Tichys Einblick
HESSEN VERSUS RHEINLAND-PFALZ

DITIB: Hessen reißt sich los, Rheinland-Pfalz reitet hinein

Obwohl Hessen seit längerem versucht, sich von der DITIB wegen der Abhängigkeit zum türkischen Staat zu befreien, will Rheinland-Pfalz nun mit der DITIB für Islam-Unterricht und islamische Theologie kooperieren.

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Während die einen endlich die DITIB losgeworden sind, werfen die anderen sich in deren Arme. Die einen: Das Land Hessen, das die Kooperation mit dem Landesverband DITIB bezüglich des Religionsunterrichts beendet hat, da die Zweifel einer Unabhängigkeit zur türkischen Regierung nicht ausgeräumt werden konnten. Bereits 2017 ließ Kultusminister Alexander Lorz (CDU) den DITIB-Religionsunterricht gutachtlich prüfen, damit reagierte er auf politische Entwicklungen in und bezüglich der Türkei. Lorz verlangte von dem hessischen Landesverband unter anderem seine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu beweisen. Der hessische Kulturminister forderte direkt den Landesverband auf, die faktische politische Abhängigkeit vom türkischen Staat zu beenden und die Verbindung zu DIYANET auf „theologische Fragen“ zu beschränken.

Die Forderungen konnten trotz erneuter Frist nicht erfüllt werden. Man muss Lorz diesbezüglich für sein konsequentes Handeln loben. Er stellte dem Landesverband ein Ultimatum: Wenn die Unklarheiten nicht beseitigt werden würden, „läuft es drauf hinaus, die Zusammenarbeit mit DITIB Hessen noch in diesem Jahr endgültig zu beenden“.

Im Februar 2019 wurde die Kooperation ausgesetzt und eingehend geprüft. Der Bonner Staatsrechtlers Dr. Josef Isensee zeigte in seinem Gutachten auf, dass DITIB Hessen nicht die Kriterien erfüllt, um als eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetztes für eine Zusammenarbeit in Sachen Religionsunterricht zu gelten. DITIB bilde das letzte Glied einer Weisungskette, die über den Bundesverband zur türkischen Religionsbehörde DIYANET führe, die unmittelbar dem türkischen Präsidenten untersteht. „Eine Gemeinschaft, die durch einen anderen Staat so beeinflußt wird, daß ihre Grundsätze nicht Ausdruck ihrer religiösen Selbstbestimmung sind, kann nicht Kooperationspartner für einen islamischen Religionsunterricht sein“. Lorz hielt Wort. Die Kooperation wurde beendet. Doch Hessen geht noch einen weiteren Schritt. Der Islam-Unterricht kommt vorerst in staatliche Verantwortung, ohne die Beteiligung von Religionsgemeinschaften. Denn die Länder sind von Verfassungswegen nicht darauf angewiesen, das Thema Religion nur in Form eines Religionsunterricht zu behandeln. Hessen fand eine neue Form: Religionskunde, die nicht den Islam als bestehende Glaubenswahrheit, sondern „wahre Information über den Islam“ vermittelt. Dieser nicht bekenntnisorientierte Unterricht kann infolgedessen integrationsfördernd sein. Hessen macht vor: Es geht auch ohne DITIB.

