit überfordert sei. „Es braucht also Hilfe aus der Zivilgesellschaft.“ Die GFF will Nutzer bei der Einforderung ihrer Rechte und eventuellen Klagen unterstützen. Noch eine Aufpasser-NGO, die vielleicht bald schon versuchen wird, sich durch staatliche Gelder zu finanzieren.
Was würde das aber bedeuten, wenn man es auf verschiedene Krisen und Knackpunkte der jüngeren Zeitgeschichte anwendet? Wie stünde es mit den unabhängigen Einschätzungen zu Nord Stream? War das nicht auch in höchstem Maße „moskauhörig“, dass Leitmedien vor kurzem eine mehr oder weniger Beteiligung der Ukraine an der Sprengung gemeldet hatten?
Der EU-Bürger zur Selbstverteidigung verdammt
Was wäre, wenn die Bundesregierung – Boris Pistorius voran – morgen die Beteiligung an einem internationalen Kriegseinsatz beschließt und dabei umstrittene Regierungsdossiers an die alten Bekannten von Zeit, Spiegel, Süddeutscher Zeitung oder „Correctiv“ ausgegeben werden. Und wenn dann ein deutscher Journalist schreiben wollte, dass diese Dossiers nicht mehr mit der Realität zu tun haben als die Behauptung von Colin Powell, der Irak habe unter Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen, „mobile Biowaffen-Laboratorien“ besessen. Dieser Kommentar wäre sicher nicht rechtswidrig, aber Risiken wären mit ihm verbunden und so könnte er leicht als Desinformation markiert werden, wenn nur Politik und Medien lange genug einen Eiertanz darum aufführen, in dem sie behaupten, das könne alles gar nicht so sein, weil man auf Krisen mit Vertrauen in die Regierung reagiert.
Es bleibt bei der Warnung, dass alle hier entworfenen Szenarios im Grunde schon Realität geworden sind. Heute, nach der Einführung des DSA, ist der staatliche Umgang mit jeder Meinungsminder- oder -mehrheit noch einfacher geworden. War die Lösch- und Sperrpraxis in den sozialen Medien ab 2020 nur auf informeller Basis geregelt, so sollen missliebige Meinungen jetzt – erst recht im Falle einer Gesundheits- oder sonst welchen Krise – umgehend gelöscht und die Plattform-Nutzer bei Bedarf gesperrt werden, bei höherem Bedarf sogar ganze Plattformen. Die Anbieter werden dazu gezwungen sein, sich hier an überstaatliche Regulierer und ihre Dekrete zu halten, das wäre vollkommen rechtens. Der derart angegriffene Bürger wäre zur juristischen Selbstverteidigung verdammt. Und auch dazu fänden sich wohl Wege. Laut der zitierten Einschätzung aus dem Verfassungsblog „kommt eine Pflicht zur Bekämpfung von Desinformation nur für sehr große Online-Plattformen (VLOPs) in Betracht“.