Fortschritt Hessen – Rückschritt Rheinland-Pfalz

Die anderen: Obwohl Hessen mehrere Jahre lang Schwierigkeiten mit DITIB hatte und schon länger plant, den Islam-Unterricht in eigener Verantwortung zu übernehmen, will Rheinland-Pfalz mit DITIB und drei weiteren konservativen islamischen Verbänden kooperieren. Im April 2020 kündigte das rheinland-pfälzische Ministerium an, mit vier Verbänden eine „Zielvereinbarung“ unterschrieben zu haben, die als Zwischenschritt für einen Grundlagenvertrag gilt, der Islam-Unterricht und Einrichtung eines Lehrstuhl s für Islamische Theologie miteinschließt. Zu den Verbänden zählt neben der DITIB: Ahmadiyya-Gemeinde (AMJ), Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und Rat Islamischer Gemeinschaften (Schura). Auf die Frage wieso diese Vereinbarung dringend notwendig sei, antwortete das Ministerium unter anderem, dass es „Angelegenheiten gibt, die der Staat nicht allein entscheiden darf. Hierzu gehört der Unterricht und somit auch der islamische Religionsunterricht, die Einrichtung von Professuren für Islamischen Religionsunterricht oder die Seelsorge in Anstalten“. Doch Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein zeigen, es geht ohne muslimische Religionsgemeinschaften: Islamkunde existiert in Bayern und Schleswig-Holstein bereits seit einem Jahrzehnt. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschied im September 2019, dass Hessen Islam-Unterricht selbstständig erteilen darf, als es einen entsprechenden Eilantrag des Zentralrats der Muslime ablehnte. Ein Verwaltungsgericht in Rheinland-Pfalz würde nicht anders entscheiden.

Doch die Fragwürdigkeit beginnt bereits damit, dass zunächst zurecht die im Sommer 2016 ausgesetzten Verhandlungen im August 2018 nicht fortgesetzt wurden, da sich die „politischen Rahmenbedingungen“ geändert haben. Im neuen Gutachten wird einerseits bezüglich der Türkei der „Putschversuch“, das Verfassungsreferendum und die militärische Intervention in Syrien genannt, andererseits die Flüchtlingswelle, wodurch der Anteil von muslimischen Gläubigen mit neuen Migrationshintergründen in Deutschland stark gewachsen sei, was Auswirkungen auf „anstehende Integrationsaufgaben“ hätte. Die Problematik der Türkei und des derzeitigen Machthabers Erdogan wird erkannt. Im Unterschied zu Hessen jedoch reagiert Rheinland-Pfalz mit einer Kooperation. Auch der Islam-Unterricht ist ein wichtiger Faktor für Integration. Ein Unterricht der vom türkischen Staat beeinflusst wird, kann nicht integrationsfördernd sein. Seit dem Putschversuch hat sich die Türkei politisch gewandelt, hin zu einer Diktatur mit einem türkischen Nationalismus und einem fundamentalistischen Islam. Dank Erdogans Machteinfluss durch alle türkeistämmigen Organisationen, darunter DITIB, wirkt sich das auf Deutschland aus. Dass in DITIB-Moscheen für den Sieg der türkischen Armee in Syrien gebetet wurde oder man Kinder in Uniformen samt Spielzeugwaffen in Moscheen marschieren ließ, veranschaulichen dies. Des Weiteren wird gegen Gülen-Personen in Predigten gehetzt oder gegen die Integration intensiv gearbeitet, vor allem wenn es um ein Kopftuchverbot geht. Der türkische Staat kontrolliert den Islam, soweit, dass dieser ein Instrument von Staats- und Kriegspropaganda wird. Und das auf deutschem Boden; dafür dient die türkische Religionsbehörde, die DITIB als Auslandsorganisation gründete.

Unabhängigkeit durch Satzungsänderung?

Der Auftrag des neuen religionswissenschaftlichen Gutachtens war es, festzustellen, ob eine politische Einflussnahme der Türkei auf die Verbände stattfindet, sodass sie den Charakter einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetztes und der rheinland-pfälzischen Verfassung gefährden. Dieser Auftrag riecht nach Absicherung und lässt die Vermutung im Raum stehen, ob gezielt nach einer Lösung gesucht wurde, um unbedingt mit den vier Verbänden kooperieren zu können, trotz Kritik.

DITIB ist der größte muslimische Verband, somit könnte man es sich als Politiker einfach machen wollen. Die Landesregierung nahm den Vorschlag des Gutachtens auf, eine „Zielvereinbarung“ zu erarbeiten, mit der eine Beeinflussung durch Dritte verhindert werden soll. „Die Verbände werden nach der Umsetzung der Zielvereinbarungen ihre rechtlichen und tatsächlichen Strukturen so ausrichten, dass sie unabhängig vom unzulässigen Einfluss Dritter sind“, laut Pressemitteilung. Neben einer „Selbstverpflichtung“ für die bloß eine Unterschrift reichen soll, soll DITIB ihre Landesverbandssatzung ändern: Um eine Unabhängigkeit der Kommission für den Unterricht zu gewährleisten, sollen Amtsträger eines Staates, Bedienstete oder Personen, die dem DITIB-Bundesverband unterstehen, nicht Kommissionsmitglieder werden können. Des Weiteren sollen Kandidatenwahlvorschläge für den Landesvorstand grundsätzlich durch die Mitgliedsgemeinden erfolgen.

Laut ergänzendem Gutachten sei diese Kommission in der Satzung des DITIB-Landesverbandes so ausgestaltet, dass sie unabhängig von ausländischen staatlichen Einflüssen arbeiten könne. Im Gutachten wurde aber auch vorgeschlagen, ausdrücklich in der Satzung einen Wortlaut einzubauen, der dem Religiösen Beirat jegliche Machtbefugnis für jene Kommission abspricht. Das ist nicht geschehen. Laut Landesverbandssatzung § 20 Abs. 3. ist der Religiöse Beirat berechtigt, gegen „alle“ Entscheidungen der Vorstände der Gemeinschaft und Vorstände der Landesfachgruppen Einspruch zu erheben, wenn er der Meinung ist“, dass diese gegen die Lehre des Islams verstoßen. Dass die Kandidatenwahlvorschläge für den Vorstand durch die Mitgliedsgemeinden erfolgen sollen, bringt keine Sicherheit. DITIB Rheinland-Pfalz hat über 51 Gemeinden, die türkisch geprägt sind und dem Dachverband DITIB Rheinland-Pfalz angehören.

Rheinland-Pfalz geht anscheinend davon aus, dass die Mitgliedsgemeinden per se unabhängig vom türkischen Staat sind. Wieso sollten nicht auch diese von der Religionsbehörde beeinflusst werden können? Auch sie unterstehen höchstwahrscheinlich einem Druck der Türkei, dem sie standhalten müssen. Es ist ebenso nur von Vorschlägen und nicht von den Wahlberechtigten die Rede. Normalerweise wählt der Beirat, der von der DIYANET – dem türkischen Staat – gestellt wird, die Vorschläge der Mitgliedsgemeinden. Die DIYANET-Vertreter haben in den DITIB-Mitgliedsversammlungen ein größeres Stimmgewicht als Vertreter der DITIB-Gemeinden.

Machtlage und Praxis sind entscheidend

Das Ministerium teilte auf eine Anfrage von TE mit: „Um zudem als Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz gelten zu können, müssen die in den Zusatzgutachten aufgezeigten Mängel behoben werden.“ Es gäbe zwar keinen „Automatismus“ aber: bei nur vier „Mängeln“ macht es Rheinland-Pfalz der DITIB wirklich leicht. Insgesamt versucht Rheinland-Pfalz eine Unabhängigkeit zwischen dem Landesverband DITIB Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband DITIB herzustellen. Das ist die Strategie. Erstens kann man davon ausgehen, dass selbst Zielvereinbarungen und Satzungsänderung von Ankara abgesegnet sind. Dass nichts ohne Ankaras Zustimmung veranlasst wird, legt die DITIB-Bundesverbandssatzung fest. Zweitens muss eine Satzungsänderung auf dem Papier generell keine faktische Veränderung bedeuten und kann somit keine Sicherheit garantieren. In dem hessischen Gutachten von Isensee heißt es:

„Die eigentliche, die kritische Grenze verläuft nicht zwischen Landes- und Bundesverband, sondern zwischen DITIB und dem türkischen Staat, der unmittelbar über die Religionsbehörde DIYANET in Erscheinung tritt und der Weisungsmacht des Staatspräsidenten untersteht. Der Bundesverband und noch weniger DITIB Hessen können die Weisungsmacht der türkischen Exekutive steuern und diese auf „theologische“ Angelegenheiten („theologisch“ im deutschen Verständnis) beschränken. Solange DITIB Hessen nicht von Seiten der türkischen Exekutive (direkt oder vermittelt über den Bundesverband) aus der Organisations- und Weisungsgewalt in die materielle Selbständigkeit entlassen wird – derzeit höchst unwahrscheinlich –, macht ein einziges Wort des türkischen Staatspräsidenten alle noch so bemühten Vorkehrungen des Landesverbandes zu Makulatur.“

Man muss sich die Frage stellen: In wie weit kann überhaupt eine Unabhängigkeit eines DITIB Landesverbandes zum Bundesverband, zu DIYANET und zum Amt des türkischen Staatspräsidenten bestehen? „Etwaige Vorkehrungen im Satzungsrecht des DITIB-Landes- wie auch des Bundesverbandes würden dem Druck der Türkei, von der sie abhängen, nicht standhalten. Überhaupt kommt es hier weniger auf die vereinsrechtliche Lage an, sondern auf die Machtlage und Praxis“, so Isensee.
Für Hessen ist „das gesamte Wirken von DITIB“ für den verfassungsrechtlichen Status des Landesverbandes DITIB erheblich. Auf Rheinland-Pfalz trifft das anscheinend nicht zu – sollte es jedoch. Hier versucht man eine Trennung vom Landesverband zum Bundesverband herzustellen, die faktisch nicht existieren kann.

Bei der hessischen Kooperation litt die Glaubwürdigkeit bezüglich der Deklaration zu den Werten des Grundgesetzes als „Fundament der Verbandsarbeit“ und einer „erhöhten deutsch-türkischen Sozialisation“, wegen der offen stehenden Information, dass die Vertreter des Gesamtverbandes mit Vertretern von Milli Görüs und der Muslimbruderschaft gemeinsame Sache in der deutschen Zweigstelle des Europäischen Rates für Fatwa und Forschung machen würden. Der Europäische Rat, gegründet von der Muslimbruderschaft, erteilt ‚Empfehlungen‘ „für ein islamkonformes Leben in nichtislamischer Umwelt mit dem Ziel, eine puritanische, fundamentalistische Auslegung des Korans zu verbreiten, die europäische Gesellschaft nach ihren Regeln umzugestalten und die Segregation der Muslime zu erreiche“. Wenn diese beiden Organisationen auf einen muslimischen Verband Einfluss üben, der den Anspruch auf Einführung von Religionsunterricht erhebt, geht diesem die Eignung ab, so das Bundesverwaltungsgericht. Dies ist ein wichtiger Punkt von vielen in dem neuen Gutachten Hessens.

Auf Nachfrage bei der Pressestelle des rheinland-pfälzischen Ministeriums wurde TE bestätigt, dass die neuen Gutachten von Hessen nicht in die Entscheidung mit eingeflossen sind. Sie wären erst vor ein paar Tagen veröffentlicht worden; man könne auch Hessen und Rheinland-Pfalz nicht in dieser Sache vergleichen. Das Kulturministerium Hessen dagegen sagte, sie lägen bereits Ende 2019 intern vor, es wäre möglich gewesen nach den Gutachten zu fragen. Nach Hessens DITIB-Historie und der längst vorbereiteten Kooperationsbeendigung, hätte Rheinland-Pfalz, bevor es eine Kooperation beginnt, seine Ergebnisse mit denen in Hessen abstimmen lassen sollen. DITIB ist DITIB.

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